Sollten „Konversionstherapien“ verboten werden?

Homosexualität ist keine Krankheit und muss nicht therapiert werden: So hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) begründet, warum er sogenannte Konversionstherapien verbieten möchte. Die Deutsche Evangelische Allianz hat sich gegen das Vorhaben gewandt. Beide haben nachvollziehbare Gründe. Auch bei pro gibt es verschiedene Positionen. Ein Pro-Kontra von Anna Lutz und Jonathan Steinert
Von Jonathan Steinert
Regenbogenfahne

Ja: Therapieangebote erhöhen den Druck

Die Deutsche Evangelische Allianz will, dass sogenannte Konversionstherapien legal bleiben. Dafür hat sie Gründe, die weniger anstößig sind, als das auf den ersten Blick aussieht: „Der Staat darf kein Therapieziel von vornherein ausschließen“, heißt es in einem Brief der Evangelikalen an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages. Anders formuliert: Die Bundesregierung hat in den Schlafzimmern der Deutschen nichts verloren. Jeder soll für sich entscheiden dürfen, ob er seine Homosexualität auslebt, annimmt oder mithilfe eines Therapeuten zu ändern versucht. Das klingt nach maximaler Freiheit für jene, die Hilfe suchen. Doch die Allianz lässt eine Frage offen: Warum suchen Homosexuelle überhaupt bei einem Therapeuten Hilfe? Was bringt sie dazu, ihre Orientierung ändern zu wollen?

Im Februar zeigten deutsche Kinos einen Film, der Aufschluss darüber gibt. „Der verlorene Sohn“ erzählt die wahre Geschichte des US-Amerikaners Garrard Conley, als Buch erschien sie unter dem Titel „Boy Erased“. Conley ist der Sohn eines evangelikalen Pastors. In seiner Teenagerzeit entdeckt er seine Homosexualität und beichtet es den Eltern. Nach einem gemeinsamen Gebet am Küchentisch willigt er ein, sich in eine Therapieeinrichtung zu begeben, in der er grausamen Umpolungsversuchen und religiösem Missbrauch ausgesetzt ist. Er verlässt die Einrichtung mit Hilfe seiner Mutter und führt fortan ein Leben als schwuler Mann, fernab der Kirche seiner Jugend und der provinziellen Heimat der Eltern.

Großangelegte Homo-Heilungsinstitute wie in diesem Film dargestellt gibt es in Deutschland nicht. Das aktuelle Gesetzgebungsvorhaben speist sich dennoch aus Bildern wie jenen in „Der verlorene Sohn“. Und in der Tat gibt es im freikirchlichen Spektrum jene, die zumindest Befreiungsgebete für Homosexuelle sprechen, das belegte einst eine Dokumentation des NDR.

Sich annehmen und glücklich werden

„Der verlorene Sohn“ ist nicht wegen seiner Innenansicht des amerikanisch-evangelikalen Therapiemarktes für die aktuelle Debatte interessant. Sondern weil er aufzeigt, warum sich Conley als Jugendlicher in die Hände der mutmaßlichen Spezialisten begab: Eltern und Gemeinde hatten ihn durch Normen und Regeln sein Leben lang geprägt. Conley wollte ein anderer sein, um ihnen gerecht zu werden. Er ging freiwillig. Und doch nicht mit freiem Willen.

Deshalb ist das Anliegen von Bundesgesundheitsministers Jens Spahn, solche Therapien zu vebieten, richtig und das der Allianz falsch: So lange es in und um Gemeinden herum Angebote gibt, die vermitteln, dass eine sexuelle Orientierung durch menschliches Handeln änderbar ist, ja womöglich noch durch eine bestimmte Form des Gebets oder die eigene Willensstärke, so lange werden Menschen sie annehmen. Der Druck, der auf Menschen lastet, die erkennen, dass sie in lebensbestimmenden Aspekten anders ticken als die Mehrheit und all die (frommen) Vorbilder in Film und Musik, ist kaum vorstellbar.

Darf der Staat sich in die Schlafzimmerangelegenheiten der Deutschen einmischen? Die Antwort auf diese Frage ist ein deutliches: Ja. Nämlich dann, wenn Menschen in ihren Schlafzimmern Zwang und Gewalt erfahren, sei sie körperlich, geistig oder vermeintlich geistlich. Konversionstherapien müssen verboten werden. Nicht, weil die Therapeuten selbst Gewalt ausübten, auch wenn das in Einzelfällen vorkommen mag. Für sie gelten bereits jetzt Gesetze, die ihnen ihr Handeln untersagen. Sondern weil die Existenz der Angebote die Gewalt der Gesellschaft gegenüber Schwulen, Lesben und Transsexuellen legitimiert. Konversionstherapien suggerieren, niemand müsse mit seiner Andersartigkeit leben. Dabei besteht die wahre Herausforderung doch darin, Andersartigkeit als Besonderheit zu definieren. Sich mit dem Selbst zu arrangieren. Und glücklich zu werden.

Von: Anna Lutz

Nein: Wer leidet, braucht Hilfe

Es ist richtig, dass sich die Deutsche Evangelische Allianz gegen ein pauschales Verbot von Therapien für homosexuell empfindende Menschen gewandt hat. Homosexualität sei keine Krankheit und müsse daher nicht therapiert werden, hatte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn gesagt. Das mag so allgemein gesprochen zutreffen. Aber im Sinne Betroffener könnte ein differenzierterer Blick nötig sein. Mit „Betroffenen“ sind hier nicht alle Homosexuellen gemeint. Sondern jene, die einen Leidensdruck wegen ihrer sexuellen Orientierung verspüren. Wie viele das sind, lässt sich schwer messen. Aber dass es welche gibt, davon kann man ausgehen.

Ein Leidensdruck ist ja der Grund, überhaupt eine Therapie in Anspruch nehmen zu wollen. Wer keinen hat, darf sich freuen. Aber er sollte nicht über die urteilen, die anders empfinden (was auch anders herum gilt). Um den Leidensdruck zu reduzieren, kann eine Therapie zwei grundsätzliche Ziele haben: Entweder man lernt in der Therapie, sich so anzunehmen, wie man empfindet. Oder man kommt durch die Therapie dazu, anders zu empfinden. Insofern ist der Forderung der Allianz, eine Therapie müsse ergebnisoffen sein, zuzustimmen.

Nun stellen sich jedoch weitere Fragen: Woher kommt ein mögliches Unwohlsein mit der eigenen Homosexualität? Woher rührt ein Leidensdruck? Kritiker der „Konversionstherapien“ führen ins Feld, dass daran das soziale Umfeld schuld sei: Wenn Homosexualität nicht anerkannt ist und kritisch gesehen wird, stellen sich auch Homosexuelle deswegen stärker infrage. Das ist sicherlich richtig und auf jeden Fall plausibel. Aber das Argument setzt mir zu sehr auf Verallgemeinerung. Da sollte man schon bei jedem Einzelnen genau hinschauen.

Keinen Druck ausüben

Eine ebenfalls entscheidende Frage ist: Woher kommt die homosexuelle Empfindung eines Menschen? Ist sie angeboren oder irgendwie erworben? Ganz genau ist das noch nicht erwiesen. Es gibt verschiedene Erklärungsansätze. Einige machen Gene und Hormone dafür verantwortlich, sodass ein homosexuell empfindender Mensch demnach als solcher geboren wird. Andere sehen auch psychische und soziale Faktoren als mögliche Auslöser an. Im Einzelfall können womöglich auch verschiedene Dinge zusammenkommen. Gerade wenn man auf psychische Ursachen abstellt, erscheint eine Therapie nicht als absurdes Vorhaben, wenn sich jemand mit seiner sexuellen Orientierung nicht wohlfühlt – im Gegenteil.

Wenn Menschen ihre geschlechtliche Identität infrage stellen und ein Mädchen zu einem Jungen, ein Mann zu einer Frau werden möchte, helfen unter anderem Hormontherapien. Das wird gesellschaftlich weit weniger skeptisch gesehen als wenn es um die sexuelle Orientierung geht. Aber warum sollte es da nicht ebenso möglich und statthaft sein, einem Leidensdruck mit einer Veränderung zu begegnen?

Natürlich darf niemand unter Druck gesetzt werden, seine Homosexualität therapieren zu lassen. Hier müssen christliche Gemeinden sehr vorsichtig sein. Gerade weil Themen der Sexualität oft in der Seelsorge besprochen und damit auch mit Fragen des Glaubens in Verbindung gebracht werden. Aber genau deshalb ist ein Verbot ebenfalls kritisch zu sehen. Denn je nach dem, wie weit es schließlich reicht, könnte auch die christliche Seelsorge davon betroffen sein und somit ein grundlegender Bestandteil der Glaubenspraxis. Wenn Therapien und Beratungen zu „konflikthaft erlebten homosexuellen Impulsen und Gefühlen“ tatsächlich verboten werden, könnte das das Leiden mancher Menschen vergrößern. Geholfen wäre damit kaum jemandem. Es wäre vor allem eine politisch-ideologische Entscheidung.

Von: Jonathan Steinert

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