Die Nationalsozialisten haben 1939 einen historisch bedeutsamen Ort gewählt. Auf der Wartburg hatte Martin Luther das Neue Testament ins Deutsche übersetzt. Am Fuße der Burg in Eisenach sorgte das „Entjudungsinstitut“ dafür, ab 1939 alles Jüdische aus Gesangbüchern, Bibeln und dem kirchlichen Leben zu streichen. Im Lutherhaus Eisenach beleuchtet eine Sonderausstellung die Geschichte der Entstehung, Arbeit und Wirkung der Einrichtung genauer.
Die Gründer stellten sich bewusst in die vermeintliche Tradition Luthers. Sie vereinnahmten dessen antijüdische Aussagen für ihre Arbeit. Eine der treibenden Kräfte für die Gründung war der Jenaer Theologe Walter Grundmann. Das NSDAP-Mitglied forderte schon früh, dass die Kirchen „die Trennung von allem Jüdischen konsequent vollziehen müssten“. Der Thüringer Superintendent Hugo Pich sandte im November 1938 an alle evangelischen Landesbischöfe die Aufforderung, das Amt zu gründen.
Fünf Mitarbeiter und 200 Partner arbeiten an der „Entjudung“
Elf deutsche Landeskirchen beteiligten sich – auch finanziell – an der Einrichtung. Am 6. Mai 1939 wurde sie mit hochrangigen Gästen eröffnet. Das Institut stellte sich in die Tradition des christlichen Antisemitismus. Jesus sei kein Jude gewesen und die Juden dem Christentum „wesensmäßig fremd“. Einige sahen Luther als „Vorläufer Hitlers“. Das Institut müsse dessen Absichten konsequent fortführen. Der Gründungsbeschluss wurde im Gesetzblatt der Deutschen Evangelischen Kirche (DEK) veröffentlicht und erlangte damit kirchenrechtlichen Rang.
Die Ausstellung verdeutlicht, wie veränderte Texte aussahen. In den Bibelstellen wird die jüdische Herkunft Josefs bewusst verschwiegen. Auch die Gottesdienstliturgie, Gebete, Lieder und die Theologenausbildung wurde nach „rassischen“ Kriterien überarbeitet, um das Bild eines „arischen Jesus“ zu erzeugen. Fünf Mitarbeiter und bis zu 200 Partner halfen mit ihrer Expertise das Ziel umzusetzen. Leiter des Instituts wurde Oberregierungsrat Siegfried Leffler. Grundmann gehörte zu den hauptamtlichen Mitarbeitern.
„Wirkung schwer messbar“
In der Praxis sah es so aus, dass sich der Standort in Jena um alle wissenschaftlichen Fragen kümmerte. Die Pressestelle war in Weimar. In Eisenach saßen Leitung und Geschäftsstelle. „Dadurch wurden geschickt bereits vorhandene Strukturen genutzt“, sagt der Historiker Michael Weise gegenüber pro. Von 1940 bis 1942 kamen bei drei Arbeitstagungen bis zu 600 Teilnehmer zusammen. Die dort gebildeten Arbeitskreise legten Ergebnisse vor, die in das Gemeindeleben einfließen sollten.
So gab es 1941 ein „entjudetes“ Neues Testament, in dem die Bezüge und Zitate aus dem Alten Testament getilgt waren. Später veröffentlichte das Institut einen „judenreinen“ Katechismus für Schule und kirchlichen Unterricht mit dem Titel „Deutsche mit Gott“. Sie wurden in großer Stückzahl in Umlauf gebracht. Kurator Jochen Birkenmeier betont im Gespräch mit pro, dass die „Wirkung dieser Veröffentlichungen auf das kirchliche Leben schwer messbar ist“. Das Institut arbeitete eng mit anderen antisemitischen Einrichtungen zusammen. Nationalsozialistische Zeitschriften berichteten regelmäßig über die Aktivitäten aus Eisenach.
Nazi-Lüftungsgitter und antisemitische „Fratzen“
Die Ausstellung zeigt anschaulich, wie sich die Nazi-Ideologie in den Kirchenbauten selbst widerspiegelte. Zu sehen sind Hakenkreuz-Lüftungsgitter und angebrachte Parteiadler in Kirchen. Manche Kunstwerke sind so verändert, dass jüdische Personen ein „antisemitisches Gesicht“ erhielten. Der Besucher erfährt, dass die Bewegung unter anderem nach Skandinavien „schwappte“ und es dort ähnliche Einrichtungen gab.
Die Arbeit des Instituts kam zum Erliegen, als Mitarbeiter für den Krieg eingezogen wurden. Ende Juli 1945 wurde es offiziell aufgelöst. Die Landeskirchen verkündeten relativ schnell, fortan wieder das alte Material zu nutzen. Ernüchternd ist für den Besucher, wie schnell die Protagonisten wieder in kirchliche Führungspositionen kamen. Grundmann kümmerte sich an der Universität Jena um die Ausbildung des theologischen Nachwuchses. Leffler wurde Pfarrer der bayerischen Landeskirche.
Die geschichtliche Aufarbeitung erwies sich in der DDR als schwierig. Archivmaterial war kaum zugänglich. Eine tiefergehende Auseinandersetzung mit dem Institut begann erst nach der Wiedervereinigung. Eine Beschäftigung mit dem Thema sei nicht unbedingt karrierefördernd gewesen, sagt Birkenmeier. Gemeinsam mit seinem Kollegen Michael Weise möchte er die Ausstellung als Impuls begreifen. „Für uns bleibt die Frage, welche geistigen Kontinuitäten sich nach 1945 fortgesetzt haben und inwiefern Menschen mit ihren Ansichten andere prägen, ohne es zu merken.“ Um darüber nachzudenken, ist die kleine, aber feine Ausstellung ein wertvoller Beitrag.
Weitere Informationen zur Sonderausstellung gibt es hier.
Von: Johannes Blöcher-Weil
Eine Antwort
Endlich wird dieses kaum zu ertragende Kapitel des Versagens der ev. Kirche deutlich gemacht. Für mich gab es nach dem Besuch der Ausstellung drei Etappen, über die ich nicht hinwegkomme:
1. Dass Christen sich so verbiegen lassen können (ich bin aus der ehemaligen DDR, habe also
Repressionserfahrungen)
2. Dass es nach dem Krieg für diese Menschen nahtlos weiterging (Grundmann wurde Leiter des kateche-
chetischen Seminars in Eisenach, ein anderer bekam 1960 das Bundesverdienstkreuz, Mauersberger
Thomaskantor usw.)
3. Die Reaktionen der heutigen Christen, wenn das Thema „Entjudungsinstitut“ angesprochen wird.
Mich hat es erschüttert, wie im Jahre 2021 von Verantwortlichen und Mitgliedern der Kirche verdrängt
wird.