Es ist ein grausig-grotesker Krimi, der sich vor mehr als drei Wochen im saudi-arabischen Konsulat in Istanbul abgespielt haben soll. Der saudische Regimegegner und Journalist Jamal Khashoggi will für seine am nächsten Tag geplante Hochzeit nur schnell Papiere seines Heimatlandes holen. Doch von seinem Besuch im Konsulat kehrt er nie zurück. Er verschwindet am 2. Oktober. Ein eigens aus Saudi-Arabien eingereistes Killerkommando, bestehend aus 15 Personen, soll den Mann wortwörtlich aus dem Weg geschafft haben. Laut türkischen Ermittlungen hat der Autopsie-Arzt Salah Muhammed Al-Tubaigy Khashoggi mit einer Knochensäge zerstückelt. Der Fall um den Dissidenten hält seit diesem Tag die Weltpolitik in Atem. Mehr als zwei Wochen nach dem Verschwinden räumte Saudi-Arabien mit einer anderen Version des Falls den Tod des Dissidenten ein. Mittlerweile teilte die saudische Generalstaatsanwaltschaft unter Berufung auf türkische Ermittlungen mit, dass der Tod doch vorsätzlich herbeigeführt wurde.
Als Journalist war der 59-Jährige weltweit geachtet, schrieb für saudi-arabische und internationale Medien. In seinen Texten prangerte Khashoggi laut Spiegel die Politik von Kronprinz Mohammed bin Salman an (MbS), und kritisierte vor allem die Militäroperation im Jemen und die enge Partnerschaft Saudi-Arabiens mit der Trump-Regierung. Dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel sagte er: „Seit MbS Kronprinz ist, wird sofort und schnell zurückgeschlagen.“
Wie ein Mafia-Aussteiger „entsorgt“ worden
Der Spiegel lässt einen Weggefährten Khashoggis zu Wort kommen, den britischen Autor John Bradley, der die Dynastie der Saud mit einer skrupellosen Mafia vergleicht. Sie schreibe ihre eigenen Gesetze. Der Journalist habe sich laut Bradley lange darauf eingelassen, und sei auch Teil des Systems gewesen. Irgendwann ging er einen anderen Weg. Khashoggi begrüßte den Arabischen Frühling selbst und hegte Sympathien für die Muslimbrüder, die wiederum von saudischen Machthabern verfolgt wurden. Am Ende sei er gemäß des Weggefährten in der Situation eines Mannes gewesen, der versuchte, die Mafia zu verlassen. Deswegen sei er „entsorgt“ worden.
Als Reaktion auf den mutmaßlichen Mord will Deutschland bis zum Ende der Ermittlungen keine neuen Genehmigungen für Rüstungsexporte in das Königreich mehr erteilen und prüft, bereits genehmigte Ausfuhren zu stoppen. Ein löblicher Schritt, trotzdem zu wenig, um im Königreich ernsthaft ein Umdenken in Gang zu setzen. Denn mit dem Vorstoß steht die Bundesrepublik laut Deutscher Presse-Agentur ziemlich alleine da. Die USA, Großbritannien oder Spanien wollen weiter liefern. Das lukrative Geschäft will man sich anscheinend nicht vermiesen lassen. Das Thema Rüstungsexport an Nicht-Nato-Mitglieder oder auch generell lässt nicht nur Pazifisten immer wieder fragend zurück.
Pressefreiheit als Indikator für Einschränkung weiterer Rechte
Die internationale Empörung über den Fall sucht defintiv ihres Gleichen. Weltweit verurteilen Staaten den Tod Khashoggis und fordern komplette Aufklärung. Die Außenminister von Deutschland, Frankreich und Großbritannien positionierten sich am Sonntag gemeinsam: „Die Verteidigung der Meinungs- und Pressefreiheit hat […] sehr hohe Priorität. Die Bedrohung von Journalisten, der Angriff auf sie oder gar ihre Tötung sind ungeachtet der Umstände inakzeptabel und geben unseren drei Staaten Anlass zu größter Besorgnis.“
Pressefreiheit ist nur ein Aspekt dieses Falls. Aber sie ist ein Indikator dafür, dass dort, wo Journalisten nicht frei und kritisch berichten dürfen, das Regime auch andere Rechte einschränkt. Eine Presse, die ihrer Arbeit nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen nachgehen kann, kann auch nicht über Menschenrechtsverletzungen, Korruption oder andere Probleme eines Staates aufklären. Es ist obligatorisch, für die Presse- und Meinungsfreiheit zu kämpfen. Die internationale Politik muss sich stärker für eine Wendung in Staaten einsetzen, die diese Freiheiten nicht gewährleisten. Auch in den USA und Europa machen rechtspopulitische Politiker aus ihrer Abneigung gegen kritische Journalisten keinen Hehl. In Polen, Ungarn und Bulgarien ist regierungskritische Berichterstattung nicht ausnahmslos möglich. Und in Deutschland würde die AfD den einen oder anderen kritischen Journalisten gerne aus dem Berufsverkehr ziehen. Der Fall Kashoggi ist auch eine Mahnung an uns.
Von: Martina Blatt