Bislang müssen Schwangere 130 Euro für einen Bluttest bezahlen, der sehr zuverlässig Auskunft darüber gibt, ob ein Kind an Trisomie erkrankt ist. Der Test ist deswegen umstritten, weil sich fast 90 Prozent der Eltern nach einem positiven Ergebnis für eine Abtreibung entscheiden. Deswegen gehen die Meinungen zur Übernahme der Kosten durch die Gesetzliche Krankenkasse auseinander – auch unter Christen.
Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) spricht sich dafür aus, dass der Test als Kassenleistung anerkannt wird. Allerdings unter der Bedingung, im Rahmen der Mutterschaftsvorsorge umfassende ethische und psychosoziale Beratungsangebote zu etablieren. „Ohne eine solche Beratung erscheint die Einführung der nicht-invasiven Pränatal-Tests (NIPT) als Regelleistung der Gesetzlichen Krankenversicherung der Kammer und dem Rat der EKD nicht als zustimmungsfähig“, betont der EKD-Ratsvorsitzende, Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, im November 2018.
Generell müsse öffentlich intensiver über Nutzen und Gefahren der Pränataldiagnostik diskutiert werden. Es dürfe nicht dazu kommen, dass die Pränataldiagnostik eine erlaubte oder gar sozial erwünschte Praxis sei, um die Geburt von Kindern etwa mit Down-Syndrom zu verhindern.
Das findet auch der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Manfred Rekowski. Allerdings spricht er sich gegen den Test aus: „Paare, die vor der schweren Entscheidung stehen, wie es mit der Schwangerschaft angesichts einer möglichen Trisomie 21 weitergehen soll, brauchen keinen Bluttest als Kassenleistung, sondern vor allem einfühlsame Beratung und kompetente Begleitung, auch für die Zeit nach der Geburt. Denn eine menschenwürdige Gesellschaft entsteht nicht durch die Selektion nach Normen, sondern durch eine weitreichende Inklusion der Familien mit behinderten oder kranken Kindern.“
Der Theologe und Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, Peter Dabrock, befürwortet die kostenlose Abgabe des Bluttests. Angesichts der Rechtslage und im Vergleich zu dem, was schon bezahlt werde, sehe er keinen Grund dafür, weshalb die Gesetzliche Krankenversicherung diesen Test auf das Down-Syndrom bei Risikoschwangerschaften nicht bezahlen sollte, sagte Dabrock der Wochenzeitung „Das Parlament“.
Der Wissenschaftler von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg geht nicht davon aus, dass mit der kostenlosen Abgabe eines solchen Tests die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche stark steigt. Er sagte: „Wir haben jetzt schon eine sehr hohe Zahl an Abbrüchen nach identifizierter Trisomie 21. Die würde vielleicht noch etwas steigen, aber es würde nicht auf ein Vielfaches hochschnellen mit der Neuregelung.“ Was die Spätabtreibungen betreffe, dürften die Zahlen eher rückläufig sein. Dabrock betonte: „So zu tun, als würde mit dem nichtinvasiven Test ein Damm gebrochen oder eine Grenze überschritten, das trifft einfach nicht zu.“
Katholische Kirche: Erhebliche ethische Bedenken
Die Katholische Kirche lehnt es ab, dass die Krankenkassen den vorgeburtlichen Bluttest übernehmen. Der Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz, Matthias Kopp, sieht in einem solchen Schritt „erhebliche ethische Bedenken mit Blick auf den Schutz des ungeborenen Lebens“. Die angestoßene Debatte brauche eine „gesellschaftliche, sozialethische und politische Klärung“ und sei dringend notwendig.
Stellung bezogen hat auch die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Mediziner (ACM). Sie setzt sich für eine „Kultur des Lebens“ ein, in der jeder Mensch Wertschätzung erfährt. Die großzügige Einführung der Tests führe zu einer zunehmenden Selektion aufgrund einer Behinderung. Die ACM lehnt deswegen eine Einführung der Tests als Kassenleistung ab, insbesondere, „wenn sie als primäres Screeningverfahren eingesetzt werden sollen“.
Behinderte Menschen hätten laut UN-Behindertenrechtskonvention ein Recht auf Chancengleichheit. Mit einer unkritischen Einführung von NIPD als Kassenleistung würde dies ad absurdum geführt. Es gelte nur noch für diejenigen, „die den Selektionsprozess – bis zur Geburt – überstanden haben“. Zudem stehe keinem Dritten ein Werturteil über menschliches Leben zu. „Angesichts der NIPD müssen wir uns die Frage stellen, wie weit wir dem ‚subjektiven Wunsch‘ nach Perfektion und scheinbarer Normativität nachgeben wollen und ob dieser über dem Schutz menschlichen Lebens stehen darf“, heißt es in der Stellungnahme.
Kultur des Lebens und der Vielfalt fördern
Daraus folge, „dass es zunehmend schwieriger würde, Unvollständigkeit und Behinderung als Teil normalen menschlichen Lebens und Komponente der Vielfalt anzusehen“. Diese Punkte sprächen alle gegen eine prinzipielle Kostenübernahme. Sollte der Bundestag anderweitig entscheiden, empfehle die ACM, die personellen und finanziellen Voraussetzungen für eine qualifizierte, ergebnisoffene Beratung zu schaffen und „Schwangere in der Konfliktsituation dabei zu unterstützen, ihr Kind auszutragen“. Auf diese Weise würde eine Kultur des Lebens und der Vielfalt gefördert.
Die ACM ist ein überkonfessioneller Zusammenschluss von über 400 Ärztinnen, Ärzten und Medizinstudierenden. Die Stellungnahme hat die ACM gemeinsam mit dem Institut für Glaube und Wissenschaft (IGUW) in Marburg erfasst.
„Wir sind und waren gegen diese Entwicklung des Bluttests. Deshalb sind wir natürlich auch gegen die Kassenleistung“, erklärte der Generalsekretär der Deutschen Evangelischen Allianz (DEA), Hartmut Steeb auf Anfrage von pro. Schon die bedingte Freigabe der Präimplantationsdiagnostik habe die DEA abgelehnt, weil sie auf die Selektion von Menschen abziele. Dies sei eine grobe Missachtung des Grundgesetzes, das eine unantastbare Menschenwürde garantiere.
Beratungs- und Hilfsangebote stärker ausbauen
Behindertenverbände und Lebensschützer haben am 10. April unter dem Motto „Inklusion statt Selektion“ vor dem Bundesgesundheitsministerium in Berlin demonstriert. Sie befürchten, dass Menschen mit Beeinträchtigungen „nicht willkommen sind und ausgesondert werden sollten“. Die Aufnahme des Bluttests in den Leistungskatalog bedeute unter anderem, die „Angst vor Behinderung zu verstärken“ und die „Diskriminierung von Menschen mit Beeinträchtigungen zu verschärfen“. Menschen mit Beeinträchtigungen würden gesellschaftlich als „vermeidbar“ gesehen.
Die Deutsche Gesellschaft für Pränatal- und Geburtsmedizin hält die Pläne aus „Gründen der Gerechtigkeit“ für richtig. „So gibt es kein Gefälle mehr zwischen den Schwangeren, die sich den Test leisten können, und denen, die ihn nicht bezahlen können“, sagte dessen Präsident Dieter Grab der Deutschen Presse-Agentur. „Wir befürchten, dass künftig weniger Kinder mit Down-Syndrom zur Welt kommen als bislang“, erklärte hingegen die Geschäftsführerin des Deutschen Down-Syndrom InfoCenters, Elzbieta Szczebak. Sie fordert, das Beratungs- und Hilfsangebot für Schwangere und betroffene Familien viel stärker auszubauen.
Der Gemeinsame Bundesausschuss von Ärzten und Krankenkassen (GBA) entscheidet darüber, ob in Anbetracht des medizinischen Standes derzeit diese Trisomie-Bluttests als Kassenleistung eingeführt werden. Für ihn stehen vor allem fachliche Kriterien im Vordergrund, etwa ob das Produkt qualitativ gut und zugelassen ist und einen Vorteil für die Patienten bringt. Er fragt in seiner Bewertung nicht danach, ob es ethisch richtig ist, ihn anzuwenden. Diese Aspekte sind wiederum für den Bundestag wichtig, der mit Gesetzen die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Entscheidung des GBA setzen kann.
Es war der ausdrückliche Wunsch des GBA, dass der Bundestag über diesen Test diskutiert, weil der Ausschuss seine Kompetenzen hinsichtlich der ethischen Abwägung überschritten sah. Der GBA-Vorsitzende Josef Hecken verteidigte die Entscheidung, den Gentest zur Kassenleistung machen zu wollen. Im Herbst soll sie endgültig getroffen werden. Angesichts der Risiken invasiver Untersuchungen sowie der belegten hohen Testgüte sehe er eine Anerkennung als medizinisch begründet an. Hecken betonte, dass es „ausdrücklich um die Anwendung des Tests bei Schwangerschaften mit besonderen Risiken“ gehe.
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Das Statistische Bundesamt hat im vergangenen Jahr circa 101.000 Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland ermittelt. In rund 3.800 Fällen lag eine medizinische Indikation vor – etwa eine hohe psychische Belastung der Frau wegen der Trisomie ihres Kindes. Bekommt eine Frau eine solche Bescheinigung, ist eine Abtreibung auch nach der zwölften Woche nach Empfängnis noch straffrei möglich.
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Bei einem Down-Syndrom haben Menschen in jeder Zelle ein Chromosom mehr als andere Menschen. Das Chromosom 21 ist dreifach vorhanden, daher auch die Bezeichnung Trisomie 21. Folgen sind körperliche Auffälligkeiten und eine verlangsamte motorische, geistige und sprachliche Entwicklung. Die Ausprägungen sind aber sehr unterschiedlich.
Von: Johannes Blöcher-Weil