Der Gemeinsame Bundesausschuss aus Vertretern von Krankenkassen und Kliniken, Ärzten und Patienten will den Bluttest auf das Down-Syndrom zur Kassenleistung machen. Das meldete der Spiegel am Wochenende. Es darf einem wahlweise obszön oder tragisch erscheinen, dass die Welt nur wenige Tage nach Bekanntwerden dieser Nachricht den Welt-Down-Syndrom-Tag begeht. Dieser Tag macht auf das Leben mit dem Gendefekt aufmerksam. Ein Leben, das es so schon bald nicht mehr geben könnte, wenn der Bundesausschuss ernst macht.
Befürworter des Bluttests als Kassenleistung argumentieren, dass dieser Test ein medizinischer Fortschritt gegenüber der Fruchtwasserentnahme ist und ohne Fehlgeburtsrisiken durchgeführt werden kann. Letzteres zumindest ist wahr. Doch wo weniger Risiko, da mehr Inanspruchnahme. Schon heute entscheiden sich neun von zehn Elternpaaren oder Müttern vor der Geburt gegen Kinder mit der entsprechenden Diagnose. Je gängiger es wird, Kinder auf Down-Syndrom testen zu lassen, desto gängiger wird wohl auch der Abbruch der Schwangerschaft bei Betroffenen werden. Je mehr Diagnostik, desto weniger Menschen mit Down-Syndrom auf diesem Planeten, lautet die brutale und erschreckende Gleichung, die aus diesen Zahlen konstruierbar ist.
Die Befürworter führen auch an, dass Mütter ein Recht auf Gewissheit hätten. Sie sollen wissen können, ob ihr Kind mit einem Fehler auf die Welt kommt. Doch ein solches Recht gibt es nicht. So wie wir die Stärken und Schwächen, die intellektuellen Fähigkeiten und die körperliche Leistungsfähigkeit unserer Kinder nicht vorgeburtlich bewerten lassen, so haben wir auch kein Recht darauf, sie an ihren Mängeln und Besonderheiten zu messen. Ein Kind ist mehr als seine Krankheit. Mehr als sein Gendefekt. Ein Recht auf Gewissheit führt zu einer Reduktion des heranwachsenden Menschen auf den untersuchten Faktor. So gesehen verstößt es gegen seine Würde.
Nicht die Angst siegen lassen
Wer selbst Kinder hat, der weiß, eine Schwangerschaft ist spannend. Und das nicht nur im positiven Sinne. Schon bevor das heranwachsende Kind im Mutterleib hören kann, bevor es in der Lage ist, die Gesichtsmuskeln zu benutzen und bevor es seine Mutter bewusst wahrnimmt, wird es bereits streng überwacht. Ultraschallbilder werden angefertigt und in vielen Fällen sogar 3D-Bilder aufgenommen. Jede minimale Abweichung von der Norm wird protokolliert. Und jede Abweichung bedeutet: Angst. Mütter sorgen sich um ihre ungeborenen Wunschkinder. Sogar dann, wenn es ihnen gut geht. Kommt eine Verdachtsdiagnose dazu, dann fährt das Mutterherz Achterbahn. Schon dann, wenn es sich um Kleinigkeiten handelt.
Sollte man also auf Diagnostik verzichten, um die Eltern zu schützen? Mitnichten. Es gibt viele Krankheiten, die schon während der Schwangerschaft erkennbar sind und die aus ärztlicher Sicht behandelt werden können. Herzfehler oder andere Organschäden führen nicht automatisch zum Tod. Diagnostik kann Leben retten. Im Falle der Kinder mit Down-Syndrom ist es leider die Diagnostik selbst, die in 90 Prozent der Fälle das Todesurteil nach sich zieht. Denn hier dient sie nicht der Heilung. Das Down-Syndrom ist nicht heilbar. Eine Diagnose stellt werdende Mütter und Väter einzig und allein vor die Wahl: Abbruch oder Geburt. Das ist immer eine Überforderung. Über Leben oder Tod des eigenen Kinder zu entscheiden, ist nicht zumutbar.
Wer Tests auf unheilbare Gendefekte zur Kassenleistung erklären will, mutet Eltern mehr zu, als sie tragen können, und billigt ihnen ein Recht zu, das ihnen nicht gebührt. Ja, die Bluttests sind ein medizinischer Fortschritt. Aber keiner, der Leben rettet, sondern zerstört. Noch in diesem Jahr wird sich der Deutsche Bundestag das Thema vornehmen. In Berlin hat sich bereits eine große Zahl von Abgeordneten gegen die Bluttests auf Kassenrezept ausgesprochen. Bleibt zu hoffen, dass am Ende die Vernunft siegt – und nicht die Angst. Auf dass die Welt auch 2030 noch einen Down-Syndrom-Tag begeht.