Moderne und Religion schließen sich nicht aus. Das sagte der Religionssoziologe Detlef Pollack von der Universität Münster bei einer Tagung der Bundeszentrale für politische Bildung. Eine steigende religiöse Pluralität in der Gesellschaft zeige dies. Dennoch sei klar erkennbar, dass immer weniger Deutsche religiös sind.
Die Erziehung oder das Wohlstandsniveau könnten Religiosität von Menschen negativ beeinflussen. Es gebe eine große Konkurrenz zwischen ökonomischen Ressourcen und Religion.
Umfragen legten weiterhin nahe, dass immer mehr Menschen in Deutschland und Europa – anders als in den USA – nicht mehr an einen persönlichen Gott glauben, sondern nur an eine höhere Gewalt. Vor allem für die Kirchen sei das eine ernstzunehmende Bedrohung. Entscheidend für diese Tendenz sei das Gottesbild. In den USA sei das Bild eines persönlichen und nahen Gottes viel präsenter. Gott habe in den Vorstellungen vieler Amerikaner einen großen Einfluss auf das persönliche Leben. Die Erwartung eines letzten Gerichtes beeinflusse deswegen den Lebensstil.
Das Gottesbild in Europa, so Pollack, sei von Gnade, Liebe und Barmherzigkeit geprägt. Gott nehme so keinen dominanten Platz ein und verschwinde immer mehr aus dem Blick der Menschen. Das könne so weit gehen, dass man sich völlig von Gott abwendet. Pollack machte dafür die Kirchen mitverantwortlich: Von deren Seite brauche es daher mehr religiöse Entschiedenheit und Eindeutigkeit, wie sie bei Evangelikalen oder im Islam zu beobachten sei. So könne dieser Trend gestoppt werden.
Deswegen könne man nicht von einer Wiederkehr der Religion auf einer individuellen, persönlichen Ebene sprechen. Vielmehr sei sie nur im öffentlichen Diskurs präsenter. Das liege daran, dass eine Mehrheit der Bevölkerung Religion als Ursache für Konflikte wahrnehme. Dies sei vor allem beim Islam der Fall.
„Religionen haben großes Friedenspotential“
In einem weiteren Vortrag betonte Markus Weingardt von der „Stiftung Weltethos“ das Friedenspotenzial von Religionen. Dass es Gewalt bei Religionen gibt, liege hauptsächlich an der Interpretationsbedürftigkeit und Ambivalenz der heiligen Texte. Daher sei es notwendig, die friedvollen Aspekte zu stärken. Weingardt nimmt vor allem die Medien in die Pflicht. Diese würden durch ihre einseitige Berichterstattung Ressentiments schüren. Aber auch die Religionsgemeinschaften selbst müssten ihren Friedensaspekt mehr betonen und mögliches Gewaltpotenzial eindämmen.
Obwohl Religionen durch interreligiösen Dialog, Entwicklungshilfen oder in der Rolle des Mahners ihr Friedenspotenzial schon jetzt auf vielerlei Weisen zeigten, sei es „noch lange nicht ausgeschöpft“. Es lohne sich, dieses weiterzuentwickeln und aktiv einzubeziehen.
Bei der dreitägigen Tagung „In Gottes Namen?! – Streit um Religion in Gesellschaft und Politik“ in dieser Woche in Essen ging es um das Verhältnis von Religion und Staat. Organisiert wird die Tagung von der Bundeszentrale für politische Bildung.
Von: Martin Schlorke