Unter Mitgliedern der Anglikanischen Kirche stimmte zwar keine überwältigende, aber doch eine deutliche Mehrheit für den Brexit. Die kirchenfernen unter ihnen votierten zu 69 Prozent für den EU-Austritt, 31 Prozent für den Verbleib, schreibt Lukas David Meyer in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom Dienstag. Kirchennahe Anglikaner hätten zu 55 Prozent für und zu 45 Prozent gegen den EU-Austritt gestimmt, so der Theologe von der Ludwig-Maximilians-Universität München. Die EU-Skeptiker hätten „nationaltheologische“ Argumente geliefert bekommen.
Die Kirche selbst habe sich nicht positioniert, aber zu einer regen Wahlbeteiligung aufgerufen. Justin Welby, der Erzbischof von Canterbury, habe sich „nach langem Abwarten und bewusst zurückhaltend für Bremain“, also für den Verbleib in der EU, entschieden. Doch welche Argumente haben die brexitfreudigen Anglikaner überzeugt?
Argumente von links und rechts – aber nicht für den EU-Verbleib
In erster Linie sehe der methodistische Theologe Anthony Reddie in der Zustimmung der Anglikaner eine Mischung aus „englischem Nationalismus“ und „christlichem Erwählungsbewusstsein“, schreibt Meyer. Schließlich seien 93 Prozent der britischen Christen weiß. Nationale und religiöse Identität verschmelzen so unbewusst zu einer Einheit, könnte man diese Position zusammenfassen.
Für Meyer ist das zu kurz gedacht, denn auch Teile des Linksanglikanismus hätten „frei von Erwählungsvorstellungen“ pro Brexit argumentiert. Die Kritik von Links ziele dabei vor allem eine als neoliberal empfundene EU, die es Großbritannien schwer mache, für soziale Gerechtigkeit zu sorgen. Die Vertreter dieser Position hofften nach einem gelungenen Brexit darauf, dass nationale Lösungen die Sozialpolitik gerechter machen könnten.
Die Bremainers, die EU-Befürworter also, hätten bisher hingegen keine Theologie zu Europa entwickelt, stellt Meyer fest. Auch die ökumenischen Netzwerke hätten wenig beizutragen. Bis 1989 hätten diese vor allem der Verständigung zwischen Ost und West gedient. Die EU habe als „kapitalistisches und westeuropäisches“ Projekt gegolten. Erst der Brexit habe ein Problembewusstsein dafür geschaffen, dass eine „ökumenische Theologie für das Europa des 21. Jahrhunderts“ nötig sei.
Von: Nicolai Franz