Erste neue Kirche in der Türkei seit 96 Jahren entsteht

Die aramäischen Christen in Istanbul erhalten eine neue Kirche. Es ist das erste christliche Gotteshaus, das in der Türkei seit 1923 errichtet wird. Die Bauzeit soll zwei Jahre betragen. Eine Menschenrechtsorganisation sieht den vermeintlichen Fortschritt aber kritisch.
Von PRO
Im Stadtbild von Istanbul dominieren die Moscheen. Im Stadtteil Yesilköy wurde am Wochenende eine Kirche eröffnet

Nach fast einem Jahrhundert wird in der Türkei wieder eine neue christliche Kirche gebaut. Der Grundstein dafür wurde am Samstag gelegt. Auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan war dabei anwesend.

Die Kirche der christlich-syrischen Minderheit soll im Istanbuler Stadtteil Yesilköy entstehen. Die Genehmigung hatte die islamisch-konservative AKP-Regierung 2015 erteilt. Laut Süddeutscher Zeitung leben in der Türkei 25.000 syrisch-orthodoxe Christen, davon 17.000 in Istanbul und Umgebung. In Deutschland sind es etwa 100.000 Menschen, von denen sich viele Assyrer nennen.

Sechsstellige Summe für den Grundstücksstreit

Das Oberhaupt der syrisch-orthodoxen Kirche für Istanbul und Ankara, Yusuf Cetin, bezeichnete den geplanten Neubau laut Medienberichten als „historischen Tag“. Erdogan nannte die Kirche eine „Bereicherung“.

Das neue Gotteshaus wird mit Spenden gebaut. Die Süddeutsche Zeitung berichtet, dass ein Teil des gesammelten Geldes bereits für einen Grundstücksstreit mit der Katholischen Kirche verwendet werden musste. Der türkische Botschafter des Papstes vermittelte bei einer Lösung. Die Aramäer mussten eine sechsstellige Summe spenden.

„Unehrliche Symbolpolitik“

Deutlich kritischer sieht Martin Lessenthin, Sprecher des Vorstands der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM), den Kirchenneubau: „Der türkische Präsident täuscht die Öffentlichkeit durch eine unehrliche Symbolpolitik. Christen und andere religiöse Minderheiten sehen sich in der Türkei Erdogans anhaltendem Druck und Diskriminierung ausgesetzt. Der Völkermord von 1915 an den Armeniern und anderen christlichen Minderheiten wird bis heute geleugnet.“

Erdogan betreibe eine Politik der Marginalisierung der religiösen Minderheiten. Im syrisch-kurdischen Kanton Afrin seien Erdogans Truppen an der Vertreibung von christlichen Aramäern und Jesiden beteiligt: „Der angekündigte Kirchenbau in Istanbul ist seit 2015 beschlossen, aber noch nicht einmal begonnen. Demgegenüber werden armenisch-christliche Stiftungen enteignet und das berühmte griechisch-orthodoxe Theologenseminar auf der Insel Chalki bleibt trotz aller Versprechungen seit 1971 geschlossen.“

Die kleinen christlichen Gemeinden kämpften oft jahrzehntelang mit dem Staat um ihren Besitz. Seit 2002 Erdogans AKP an die Regierung kam, wurde vermehrt Eigentum zurückgegeben. Die Bevölkerung der Türkei ist zu mehr als 99 Prozent muslimisch. Seit Gründung der Republik 1923 durfte die christliche Minderheit ihre Kirchen zwar meistens renovieren, ein Neubau war bislang aber noch nicht genehmigt worden.

Von: Johannes Blöcher-Weil

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