Journalismus sei ein „Reparaturbetrieb für die Demokratie“. Das sagte der Leiter des Rechercheverbundes von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung, Georg Mascolo, in einer Festrede zum 70-jährigen Bestehen des Medienfachdienstes des Evangelischen Pressedienstes (epd) „epd medien“ am Dienstag. Mascolo brach dabei eine Lanze für die Qualität der Tageszeitungen und das öffentlich-rechtliche Rundfunksystem. „Man muss sich nur die USA ansehen, um zu erkennen, wohin es führt, wenn das Fernsehen den Verstand verliert“, sagte er.
Der Journalist führte bei dem Festakt in der Evangelischen Akademie Frankfurt ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1966 an, das sogenannte Spiegel-Urteil: „Journalismus funktioniert als ständiges Verbindungs- und Kontrollorgan zwischen dem Volk und seinen gewählten Vertretern in Parlament und Regierung.“ Mascolo sagte: „In seinen richtig guten Momenten ist der Journalist – der Journalismus – eben das: Er informiert, er missioniert nicht.“ Ziel von Journalismus müsse es sein, dass sein Publikum nach dem Lesen, dem Zuschauen, dem Zuhören klüger sei – nicht nur erregter.
Mascolo, ehemaliger Chefredakteur des Nachrichtenmagazins Der Spiegel, ging auch auf den Fall Claas Relotius und den Vertrauensverlust der Medien ein. Der alte Grundsatz des Magazins, „Sagen was ist“, sei auch beim Spiegel nicht immer eingehalten worden. „In diesen Zeiten müssen wir mehr denn je beweisen, dass wir den höchsten handwerklichen und ethischen Maßstäben genügen“, sagte er. „Denn ich glaube all den vermeintlich beruhigenden Umfragen nicht. Ich befürchte, dass viele Menschen, was ihr Verhältnis zu den Medien angeht, gefährlich auf der Kippe stehen. […] Ich fürchte, dass wir viele dieser Menschen nicht mehr erreichen können.“ Keine Redaktion sei vor Betrügern gefeit. „Aber, wenn eine erfundene Krebstherapie dreimal hintereinander den Nobelpreis gewinnen würde, wäre unsere Frage als Journalisten: Was ist dahinter eigentlich die Ursache?“
Absage an staatliche Medienkontrolle
„Medien müssen Medien kritisieren“, sagte Mascolo. Medienkritik liefere einen entscheidenden Beitrag dazu, Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen, wo es notwendig sei, diese neu zu begründen. Mascolo fordert von den Medienschaffenden eine „kundige, harte und faire Selbstkritik“ und stellte die Frage in den Raum, ob das in ausreichendem Maße geschehe. „Wir haben nicht genügend guten Medienjournalismus“, beklagte er. Der existierende leiste bisweilen Großartiges. Er beobachte jedoch, dass Medienjournalismus sich mehr interessiere für Personalien, weniger für systemische Fragen. „Er jagt am Morgen Dingen hinterher, die er am Abend selber nicht mehr interessant findet. Er macht Kleines groß und lässt Großes liegen.“ Medienjournalismus findet Mascolo „dem atemlosen politischen Journalismus in Berlin nicht ganz unähnlich“. Er lebe in seiner eigenen, höchst reizbaren Welt und nutze zur Kommunikation ausgerechnet noch das nervöseste Medium: Twitter.
Staatlicher Kontrolle der Medien erteilte der Journalist aber eine Absage. „Die Medien müssen diese Aufgabe selbst wahrnehmen und dafür sorgen, dass sie an sich selbst solche Maßstäbe anlegen, die sie an alle anderen auch anlegen“, sagte Mascolo. Die Medien zögen die Mächtigen zur Rechenschaft, der Medienjournalismus die Medien. Aufgabe des Medienjournalismus sei, aus sich heraus zu informieren, auf Fehlentwicklungen hinzuweisen und für notwendige Diskussionen und Korrekturen zu sorgen.
Pressefreiheit „von innen heraus“ bedroht
In US-Zeitungen spiele das Modell einer unabhängigen Instanz, die innerhalb der Redaktionen mit der gleichen Hartnäckigkeit recherchiere wie ihre Kollegen, eine entscheidende Rolle. Der Blick in die USA lehre, wie eine transparente Korrektur von Fehlern funktioniere. Echte Fehlleistungen würden in deutschen Redaktionen bis heute kaum thematisiert. „Nur wenn wir mit unseren Fehlern transparent umgehen, erhalten wir uns die Freiheit und die Autorität, andere auf ihre Fehler hinzuweisen.“ Bequemlichkeit, mangelnde Konsequenz und der fehlende Anspruch, gegenüber dem Publikum immer aufrichtig und rechenschaftspflichtig zu sein, bedrohe die Pressefreiheit „von innen heraus“.
Von: Norbert Schäfer