Bringt die Szene der Videospieler Attentäter hervor? Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) musste am Wochenende viel Kritik einstecken, weil er ankündigte, nach dem Attentat in Halle Gamer stärker zu beobachten. Das hatte er in einem ARD-Beitrag gesagt. Der Täter hatte seinen Angriff auf die Synagoge und die Morde live ins Internet übertragen – auf die Plattform Twitch, auf der die Nutzer auch Videospiele spielen oder anschauen. Auch andere Beiträge des Täters weisen darauf hin, dass er Teil einer rechten Online-Community war. Das berichtete unter anderem die Tageschau und berief sich auf eine Einschätzung der Extremismusforscherin Julia Ebner.
Die Wissenschaftlerin, die am Londoner Institute for Strategic Dialogue forscht, erklärte auf der Frankfurter Buchmesse am Mittwoch, dass Extremisten teilweise gezielt im Gamer-Milieu neue Mitglieder rekrutieren. „Extremistische Bewegungen haben es geschafft, ihre Recruiting-Methoden zu ‚gamifizieren‘ und verwenden definitiv sehr viel vom Vokabular und den kulturellen Elementen der Gaming-Kultur“, sagte sie. Das zeige sich bei dem jüngsten Anschlag in Halle, aber auch bei den Attentaten etwa in Kalifornien oder Neuseeland. Extremisten würden es gezielt darauf anlegen, ihre Propaganda in den Online-Foren dieser Szene zu platzieren. Es gebe eine höhere Tendenz in diesen Communitys, rekrutiert zu werden. Jedoch sollten nicht alle Videospieler pauschal verdächtigt werden, extremistisch zu sein.
Extremisten nutzen Social Media geschickt für ihre Zwecke
Wie Ebner sagte, seien Extremisten bei der Anwendung neuer Kommunikationsmedien „immer einen Schritt voraus“. Rechtsextremisten wie auch Islamisten würden die neuesten Informationstechnologie verwenden, um mit anderen zu kommunizieren, Anhänger zu rekrutieren oder auch ihre Taten zu planen. Fälle von Hackerangriffen, von Doxing – wenn personenbezogene Daten gesammelt und öffentlich ins Netz gestellt werden – oder des „Livestream-Terrorismus“ seien Beispiele dafür. Plattformen in den Sozialen Medien spielten dabei eine entscheidende Rolle. „Diese Gruppen sind sehr geschickt darin, gute Social-Media-Kampagnen zu machen und die Algorithmen ideal für ihre Zwecke auszunutzen, um zu einer Wahrnehmungsverzerrung im Online-Raum zu führen“, sagte Ebner. Gleichzeitig spiele die Funktionsweise dieser Kanäle extremistischen Kommunikationsstrategien in die Hände. Nutzer sollten möglichst lang auf ihrer Plattform gehalten werden, extremistische und gewaltvolle Inhalte würden dabei die Aufmerksamkeit besonders binden.
Das Verhältnis von extremistischen Bewegungen zu journalistischen Medien bezeichnete Ebner als „Hassliebe“: Einerseits brauchten sie die Medien, um öffentliche Aufmerksamkeit für ihre Kampagnen zu erzeugen. Das erreichten sie zum Beispiel durch provokante Aktionen, über die Medien dann berichteten. Andererseits gebe es Hetze bis hin zu Morddrohungen gegenüber Vertretern der „Mainstreammedien“. Das habe in den vergangenen Jahren zugenommen und sei ein weltweites Phänomen. Hinzu kämen gezielte Kampagnen mit Falschmeldungen. „Das führt zu einer Destabilisierung des gesamten Informations-Ökosystems.“ Nach Ansicht Ebners braucht es internationalen politischen Druck auf Technologie- und Internetfirmen, damit auf ihren Plattformen extremistischer Kommunikation und Echokammern mit diesen Inhalten vorgebeugt werden könne.
Für ihre Bücher „Wut. Was Islamisten und Rechtsextreme mit uns machen“ (2018) und „Radikalisierungsmaschinen“ (2019) recherchierte Ebner verdeckt unter islamistischen und rechtsextremen Gruppen in verschiedenen Ländern. Als Forscherin berät sie Politiker und Technologieunternehmen und ist auch als Extremismus-Expertin in den Medien präsent.
Von: Jonathan Steinert