Einer hat den Überblick übers Leben

Große Liebe und Familienglück, umgeben von Weinbergen – es könnte die Vorlage für einen Kitschroman sein. Stattdessen ist „Der Sommer war sehr groß“ der Lebensbericht zweier junger Leute, der von harter Arbeit erzählt. Aber auch von Sinn und Zusammenhalt. Eine Rezension von Christina Bachmann
Von Christina Bachmann
Kilian und seine Frau Angelina werden von einem auf den anderen Tag Weinbauern

Am Anfang steht ein Schicksalsschlag: Kilians Vater, ein Weinbauer, kommt durch einen tragischen Arbeitsunfall ums Leben. Schon die ersten Tage danach sind bezeichnend: Auch wenn der Schock über den Tod des Vaters tiefsitzt, gilt es für die Familie, die Ärmel hochzukrempeln und weiterzumachen. Unterstützung kommt von vielen Seiten und nicht zuletzt hilft die viele Arbeit ein Stück über die Trauer hinweg. So keimt im Chaos die Hoffnung.

Bald stellt sich die Frage: Was geschieht mit dem Weingut, dem Lebenswerk von Kilians Vater? Die Bewirtschaftung des Calmont – ein Höhenzug des Moseltals und steilster Weinberg Europas – erfordert Kraft und Erfahrung. Kilian ist 23 Jahre alt, seine Freundin Angelina 20. Beide sind mitten im Weinbau-Studium. Eben noch „sorglose Studenten an der Uni“, so Angelina, sind sie nun konfrontiert mit einer Herkulesaufgabe. Dennoch, die Entscheidung muss schneller reifen als guter Wein – beiden ist kurz nach dem Tod des Vaters klar: Eigentlich ist sonst keiner da, der hier weitermachen kann. Beiden ist auch klar: Wir schaffen das!

Schicksal und Gottvertrauen

In „Der Sommer war sehr groß“ wechseln abschnittsweise die Erinnerungen von Kilian und Angelina. Wenn der junge Mann die Aufbauarbeit seines Vaters schildert, spürt man seine Achtung dafür, was dieser geleistet hat – und auch dem im Weinbau weniger beschlagenen Leser wird deutlich, was es heißt, solch eine Lebensaufgabe zu übernehmen. Für die „Love Story“ im Buch ist vor allem Angelina zuständig: Von ihr erfährt der Leser, wie es damals anfing mit ihr und Kilian. Sie erst 13, er 16 Jahre alt – dass ihre gemeinsame Geschichte schon so früh begann und so gut verlief, ist für Angelina ein „ganz besonderes Geschenk“ von „dem da oben“.

Mit Anfang 20 ist das junge Paar, das eine ganze Weile noch nicht einmal Zeit fürs Heiraten findet, verantwortlich für ein großes Weingut. Die Katastrophen bleiben nicht aus: Dauerregen halbiert die Ernte, die beiden wissen mitunter nicht, wie sie ihren Kühlschrank füllen sollen. Doch unermüdlich halten sie an ihrer Berufung fest und machen aus der Not eine Tugend, indem sie ihre Kunden teilhaben lassen an den Geschichten, die hinter einer Flasche guten Weines stecken. In der Herstellung wagen sie Neues und bekommen nach und nach Bestätigung, auch durch professionelle Auszeichnungen.

Das Paar hat weitere schwere Zeiten durchzustehen: Wenige Jahre nach dem Tod des Vaters verliert Kilian seine Mutter durch einen qualvollen Krebstod. Die Geburt von Tochter Emilia gestaltet sich durch Anzeichen einer Schwangerschaftsvergiftung dramatisch. Im Hamsterrad des Alltags fehlt oft die Zeit füreinander. Wo manch anderer verzweifeln würde, zeichnen sich Kilian und Angelina durch ein fast selbstverständlich scheinendes Gottvertrauen aus, auch angesichts von vielem, was sie nicht verstehen. „Gott hat uns in den letzten acht Jahren zwar sehr viel genommen, aber auch unfassbar viel gegeben“, bekennt Angelina. Es tue gut, im Glauben einen Halt zu haben und darauf vertrauen zu können, „dass da jemand ist, der in allem Auf und Ab des Lebens den Überblick behält“.

Wein und Glücksmomente

Das Buch punktet mit der Offenheit, mit der die beiden erzählen. Es fühlt sich ganz so an, als würde man ihnen – ganz sicher bei einem guten Glas Wein – gegenübersitzen und sie erzählten einem ihre Geschichte. Von Rückschlägen und Glücksmomenten, von dem Entschluss, etwas zu wagen und gemeinsam etwas zu (er)schaffen. Angelina und Kilian, so scheint es, haben ihre sinngebende Lebensaufgabe gefunden. Ihr Arbeitspensum wünscht sich vermutlich keiner der Leser – aber um ihr Zueinanderstehen in der Einheit von Leben und Beruf wird sie mancher beneiden.

Angelina und Kilian Franzen: „Der Sommer war sehr groß“, bene!, 192 Seiten, 18 Euro (E-Book 15,99 Euro), ISBN: 978-3-96340-068-1 Foto: Droemer Knaur
Angelina und Kilian Franzen: „Der Sommer war sehr groß“, bene!, 192 Seiten, 18 Euro (E-Book 15,99 Euro), ISBN: 978-3-96340-068-1

Von: Christina Bachmann

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