Es zählt, dass gerettet wird, nicht wie

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) will einen Verein gründen, der Spenden für ein Schiff sammelt. Der Verein soll es dann der Seenotrettungsorganisation Sea-Watch übergeben. Warum fließt das Geld nicht direkt an Sea-Watch? Ein Kommentar von Nicolai Franz
Von Nicolai Franz
Die „Sea-Watch 2“ im März 2017

Es ist gut, dass sich die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) mit einem „breiten gesellschaftlichen Bündnis“ an der Seenotrettung beteiligen will. Natürlich gibt es auch Argumente dagegen: Die Kirche unterstütze damit das Geschäft der Schlepper, außerdem zögen die Rettungsaktionen ja nur neue Massen von Menschen an, die sich ein besseres Leben in Europa wünschen, monieren Kritiker. Doch selbst wenn das so wäre, hätte EKD-Ratsmitglied Michael Diener Recht, wenn er sagt, dass man Menschen nicht ertrinken lässt. Denn wer dagegen ist, dass Menschen vor dem Ertrinken gerettet werden – egal aus welchen Gründen –, der muss es auch verantworten, dass Menschen sterben. Und solange die Europäische Union keine funktionierende Lösung gefunden hat, müssen sich eben private Organisationen darum kümmern, dass niemand ertrinkt.

Eine andere Frage ist, wie sich die Kirche am besten an der Seenotrettung beteiligen sollte. Der Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm erklärte am 12. September, die Protestanten wollten in den kommenden Wochen einen Verein gründen und gemeinsam mit einem breiten gesellschaftlichen Bündnis ein Seenotrettungsschiff kaufen. Dieses Bündnis solle aus verschiedenen Akteuren wie Kirchengemeinden, Kultureinrichtungen, Schulen, Unternehmen oder Vereinen bestehen.

Dabei scheint das Projekt „Wir schicken ein Schiff“ mit einem Missverständnis begonnen zu haben. Ein Rückblick: Der Deutsche Evangelische Kirchentag hatte der EKD am 20. Juni 2019, dem Weltflüchtlingstag, in einer Resolution einen deutlichen Auftrag gegeben: „Schickt selbst ein Schiff in das tödlichste Gewässer der Welt.“ Grundlage dafür war ein Statement von Mattea Weihe, Mitarbeiterin bei der Seenotrettungsorganisation Sea-Watch. Sie hatte auf dem Kirchentag in der Dortmundert Westfalenhalle gefordert:

„Weil keine Rettungsschiffe durch die Gewässer fahren, die Rettungen durchführen, steigt die Todesrate weiter, wenn wir nicht jetzt handeln. Wir brauchen wieder Schiffe, die Sorge tragen können, dass der nächste Weltflüchtlingstag gebührend gefeiert werden kann. Wir als Sea-Watch wollen gemeinsam mit der Zivilgesellschaft, den Städten und Kommunen, der Kirche und euch allen ein Zeichen setzen und ein Schiff in das tödlichste Gewässer der Welt schicken. Ein Schiff der Gemeinschaft, der Solidarität und Nächstenliebe. Ein Schiff von uns, von euch, von allen.“

„Wir als Sea-Watch“ – die Seenotrettungsorganisation wollte also eigentlich von Anfang an Teil des Projektes sein, das von einem breiten gesellschaftlichen Bündnis getragen wird. Durch die Formulierung in der Resolution kam aber an: „Die Kirche soll ein Schiff schicken.“ Damit hatte der Kirchentag der EKD eine Hypothek gegeben, die zwar gut gemeint ist, sie aber wie ein Korsett einschnürt. Denn von Anfang an war klar, dass die EKD auf mehreren Ebenen damit überfordert wäre, selbst zum Flüchtlingsretter zu werden. Dass sie nicht das Knowhow dazu hat, gaben auch mehrere Ratsmitglieder an. Michael Diener betonte im pro-Interview, die Kirche wolle keine Expertin für Seenotrettung werden. Der Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Markus Dröge, sagte laut Evangelischem Pressedienst (epd), die EKD sei nicht die richtige Institution, um als Reederei aufzutreten.

Hinzu kommt ein weiterer Grund: Die EKD ist eben keine quirlige Schar von Aktivisten, die das Gesetz im Notfall auch mal großzügig auslegt, wenn die Situation es gebietet. Diener deutete schon im pro-Interview an, dass die Kirche das Schiff auch einer Organisation wie Sea-Watch übergeben könnte. So scheint es nun zu kommen, wie Markus Dröge laut epd bestätigte. Wie das Flensburger Tageblatt berichtet, ist die EKD am Kieler Forschungsschif „Poseidon“ interessiert, das im kommenden Jahr versteigert werde.

Warum geht das Geld nicht direkt an Sea-Watch?

Es drängt sich eine Frage auf: Warum fließt das zu sammelnde Geld nicht direkt an die Organisation Sea-Watch, die mutmaßlich am besten weiß, wo Geld am dringendsten gebraucht wird? Sea-Watch schätzt die Betriebskosten eines Schiffes inklusive Besatzung und Kraftstoff auf zwei bis drei Millionen Euro jährlich. Die Organisation gibt zwar an, dass tatsächlich mehr Schiffe gebraucht würden. Aktuell ist zum Beispiel die „Sea-Watch 3“ beschlagnahmt und kann keine Menschen retten. Damit die Rettung trotzdem weitergehen kann, hat die Organisation 60.000 Euro an die Kollegen der „Alan Kurdi“ gespendet. Es wird also auch Geld benötigt, das Sea-Watch im Sinne der Seenotrettung einsetzen könnte – entweder für ein neues Schiff, zur Unterstützung aktueller Missionen oder als Hilfe für ähnlich gesinnte Organisationen.

Zudem unterstützt die EKD bereits „Moonbird“, das Aufklärungsflugzeug von Sea-Watch, mit einem „relevanten Teil der Kosten“. Es bleibt der Eindruck, dass das Schiff der Kirche, beziehungsweise des künftigen Bündnisses, auch einen Symbolcharakter hat. Besser wäre es, das dahinterstehende Anliegen der Seenotrettung in den Fokus zu nehmen. Ohne Fixierung auf ein Schiff. Denn wichtig ist, dass Menschen gerettet werden, nicht wie. Das Kirchentagspublikum dürfte kaum anderer Meinung sein.

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