Mehr als 70 Millionen Menschen sind derzeit auf der Flucht, Gefahren ausgesetzt und mussten ihre Liebsten, ihre Heimat, ihre Familien gegen ihren Willen hinter sich lassen. Die Ursachen sind vielfältig: Verfolgung aus religiösen Gründen, Krieg oder Hunger. Vertreter aus Kirche und Gemeinde rufen zum Weltflüchtlingstag am 20. Juni dazu auf, Nächstenliebe zu leben, sich für Bedürftige einzusetzen und die Schicksale der Menschen nicht zu vergessen.
Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, erklärte auf Anfrage von pro: „Am Weltflüchtlingstag denken wir ganz besonders an die Menschen, die gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen, um in Frieden leben zu können. Viele dieser Menschen flüchten über das Mittelmeer. Dieses ist weiterhin die tödlichste Grenze weltweit. Menschen im Mittelmeer ertrinken zu lassen oder sie in die schlimmen Lager in Libyen zurückzuschicken, das ist keine Option für Europa.“
„Das Sterben im Mittelmeer muss aufhören“
Weiter sagte der Ratsvorsitzende: „Es ist höchste Zeit, dass Europa handelt, damit es seine Seele nicht verliert.“ Es müsse eine funktionierende Seenotrettung eingerichtet werden und zudem dafür sorgen, dass die Migranten auf aufnahmebereite Städte verteilt werden können. „Es muss ein Ende haben, dass diejenigen, die jetzt glücklicherweise noch retten, kriminalisiert werden.“ Bereits Anfang Juni unterzeichnete Bedford-Strohm mit Palermos Bürgermeister Leoluca Orlando eine gemeinsamen Erklärung dazu. „Ich appelliere an alle Menschen in Europa, den #PalermoAppell aufzunehmen und sich dafür einzusetzen, dass das Sterben im Mittelmeer endlich aufhört. Jeder Mensch verdient einen Ort, an dem er in Würde leben kann. Dafür müssen wir uns einsetzen – am Weltflüchtlingstag und an jedem anderen Tag“, betonte er gegenünber pro.
Nächstenliebe leben und Evangelium weitergeben
Der Vorsitzende der Deutschen Evangelischen Allianz, Ekkehart Vetter, sagte pro anlässlich des Weltflüchtlingstags: „Politische, wirtschaftliche und religiöse Konflikte veranlassen Menschen, ihre Heimat zu verlassen. Die gesamte Thematik ist hochkomplex, politische Lösungen sind nicht leicht zu realisieren. Aber dass Menschen vor den Küsten Europas jämmerlich ums Leben kommen, das geht gar nicht.“
Vetter ruft zu gelebter Nächstenliebe auf: „Geflüchtete Menschen, in Deutschland oder auf lebensgefährlichen ,Nussschalen‘ im Mittelmeer, sind geliebte Geschöpfe Gottes und Christen sollten dafür eintreten, dass sie auch so behandelt werden! Darum müssen wir fremdenfeindlichen Tendenzen in der Gesellschaft und auch in Kirchen und Gemeinden entgegen treten, die in ablehnender Haltung, herabsetzenden Worten und leider auch immer wieder in Taten Ausdruck finden.“ Zur Entwicklung einer durch christliche Werte geförderten Willkommenskultur gehöre der Aufbau von Kontakten, Unterstützung im Anerkennungsverfahren, Sprach- und Bildungsförderung, Förderung beruflicher Qualifizierungen, und auch, „die Ankommenden mit dem Evangelium und christlichen Werten bekannt zu machen“.
Bischof Heße: Nicht abschotten, sondern christliche Tradition leben
Erzbischof Stefan Heße, Vorsitzender der Migrationskommission und Sonderbeauftragter für Flüchtlingsfragen der Deutschen Bischofskonferenz, erklärte gegenüber pro: „Jahr für Jahr wird der Weltflüchtlingstag der Vereinten Nationen begangen. Die aus diesem Anlass veröffentlichten Flüchtlingszahlen kannten in den letzten Jahren stets nur eine Richtung: nach oben.“ Für den einen oder anderen möge dies fast schon zur Gewohnheit geworden sein. „Gerade deshalb ist es wichtig, sich immer wieder ins Gedächtnis zu rufen, worum es an diesem Tag geht: nicht um abstrakte Zahlen, sondern um Menschen mit konkreten Bedürfnissen. Die Rede ist von schutzsuchenden Kindern, Frauen und Männern“.
Ende Mai besuchte Heße Äthiopien – „ein Land mit einer Million Flüchtlingen und drei Millionen Binnenvertriebenen“. In den Lagern Gambella und Mai Aini sei er Menschen begegnet, „denen nahezu alles genommen wurde. Was ihnen bleibt, sind ihre Würde, ihr Glaube und die Hoffnung auf ein besseres Leben“. Heßes Botschaft zum Weltflüchtlingstag lautet: „Europa darf sich nicht abschotten. Wir sollten unserer christlichen Tradition gerecht werden – dazu gehört es, dass wir schutzsuchende Menschen aufnehmen, schützen, fördern und integrieren.“
Entscheidung über bestimmte Asylanträge nur mit religiöser Fachkompetenz
Auch der Bundesrat des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden (BEFG) befasste sich kürzlich mit dem Thema Flucht und Asyl. Er verabschiedete Anfang Juni eine entsprechende Resolution. Mit dieser will er daran erinnern, dass „Religionsfreiheit und das Recht auf Asyl Grundrechte sind, die zusammengehören“. Die deutsche Geschichte sei „für uns Verpflichtung, denen Schutz durch Asyl zu gewähren, die wegen ihrer religiösen Überzeugungen bedroht werden“. Menschen, denen aufgrund eines Religionswechsels Verfolgung drohe, bräuchten den staatlichen Schutz „in besonderer Weise – ob sie nun bereits in ihrem Herkunftsland konvertiert sind oder erst in Deutschland die Religion gewechselt haben.“
Bereits im Vorfeld des Weltflüchtlingstags am 20. Juni forderte die Resolution von den staatlichen Stellen, dass über Asylanträge aus religiösen Gründen nur Menschen entschieden, die dazu befähigt sind. „Religiöse Fachkompetenz“ sei unerlässlich. Die Folgen dieser Beschlüsse seien für die Betroffenen weitreichend, ja möglicherweise existentiell. „Es darf nicht passieren, dass das Grundrecht auf Religionsfreiheit ausgehöhlt wird. Doch genau dies geschieht, wo Menschen, denen es wegen drohender Verfolgung aus religiösen Gründen zusteht, das Grundrecht auf Asyl nicht gewährt wird.“
Der UN-Flüchtlingskommissar Filippo Grandi blickt mit Sorge auf die Millionen von Menschen auf der Flucht: „Welchen Maßstab man auch nimmt, diese Zahl ist nicht zu akzeptieren. Und aus ihr spricht lauter als jemals zuvor die Notwendigkeit zur Solidarität und zu gemeinsamen Zielen bei der Prävention und Lösung von Krisen.“ Gemeinsam müsse sichergestellt werden, dass die Flüchtlinge, Binnenvertriebenen und Asylsuchenden weltweit angemessen geschützt und versorgt werden. Zugleich müssten Lösungen angestrebt werden.
Von: Martina Blatt