Der Journalist und Kommunikationswissenschaftler Hektor Haarkötter setzt sich mit seiner „Initiative Nachrichtenaufklärung“ dafür ein, Nutzer nachrichtenkompetent zu machen. Zum Beispiel, indem die Initiative darüber aufklärt, wann es sich bei einer Nachricht um Fake-News handelt und woran man das erkennen kann. Jedes Jahr kürt die Initiative die „Top Ten der vergessenen Nachrichten“. Es sind Themen, die in den deutschen Medien wenig Beachtung fanden. Die Auswahl komme durch Vorschläge aus der Bevölkerung zustande, sagte Haarkötter bei den Südwestdeutschen Medientagen in Landau. Jeder könne Themen einreichen, bei denen der Eindruck bestehe, dass zu wenig berichtet worden sei.
Studentische Teams in Rechercheseminaren prüften dann, ob es sich bei dem Vorschlag wirklich um ein Nachrichtenthema handelt und ob die Geschichte relevant ist. Relevanz sei gegeben, wenn das Thema mehr als die Hälfte der Bevölkerung in irgendeiner Weise betreffe. Ein letzter Schritt sei die Prüfung, ob das Thema wirklich vernachlässigt wurde, zum Beispiel in Rücksprache mit Experten und Organisationen. Eine Jury entscheide anschließend über die Top-Ten-Liste. Auf Platz eins der Liste 2019 lag zum Beispiel JEFTA, das Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und Japan. Auf dem zweiten Platz landete das Fluggastdatengesetz und auf dem dritten Platz das Völkerrecht in Venezuela.
„Journalismus kostet Geld“
Die Rechercheergebnisse stelle die Initiative für Redaktionen zur Verfügung. Die Resonanz sei jedoch gering. Denn Nachrichtenredaktionen kämen mit dem „Information Overload“ nicht mehr klar. Zu viele Themen hätten die Redaktionen zu prüfen. „Wenn Sie heute die Agenturen verfolgen, haben sie alleine 4.000 bis 5.000 Meldungen am Tag, die Sie prüfen müssen“, sagte Haarkötter. Dazu kämen dann noch regionale Themen und Einsendungen von Lesern. „Die Zeit, die für Recherche heute übrig ist, wird geringer und geringer.“
Ein weiterer Grund für Nicht-Erscheinen seien Nachrichtenfaktoren. Das sind Kriterien, die Redakteure anlegen, um eine Auswahl zu treffen. Faktoren der Auswahl sind zum Beispiel die Frage nach der Frequenz. Das bedeutet, je häufiger ein Thema in den Medien vorkommt, desto wahrscheinlicher ist es eine Nachricht. Außerdem die Frage nach der Eindeutigkeit: Je eindeutiger und überschaubarer ein Ereignis ist, desto eher wird es zur Nachricht. Unter anderem spielt auch die Tragweite eines Ereignisses eine Rolle bei der Auswahl. „Das Problem ist, dass alle dieselben Kriterien anwenden. Deshalb ist Nachrichtenkonsum oft einseitig“, sagte Haarkötter. Oft kämen Journalisten gegen spezielle PR-Meldungen und -Magazine nicht an. Als Beispiel nannte Haarkötter das Magazin der Deutschen Bahn, das in den Zügen ausliege. Das sei ein PR-Prospekt, erstellt von Journalisten beim Verlag „Gruner + Jahr“, aber im Auftrag der Deutschen Bahn. Oft würde auch Algorithmen die Nachrichtenauswahl überlassen, zum Beispiel bei Google News. Dort entscheide aber die Klickzahl über das Erscheinen. „Wirklich Neues, was mich persönlich interessiert, kann ich deshalb dort selten erfahren.“ Auch Junk-Food-News seien eine Bedrohung für den Journalismus. Das seien Boulevard-Nachrichten ohne jegliche nachrichtliche Relevanz, die nur der Unterhaltung dienten, aber eine hohe Reichweite erzielten.
Haarkötter fordert dazu auf, die Nachrichtenfaktoren, die alle Journalisten anwenden, zu vernachlässigen, um wirklich exklusive Themen zu bringen. Der Pluralismus der Medien müsse außerdem mehr genutzt werden. „Man guckt ja nicht, was mit der Fußball-Liga in Indonesien ist. Aber das könnte man ja mal“, sagte Haarkötter. Es gebe heutzutage so viele Zugänge zu Informationen. Für Journalismus solle zudem mehr Geld gezahlt werden. „Wir brauchen unabhängige Instanzen, die uns über gesellschaftlich relevante Themen informieren. Das kostet Geld.“
Von: Swanhild Zacharias