Sterbehilfe-Streit zwingt Rechtsstaat zum Spagat

Die ARD begleitet in ihrer Reportage „Die Story im Ersten“ drei todkranke Menschen. Sie möchten gerne selbstbestimmt sterben. Der 45-minütige Beitrag erläutert sehr detailliert, wo die Grenzen dieser Art zu Sterben liegen. Außerdem werfen die Macher der Dokumentation der Politik schwere Versäumnisse vor. Eine TV-Kritik von Johannes Blöcher-Weil
Von PRO
Harald Mayer muss seit über 20 Jahren mit der Diagnose MS leben. Er möchte sein Leben gerne selbstbestimmt beenden.

Die medizinischen Diagnosen für die drei Patienten sind ernüchternd: zwei von ihnen leiden an Multipler Sklerose (MS), einer hat Krebs. Alle möchten selbstbestimmt sterben und benötigen dafür das Medikament Natrium-Pentobarbital. Die zuständigen Behörden verweigern auf Hinweis des Bundesgesundheitsministers Jens Spahn die Herausgabe. Die ARD-Dokumentation „Die Story im Ersten: Sterbehilfe – Politiker blockieren, Patienten verzweifeln“ befasst sich anhand dessen mit den Fragen, wie lange ein Leben lebenswert ist, und was die Politik tun kann – und was nicht.

Durch die Krankheit MS ist der 48-jährige Harald Mayer mittlerweile bewegungsunfähig. Er gilt als austherapiert und benötigt rund um die Uhr Hilfe. Für Mayer ist das kein erträgliches Leben mehr. Er möchte mit Hilfe des Medikaments Natrium-Pentobarbital schnell sterben. Er fragt nicht nach einem Leben nach dem Tod, sondern nach einem, das ihm hier auf der Erde Qualität gibt.

„Leben in Würde beenden und keine Zeit verschenken“

Im März 2017 hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig geurteilt, dass das Betäubungsmittel Natrium-Pentobarbital unter bestimmten Voraussetzungen herausgegeben werden muss. Die zuständige Behörde fordert daraufhin von Mayer und allen anderen Antragstellern zahlreiche Unterlagen und Gutachten. Auch MS-Patientin Ulrike Franke möchte am Lebensende „keine Zeit verschenken“ und ihre Würde behalten. Die frühere Ärztin weiß, was ihr mit dieser Diagnose bevorstehen kann. Sie möchte selbst entscheiden, wann sie stirbt. Sie investiert Zeit und Geld, um die Gutachten erstellen zu lassen.

Ein Jahr nach dem Leipziger Urteil hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn jedoch angewiesen, alle Anträge abzulehnen, und damit das höchstrichterliche Urteil ignoriert. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte hat die Herausgabe von Medikamenten zur Selbsttötung deshalb verweigert. Der Berliner Tagesspiegel hatte aus internen Mails zitiert, wonach das Bundesgesundheitsministerium, dem das Institut untersteht, schon frühzeitig beschlossen habe, das Leipziger Urteil zu umgehen.

Die Patienten, zu denen auch Hans-Jürgen Brennecke gehört, macht dies fassungslos und zornig. Robert Rossbruch, Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Verein humanes Sterben, wirft dem Ministerium Verzögerungstaktik und rechtswidriges Handeln vor. Sterbebegleitung müsse in den Händen von Profis liegen, damit dürften nicht Angehörige belastet werden.

„Kein Handlanger für Selbsttötung“

Das Fernsehteam spricht auch mit Kritikern der Sterbehilfe. Elke Jahn, ebenfalls MS-Patientin, hat Angst vor einer Liberalisierung der Sterbehilfe. Diese könne die gesellschaftliche Solidarität mit schwerkranken Menschen untergraben. Jahn hat Angst davor, als zu teuer eingestuft zu werden und der Gesellschaft zur Last zu fallen. Sie fürchtet, dass die Gesellschaft bald wieder von „lebensunwertem Leben“ spreche.

In der Reportage kommen auch Politiker zu Wort. Der CDU-Abgeordnete Michael Brand findet es schwer, extremes Leid zu definieren. Er verweist auf die Chancen der Palliativmedizin. Es sei gefährlich, die Debatten nur auf die Option Suizid zu verengen. Die SPD-Politikerin Eva Högl wünscht sich keine Gesellschaft, „in der der Tod als Lösung für Ängste, Einsamkeit, Schmerzen oder Leiden gesehen wird“.

Auch der frühere Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) will nicht, dass „eine staatliche Behörde zum Handlanger von Selbsttötung“ wird. Er habe Zweifel an den „Risiken und Nebenwirkungen“ des Leipziger Urteils. Ein Ministerium könne keine Selbsttötungsabsichten und Therapieaussichten bewerten. Dass er das Urteil durch das Gutachten eines Verfassungsrechtlers für 95.000 Euro habe prüfen lassen, erbost die Opposition. FDP-Bundestagsabgeordnete Katrin Helling-Plahr hält den Vorgang für ein „unfassbares Showverfahren“: Ein Minister könne sich nicht über ein höchstrichterliches Urteil hinwegsetzen.

Angebotene Alternativen sind keine

Der Krebspatient Brennecke hofft auf das Bundesverfassungsgericht. Dieses verhandelt gerade, ob Paragraf 217 zur geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung verfassungsgemäß ist und ein selbstbestimmtes Ende verboten werden kann. Aus Sicht von MS-Patient Mayer hat jeder Mensch das Recht, sein Leben abzukürzen: „Da hat der Staat nichts reinzureden.“ Hospize sind für ihn keine Alternative.

Zu Wort kommt in dem Beitrag auch die Schweizer Ärztin Eva Preisig. Sie hat etwa 500 Menschen in den Tod begleitet. Mediziner hätten nicht nur die Aufgabe, den Tod zu verhindern, sondern sollten ihn in gewissen Fällen auch herbeiführen dürfen. Kritiker befürchten, dass dann die Anzahl der Suizide deutlich ansteigt. Mayer bereut, dass er sich nicht umgebracht hat, als er es noch konnte. Jetzt wäre er auf Hilfe angewiesen. Sein Neffe würde das tun. Ihm zuliebe.

Der Film begleitet Mayer zu einer Verhandlung des Verwaltungsgericht Köln. Es urteilte, dass ein generelles Verbot von Betäubungsmitteln zur Selbsttötung nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Eine Herausgabe wiederum verstoße gegen das Betäubungsmitttelgesetz. Diesen Widerspruch könne nur das Bundesverfassungsgericht auflösen.

Am Ende der 45 Minuten erfährt der Zuschauer, dass von 131 Antragstellern auf Herausgabe des Medikaments inzwischen 24 verstorben sind. Für Brennecke ist das ein Skandal: „Wir haben keine Zeit, die spielen auf Zeit.“ Das sei schäbig, verlogen und zynisch. Die Dokumentation liefert ein breites Spektrum an Stimmen und Einschätzungen. Die Fälle der drei Patienten verdeutlichen, wie emotional und ethisch schwierig das Thema in Grenzsituationen ist. Auch der Rechtsstaat hat einen schwierigen Spagat zu bewältigen. Einziges Manko des Beitrags: statt sich so intensiv auf die Versäumnisse des Ministeriums zu fokussieren, hätten die Patienten, Ärzte und Politiker noch etwas ausführlicher zu Wort kommen können. Auch wenn die Zahl der Sterbehilfebefürworter in dem Film ein Übergewicht hat, bekommt der Zuschauer ein gutes Bild der Lage vermittelt.

Von: Johannes Blöcher-Weil

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