Huber promovierte in den 70er Jahren sowohl in katholischer Theologie als auch in Medizin. Zehn Jahre war er persönlicher Sekretär des Erzbischofs von Wien, Kardinal Franz König. Von 1992 bis 2011 war er Leiter der klinischen Abteilung für gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin in Wien. Bis 2007 war er Vorsitzender der österreichischen Bioethik-Kommission. In verschiedenen Büchern und Aufsätzen plädierte er dafür, dass Naturwissenschaften und Theologie keine Gegensätze seien.
Auch in diesem Buch geht es zentral um Wissenschaft und Religion. Der Glaube wird allerdings hauptsächlich aus der Sicht der Katholischen Kirche gesehen. Dabei findet er: „Der Katholizismus duckt sich dezent ab von der Wissenschaft. Die Kirche könnte ruhig klarere Positionen vertreten. Sie verkündet nicht die Kernbotschaft, weil sie fürchtet, ausgelacht zu werden. Stattdessen schmückt sie sich mit Charity-Gedanken und medial begleiteter Nächstenliebe.“ Dabei sei die „Kernbotschaft“ der „Exilgedanke“: „Das hier ist unser Exil. Das Leben ist die Zwangsumsiedlung unseres wahren Ichs. Willkommen in der Verbannung. Immerhin trifft es uns alle, nicht?“
Die rasante Gedankenreise von den Anfängen des Universums bis hin zur Zukunftsvision der Menschheit ist gut lesbar, humorvoll, manchmal fast in jugendlicher Sprache verfasst. Kurze Sätze. Manchmal Ellipsen. Viele Zitate. Allerdings wird alles nur kurz angerissen, für mehr bleibt keine Zeit. Hier schreibt ein vielbelesener Mann, dem die Gedanken manchmal vorauseilen. Das kann für den einen schrecklich interessant sein, für den anderen fehlt es vielleicht etwas an Struktur. Auf jeden Fall regt das Buch zum Selber-Denken an.
Gender-Wahn, Big Data und die Chinesen
„Dass das Universum so ein perfekt ausgeklügeltes System ist, kann gar kein Zufall sein“, ist Huber überzeugt. „Das wäre so, als würde man einen Hochleistungscomputer loben, weil er so schnelle Rechenoperationen durchführen kann und so eine tolle Grafik hat. Aber niemand fragt, wer ihn eigentlich gebaut hat.“ Die Evolution ist, nebenbei bemerkt, bei Huber unbestritten. „Weltraumforscher sind überwiegend der Meinung, dass dort draußen Leben sein muss. Dass es beinahe wissenschaftlich unredlich ist, nicht daran zu glauben in Anbetracht der Fülle an Galaxien.“
Spannend wird es, wenn es um die Entstehung des Lebens geht. Schon allein, weil sich Huber damit besonders gut auskennt. Immer wieder fällt der Satz: „Am Anfang war die Information.“ Stand in der ersten Sekunde des Universums schon alles fest, was später folgen sollte? Die Information stecke in allem, in jeder Zelle, in jeder Faser. Das führt ihn zum Ende zum Begriff der Ewigkeit: „Wenn wir schon von Anfang an, vom Urknall, dabei waren – warum sollten wir nicht nach der Gütertrennung des Todes ebenfalls dabei bleiben?“
Als fundamental wichtiges Prinzip hat Huber den Fluss von Elektronen in allem, was lebt, ausgemacht. Huber ist überzeugt: „Das Prinzip des Lebens ist der Elektronenraub. Das große Fressen im elementaren Bereich. (…) Das ganze Leben ist ein Raub.“ Hier dürften Laien eventuell aussteigen, denn so richtig erklärt Huber seine Elektronen-Theorie nicht. Dennoch: Das Elektron sei der „Evolutionsmotor“ der ersten Sekunde. Und wieder philosophiert Huber: „Am Anfang war die Information. Gleich danach kam das Elektron. Das heißt: Wir sind Elektronik. Das Leben ist Elektronik.“ Das Böse kommt demzufolge vom Sauerstoff, denn: Kein anderes chemisches Element gehe erfolgreicher auf Jagd nach Elektronen. Huber geht sogar so weit zu sagen: „Die Vertreibung aus dem Paradies als Chiffre für den Elektronenraub.“
So geht es weiter, und am Ende stehen Spekulationen (Eventuell ist der Mensch ja ein „Experiment Gottes“, „eine Versuchsreihe mit einem gezielt eingebauten Konzeptionsfehler“) neben Faszination für moderne Naturwissenschaft („Ob der Mensch glaubt, es gibt einen Schöpfer, oder ob er meint, es gibt keinen – es wird in beiden Fällen stimmen. Wie bei den Quanten, wo zwei Zustände gleichzeitig existent sein können.“). Auch der „Gender-Wahn“ gehört zu den unzähligen Themenfeldern, die Huber beackert, allerdings wird er hier ungewöhnlich konkret in seiner Ablehnung. Lesenswert sind seine Ausführungen zur Epigenetik, deren Bedeutung für die menschliche Entwicklung erst in den letzten Jahrzehnten deutlicher wurde.
Am Ende wartet die „große Umarmung“
Im letzten Drittel beschreibt Huber verschiedene Zukunftsszenarien („Wohin wir gehen“), referiert über das Internet der Dinge, Big Data, Blockchain, die Zukunft der Raumfahrt, und Menschen, die sich Chips in den Körper einpflanzen lassen. Ein Schreckensszenario bietet ein Blick nach China, wo derzeit ein Sozialkredit-System errichtet wird, in dem Punkte für gutes Verhalten vergeben wird. Wer wenig Punkte hat, steht in dieser Gesellschaft auf dem absteigenden Ast. Ist dies auch für die Zukunft eines digitalisierten Europas denkbar?
Bei der Frage „Wohin gehen wir also?“ des letzten Kapitels bleibt Hubers Antwort aber enttäuschend unkonkret, erst recht theologisch gesehen. Die Offenbarung des Johannes verspreche das himmlische Jerusalem, eine „große Umarmung“. „Dann ist die Reise zu Ende. Das Exil ist vorbei.“ Und damit ist auch das Buch vorbei. Vielleicht will Huber mit „Woher wir kommen. Wohin wir gehen“ einfach eine Spur zu viel. Für den aufgeschlossenen, neugierigen Leser allerdings kann diese Reise durch alles Wissenswerte über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sehr lehrreich sein, auch wenn es theologisch etwas flach bleibt.
Johannes Huber: Woher wir kommen. Wohin wir gehen. Die Erforschung der Ewigkeit. Verlag: edition a, 298 Seiten, 24,90 Euro, ISBN: 9783990012789
Von: Jörn Schumacher