„Wenn wir verzeihen, können wir uns selbst heilen“, sagt der Psychologe Robert Enright. Einem Menschen zu verzeihen bedeute nicht, alles zu vergessen. „Natürlich erinnert man sich weiterhin an die Verletzung“, sagte der Psychologe in einem Gespräch von Spiegel Online, und weiter: „Nur quälen und verfolgen uns die Erinnerungen nicht mehr, wenn wir verzeihen können.“ Symptome wie Wut, Angststörungen und Depressionen gingen zurück. Auch das Selbstwertgefühl steige.
„Zuallererst denken viele Menschen, dass man falsches Verhalten billigt, wenn man es verzeiht“, sagte Enright. Das eine habe jedoch mit dem anderen nichts zu tun. Nur weil ein Mensch etwas verzeihe, heiße er es nicht gut. Nach Enrights Auffassung ist das Verzeihen eine Tugend, Unrecht zu billigen hingegen eine unmoralische Handlung.
Kollision mit Gerechtigkeitssinn
Seiner Ansicht nach sei es eine falsche Annahme, dass Verzeihen automatisch Versöhnung bedeute. Enright erklärt in dem Gespräch den Unterschied so: „Das Verzeihen ist eine innerliche Tugend. Versöhnung ist eine äußerliche Handlung.“ Viele Menschen brächten Verzeihung nicht mit ihrem eigenen Sinn für Gerechtigkeit überein. „Zu verzeihen bedeutet, gütig gegenüber jenen zu sein, die sich nicht gütig gegenüber Ihnen verhalten haben“, erklärte der Psychologe.
Robert Enright ist Professor für pädagogische Psychologie an der Universität Wisconsin-Madison. Als Gründungsmitglied des „International Forgiveness Institute“ untersucht er die Wirkung von Vergebung auf die menschliche Psyche. Mit Kollegen hat Enright einen Weg zur Vergebung entwickelt und erprobt, die sogenannte Vergebungstherapie, mit der die Wissenschaftler Inzestüberlebenden, Menschen in der Drogenrehabilitation und Hospizen, misshandelten Frauen und Kranken helfen konnten. Zum Thema Vergebung hat Enright zahlreiche Bücher und Publikationen veröffentlicht.
Von: Norbert Schäfer