Hamed Abdel-Samad geht nur noch mit Polizeischutz auf die Straßen von Neukölln. Der 46-jährige Deutsch-Ägypter ist vor über 20 Jahren nach Deutschland gekommen und hat sich hier von seinen muslimischen Wurzeln entfernt. Seitdem schreibt er Bücher wie „Mein Abschied vom Himmel” oder „Integration – ein Protokoll des Scheiterns”. Das hat ihm Morddrohungen eingebracht. Abdel-Samad meint, der politische Islam sei mit dem Leben in Deutschland nicht vereinbar.
Seine Stimme ist nur eine von vielen, die in der ZDF-Dokumentation „Unter Beobachtung – Muslimische Männer in Deutschland” zu Reizthemen wie Integration und Radikalisierung zu Wort kommen. Der Film zeichnet in knapp 45 Minuten die Geschichte der muslimischen Einwanderung ins Nachkriegsdeutschland nach – und fragt nach Gründen, warum Integration nicht immer gelingt. Er nimmt weniger die sogenannte Flüchtlingskrise in den Blick, sondern versucht zu zeigen, wie unterschiedlich die Menschen sind, die, seitdem es die Krise gibt, unter der Bezeichnung „Muslim“ über einen Kamm geschoren werden.
Dabei bleibt er absolut fair. Direkt zu Beginn grenzen sich die Filmemacher – Autorin Sineb El Masrar und Regisseur Faruk Hosseini – von populistischen Positionen ab, die Probleme nutzen, um pauschal Stimmung gegen Muslime zu machen.
Gleichzeitig schweigen sie diese Probleme nicht tot, sondern bringen sie offen zur Sprache: Ja, manche Muslime – vor allem in der Deutschrap-Szene – verbreiten ungesunde Geschlechterbilder und antisemitische Stimmung. Ja, es gibt kriminelle arabische Parallelgesellschaften in Städten wie Berlin oder Hamburg. Nein, nicht alle Muslime sind Islamisten.
Der Film schafft die Balance
Dem Film gelingt es erstaunlich gut, die komplizierte und vielschichtige Realität in relativ kurzer Laufzeit abzubilden. Das macht er, indem er die Männer selbst zu Wort kommen lässt. Denn um muslimische Männer geht es vor allem – sie sind es, denen – mehr als Frauen – mit Ablehnung und Angst begegnet wird, die aber auch problematische Elemente ihres Glaubens, etwa Frauenfeindlichkeit, weitertragen. Vor allem die Männer stehen unter Beobachtung, wie der Film sagt. Sie hört er an.
Der junge afghanische Flüchtling Zubiar etwa spricht darüber, wie er die Deutschen wahrnimmt („Sie sagen, sie sind Christen, aber man sieht sie nie in der Kirche“). Seit er in Deutschland ist, hat er anfangen, zu beten. Nicht trotzdem, sondern gerade weil er hier ist, ist er religiös geworden – aus Einsamkeit, wie es der Film darstellt.
Der eingangs erwähnte Abdel-Samad zeichnet das Problem mit kriminellen Familienclans nach und warnt vor der Entstehung von Parallelgesellschaften. Aus einer solchen ist Ahmad Omeirate ausgebrochen. Der 34-Jährige trägt den Nachnamen eines berüchtigten arabischen Verbrecherclans. Seine Eltern wagten die ersten Schritte aus den Strukturen – ihren Kindern zuliebe. Er erzählt authentisch, wie es ist, zwischen zwei Welten aufzuwachsen und Rassismus zu erleben.
Der in Würzburg geborene Deutschtürke Dogan trifft einen Freund aus Schulzeiten – einen Deutschen. Beide sind sich einig: Zusammen aufzuwachsen war in den Achtzigerjahren normal. Da war von Türken oder Afghanen die Rede, von Gastarbeiter und Migranten, aber nicht pauschal von „Muslimen”. Was also ist passiert, woher kommt die neue Polarisierung? Auch darauf sucht der Film Antworten.
Faire Ursachenforschung
Klaus Brinkbäumer, zu Drehzeiten noch Chefredakteur des Spiegel. gibt eine. Spätestens seit den Anschlägen vom 11. September wird der Islam als Ganzer auch in Deutschland skeptisch beäugt. Doch die Wurzel ist älter; sie liegt in Ängsten, die typischerweise dem Populismus Zündstoff bieten: vor „Überfremdung“ und Verlust der eigenen Identität. Auch bei seinem eigenen Blatt räumt Brinkbäumer Fehler im Umgang mit diesen sensiblen Themen ein.
Doch die andere Seite des Problems, macht der Film deutlich, liegt im Islam selbst – genauer gesagt in bestimmten in seinem Spektrum vertretenen Theologien. Das meint auch Islamwissenschaftler Mouhanad Khorchide. Radikale Strömungen bieten gerade jungen Männern ein Zusammengehörigkeitsgefühl in einer Gesellschaft, von der sie sich abgehängt fühlen. Negativ richtet es sich auch gegen eben jene Gesellschaft selbst, gegen die „Ungläubigen“. Es gibt Extremisten auf beiden Seiten, die Deutschland und Islam nicht zusammen denken können, so die Erkenntnis des Films.
Für Dogan ist wie für viele deutsche Muslime indes völlig klar, dass sich Deutscher sein und Muslim sein nicht ausschließen. Das Problem beginnt stattdessen, wenn man Identitäten gegeneinander ausspielt, sagt auch Abdel-Samad. Das ist die Grundthese des Films. Ihrer Komplexität trägt er in 45 Minuten eindrucksvoll Rechnung.
„Unter Beobachtung – Muslimische Männer in Deutschland“ wird am 04.10.2018 um 20.15 Uhr auf zdfInfo ausgestrahlt.