Leider ein Hochglanz-Propagandafilm gegen Israel

Die Dokumentation „Gaza – Leben an der Grenze“ zeigt das Alltagsleben der Palästinenser im Gazastreifen mit poetisch-stilisierten Bildern. Den beiden irischen Filmemachern gerät aber das Ganze zum Propagandafilm gegen Israel, weil sie sich nicht an die Darstellung der Hamas herantrauen. Eine Filmkritik von Michael Müller
Von PRO
Die Dokumentation „Gaza – Leben an der Grenze“ zeigt den Alltag von Palästinensern im Gazastreifen

Die beiden irischen Filmemacher Garry Keane und Andrew McConnell haben ihre Dokumentation „Gaza – Leben an der Grenze“ als Hommage an die einfachen Palästinenser gedacht, die im Gazastreifen leben. Dabei ist ihnen aber der Film, der hauptsächlich über Bilder und Sinneseindrücke funktioniert und auf einen erzählenden Off-Kommentar verzichtet, zum Propagandafilm geraten. Der Kultursender Arte strahlt ihn am 26. Juni um 23 Uhr im Fernsehen aus.

Vier Jahre lang, von 2014 bis 2018, filmten die beiden irischen Regisseure Menschen und deren Schicksale im Küstenstreifen am Mittelmeer zwischen Ägypten und Israel. Eine der wichtigsten Qualitäten des Films ist es, dass er versucht, so viel wie möglich vom Alltag der Palästinenser abzubilden und Eindrücke vom Leben im Gazastreifen zu vermitteln.

Die Kameras schildern abendliche Straßenszenen und Strandcafés. Poetisch muten die Pferde auf den Straßen Gazas an. Dazwischen geschnitten sind die vermummten Hamas-Krieger mit ihren Raketenwerfern und Maschinengewehren. Ein Mann sagt, die Zeiten seien schlecht. Er könne sich keine vierte Ehefrau nehmen. 40 Kinder habe er. Auf die Frage, welche davon in die Schule gehen, zieht er einen Zettel, auf dem die Namen seiner Kinder stehen. Nach kurzer Draufsicht kann er die Schule zumindest für alle männlichen Kinder bestätigen. „Gaza – Leben an der Grenze“ erzählt die Leben der Menschen wie kleine Schlaglichter und vermittelt eine gewisse Normalität. Der Strand, die Surfer, Schwimmer und Fischer sind ein immer wiederkehrendes Motiv. Es gibt viele stilisierte Zeitlupeneinstellungen.

Pferd im Wasser: Die Doku „Gaza – Leben an der Grenze“ ist immer dann stark, wenn sie dem Zuschauer überraschende Facetten des Gazastreifens zeigt Foto: gebrueder beetz filmproduktion
Pferd im Wasser: Die Doku „Gaza – Leben an der Grenze“ ist immer dann stark, wenn sie dem Zuschauer überraschende Facetten des Gazastreifens zeigt

Ein gewisser Wohlstand wird gezeigt

Auch ein gewisser Wohlstand wird in bestimmten Schichten gezeigt. Die Doku schildert eine offenbar besser situierte Familie, die im Garten Häppchen isst. Die Mutter erzählt, dass ihr Vater ursprünglich aus Jerusalem komme und einer der ersten gewesen sei, der in Istanbul studieren durfte. Interessant ist, dass sich das Alter der Tochter an der sogenannten Zweiten Intifada orientiert. So wie man in Deutschland sagt, dass das Kind zwei Jahre nach der Wiedervereinigung auf die Welt kam.

Wenig erfährt der Zuschauer über die radikal-islamische Hamas, die den Gazastreifen seit 2007 beherrscht. Ein älterer Mann sagt einmal: Wenn wir die Hamas nicht hätten, könnte die palästinensische Angelegenheit gelöst werden. „Aber es wird keine Aussöhnung zwischen der Hamas und der Fatah geben. Nie.“ Die Fatah beherrscht die Palästinensische Autonomiebehörde und damit den palästinensischen Teil des Westjordanlandes. Fatah und Hamas liegen seit Jahren im Streit, regelmäßig scheitern die Aussöhnungsversuche.

Im Jahr 2018 sieht der Zuschauer dann Aufnahmen von den Unruhen an der Gaza-Grenze zum sogenannten „Marsch der Rückkehr“, bei dem die Palästinenser versuchen, den Zaun nach Israel zu stürmen. Über einen dort angeschossenen Palästinenser heißt es, er sei wie die anderen seit zehn Jahren hoffnungslos, dass sich die Situation in Gaza nie verbessere. Mit der Situation ist die hohe Arbeitslosigkeit und die schwierige humanitäre Lage für den durchschnittlichen Palästinenser in Gaza gemeint. Dass die herrschende Hamas dafür verantwortlich ist, erwähnt der Film nicht. Auch nicht, dass sich die Situation nicht verbessern kann, solange die Hamas Terrortunnel nach Israel gräbt, Raketen auf israelische Städte abfeuert, ihre Kinder in den Schulen zu Judenhass aufhetzt und Brandballons über die Grenze schickt.

Konzentration auf Einzelschicksale gäbe eine tolle Doku ab

Hätte sich die Doku mehr auf die Einzelschicksale wie das einer jungen Modedesignerin konzentriert, welche die erste Modenschau von Gaza auf die Beine gestellt hat, wäre das ein wertvoller filmischer Beitrag geworden. Die Modedesignerin mit beduinischen Wurzeln will der Welt zeigen, wie schön und modern Frauen heute im Gazastreifen sein können. Mit einer älteren Kollegin tauscht sich die Designerin über die Vergangenheit aus. Die Kollegin sagt, als sie jung war, sei Gaza sehr liberal gewesen. Im Badeanzug habe sie ans Meer gehen können. Das sei heute anders.

Aber das Finale von „Gaza – Leben an der Grenze“ ist an Einseitigkeit nicht zu überbieten. Israelische Raketen schlagen in Gaza ein. Der Film liefert keinerlei Kontext dazu, was diese Raketen provoziert hat. Es werden nur palästinensische Opfer gezeigt, vor allem tote und weinende Kinder. Als Zuschauer versteht man plötzlich, dass man ein Kind am Anfang des Films nur präsentiert bekam, um es jetzt verletzt im Krankenhaus wiederzusehen. Israel bleibt die gesamte Dokumentation über ein gesichtsloser Gegner. Mal sieht man in der Ferne Militärfahrzeuge, aber nie Menschen oder gar Gesichter. Der jüdische Staat wird als ungerechte Naturgewalt inszeniert, die es auf Gaza abgesehen hat.

Es bleibt ein bitterer Nachgeschmack. Für jeden Moment Wirklichkeit und Alltagsleben in Gaza lohnt bereits ein Blick in die Doku. Letztlich ist es aber nichts anderes als ein Hochglanz-Propagandafilm, der das Leiden der palästinensischen Zivilbevölkerung komplett Israel in die Schuhe schiebt, ohne dabei die Politik der regierenden Hamas zu hinterfragen.

„Gaza – Leben an der Grenze“, Regie & Buch: Garry Keane, Andrew McConnell, 86 Minuten, am 26. Juni um 23 Uhr auf Arte, vom 26.06. bis 25.07. in der Arte-Mediathek.

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