Die Zahl evangelikal gesinnter Christen in Brasilien nimmt beständig zu. Das berichtet die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (FAS). Nach einer Hochrechnung übersteige die Zahl der Evangelikalen in dem südamerikanischen Land binnen der kommenden zehn Jahre die der Katholiken. „Vor vierzig Jahren waren noch neun von zehn Brasilianern katholisch. Die Zahl der Evangelikalen wächst hingegen unaufhörlich“, berichtet die Zeitung.
„Die Freikirchen wollen mit ihren sozialkonservativen Wertvorstellungen in die Politik eindringen“, schreibt die Zeitung unter dem Titel „Von Gottes Gnaden“. Dies gelte besonders für die radikalen Kräfte, die die Verfassung des Landes durch die Bibel ersetzen wollten. Im Kongress Brasiliens gehören nach Angaben der FAS rund 200 der derzeit 513 Abgeordneten der „Fraktion der Bibel“ an, von der wiederum etwa die Hälfte evangelikal gesinnt sei. Auch medial versuchten die Evangelikalen ihre Agenda durchzusetzen. „Praktisch jede der größeren Freikirchen ist in den Fernsehprogrammen und Programmfenstern der Sender präsent“, schreibt die Zeitung.
Evangelikale wählten Bolsonaro
Dem Bericht zufolge würden die Freikirchen in Brasilien zu einer neuen Macht, mit der Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro an einem Strang ziehe. Evangelikale Wähler hätten maßgeblich zum Wahlsieg von Bolsonaro beigetragen. Bolsonaro – selbst Katholik und getaufter Pfingstler – betone stets seinen christlichen Glauben. Der amtierende Präsident des Landes sei etwa bei der Präsidentschaftswahl mit dem Wahlspruch angetreten: „Brasilien über alles und Gott über allen“.
Dem Bericht zufolge bezeichnen sich derzeit rund 30 Prozent der Brasilianer als evangelikal und gehören mehrheitlich einer pfingstkirchlichen oder neupfingstkirchlichen Bewegung an. Noch sei Brasilien das Land mit den meisten Katholiken weltweit. Der Anteil der Katholiken an der Gesamtbevölkerung dürfe allerdings in diesem Jahr auf die Hälfte sinken, berichtet die FAS.
Als einen Grund für den Aufstieg der Evangelikalen nennt Lamia Oulalou in dem Bericht die oftmals „strengen Regeln“ der evangelikalen Kirchen. Beispielsweise der Alkoholverzicht führe zu einer Verbesserung der Lebenslage. „Wer nicht trinkt, hat am Ende des Monats mehr Geld“, zitiert die Zeitung die französische Journalistin, die über den Aufstieg der Evangelikalen in Brasilien ein Buch veröffentlicht hat. Weil Evangelikale als zuverlässiger und ehrlicher gelten würden, hätten sie bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt.
Von: Norbert Schäfer