Zum Thema „Antisemitismus in der Schule“ ist am Montag eine Bestandsaufnahme erschienen. Samuel Salzborn vom Zentrum für Antisemitismusforschung (ZfA) der TU Berlin und Alexandra Kurth vom Institut der Politikwissenschaft der Justus-Liebig-Universität Gießen haben Fachliteratur und Studien zur Situation in Deutschland gesichtet und beurteilt. Sie kritisieren Bundesländer, Lehrer und Schulbücher deutlich.
Die Autoren fanden heraus, dass an vielen Schulen Antisemitismus nur im Kontext des Nationalsozialismus behandelt wird. Dabei fielen beispielsweise antijüdische Texte im Koran unter den Tisch. Außerdem befürchten sie, dass die verwendeten Schulbücher Antisemitismus befördern. Diese seien „drastisch einseitig propalästinensisch“. Teilweise finden sich historisch falsch mit „Palästina“ beschriftete Landkarten, die Israel als Staat delegitimieren. Der aktuelle Antisemitismus richte sich „in erster Linie gegen Israel“, geben die Forscher zu bedenken.
Notfalls Druck machen
Während viele Schüler laut Umfragen das Gefühl haben, im Geschichtsunterricht permanent mit dem Holocaust konfrontiert zu werden, mangelte es ihnen an einfachstem Faktenwissen. Das sei ein Hinweis auf emotionale Dauerüberwältigung durch den moralischen Zeigefinger, schreiben Salzborn und Kurth. Moralisierung wirke schlecht, weil sie auf Emotionen statt Fakten basiere und dadurch die Urteilskraft trübe.
Unter Labels wie „Multiperspektivität“ oder „Diversität“, wie sie die Kultusministerkonferenz (KMK) fordert, werde Antisemitismus zudem relativiert. Die Wissenschaftler stellen klar: „Es gibt keine perspektivische, kulturelle oder diverse Rechtfertigung für Antisemitismus, er ist immer falsch.“ Sie fordern Lehrkräfte auf, „jede Form von Toleranz oder Verständnis für Antisemitismus“ zu vermeiden und zwar „auch – wie jüngst immer wieder präsent – wenn es sich um islamischen Antisemitismus handelt“.
Im Konfliktfall halten die Autoren Repression für nötig. So sei bekannt, dass es einen Zusammenhang zwischen Antisemitismus und autoritärem Denken gebe. Zentrales Kommunikationsinstrument für so denkende Menschen seien „Sanktion und Repression”. Polizei und Justiz müssten als Option in Frage kommen.
Kultusministerien stellen sich taub
Bei den Bundesländern diagnostizieren die Autoren der Bestandsaufnahme fehlendes Problembewusstsein. Schleswig-Holstein und Niedersachsen sehen Antisemitismus laut Salzborn und Kurth beispielsweise allein im Kontext „gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“, was die Autoren entschieden kritisieren. Antisemitismus sei ein umfassendes Weltbild und unter dem Schlagwort Rassismus nicht ansatzweise abgedeckt. Einzig das Bundesland Berlin verfügt über ein präzises Meldesystem für antisemitische Vorfälle.
Von: Timo König