Die Künstlergruppe „Zentrum für politische Schönheit“ hat am Montag eine temporäre Gedenkstätte an die Nazi-Diktatur vorm Deutschen Reichstag errichtet. In dieser 2,5 Meter hohe Stele befindet sich ein Bohrkern aus dem Umfeld eines der vielen nationalsozialistischen Vernichtungslager – darin sollen sich menschliche Überreste von Opfern des Holocaust befinden. Mit der Gedenksäule wolle man vor Konservatismus warnen. Dieser sei es gewesen, der den Weg in den Nationalsozialismus geebnet habe. Die Künstler befürchteten, dass die CDU heute den gleichen Fehler begehen könnte, wenn sie mit der AfD zusammenarbeite.
Die Kunstaktion stieß in den vergangenen Tagen auf breite Kritik. So betonte eine Regierungssprecherin, dass die Bundesregierung die Kunstfreiheit achte. Sollte es sich aber bewahrheiten, dass sich in der am Reichstagsgebäude aufgestellten Gedenksäule Asche von Holocaustopfern aus Auschwitz befinde, wäre das „pietätlos und geschichtsvergessen“. Unverständnis zeigte ebenfalls der Antisemitismusbeauftragte des Bundes, Felix Klein. Er bezeichnete es als „erschütternd“, dass Künstler zu „solch drastischen Mitteln“ greifen müssen. Sie würden so religiöse Gesetze von Minderheiten verletzen und trügen zu einer „Verrohung der Gesellschaft bei“.
Im Judentum müssen die sterblichen Überreste vollständig begraben und respektvoll behandelt werden. Jüdische Gräber sind für die Ewigkeit. Sie dürfen weder verlegt, noch eingeebnet oder neu vergeben werden. Diese Störung dieser Totenruhe kritisierte ebenfalls der Zentralrat der Juden in einem Tweet.
Aktion verstoße gegen Gesetz
Volker Beck, ehemaliges Mitglied des Bundestages und Lehrbeauftragter am Centrum für Religionswissenschaftliche Studien an der Ruhr-Uni-Bochum, hat daher nach eigenen Angaben Strafanzeige gegen das „Zentrum für politische Schönheit“ gestellt. Gemäß §168 des Strafgesetzbuchs sei die Aktion eine strafbare Verletzung der Totenruhe.
Etwas zurückhaltender äußerte sich die Holocaustgedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem. In einer Stellungnahme hieß es, dass „eine respektvolle künstlerische Darstellung des Themas legitim sein kann“. Allerdings dürfe in keiner Weise das Andenken des Holocaust „beleidigt, herabgesetzt oder entweiht werden“. Daher rufe man die Künstler auf, die Erinnerung an Opfer und Überlebende zu respektieren.
Schuldeingeständnis: „Haben einen Fehler gemacht“
Nach der großen Welle der Kritik hat das „Zentrum für politische Schönheit“ eingeräumt, einen Fehler gemacht zu haben. In einer Stellungnahme heißt es, dass den Künstlern nichts ferner liege, als „die religiösen und ethischen Gefühle von Überlebenden und Nachkommen der Getöteten zu verletzen“. Man bedauere, den „zentralen Wirkungsaspekt“ der Arbeit im Vorfeld nicht erkannt zu haben.
Das Künstlerkollektiv hat daraufhin das Kernstück der Gedenksäule verhüllt. Weiterhin wurde die Internetseite für die Aktion „Sucht nach uns!“ abgeschaltet. Eine für Samstag geplante Kundgebung findet nun nicht statt.
Beim weiteren Vorgehen mit der in der Stele befindlichen Asche bietet nun die Orthodoxe Rabbinerkonferenz Deutschland ihre Hilfe an. In einem Schreiben zeigt sich die Konferenz „bestürzt“, mahnte aber auch zu schnellem Handeln. Um die ewige Ruhe wiederherzustellen, müsse man die Asche mit den menschlichen Überresten schnellstmöglich wieder bestatten. Dies solle am besten noch vor Beginn des Schabbats am Freitagabend geschehen.
Aktion ist „großartig“
Zustimmung bekamen die Künstler von Lea Rosh. Die Vorsitzende des Fördervereins „Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ bezeichnete die Aktion als „großartig“. Erinnerungskultur sei kompliziert. Deswegen gebe es keine einfachen Antworten.
Ähnlich äußerte sich der Historiker Götz Aly. Gegenüber dem MDR erklärte er, dass der bisherige Umgang mit Massengräbern und Kriegsverbrechen „würdelos“ sei. Im Nationalsozialismus sollten die Opfer entpersonifiziert werden. Dies geschehe durch den schlechten Umgang mit den Überresten der Ermordeten bis heute. Die meisten Massengräber seien nicht gekennzeichnet. Auf diesen Missstand habe das „Zentrum für politische Schönheit“ aufmerksam gemacht – das finde er gut.
Von Martin Schlorke