Verzweiflung und Hoffnung liegen oft dicht beieinander. Bei Tony Rinaudo überwog die Verzweiflung, als der damals 24-jährige Agrarökonom in den frühen Neunzigerjahren in den Niger reiste, um ein Wiederaufforstungsprojekt zu übernehmen. Denn der junge Australier pflanzte einen Baum nach dem anderen. Rund 6.000 junge Bäumchen grub er in einem Jahr in den sandigen Boden des Niger. Doch eine Pflanze nach der anderen ging ein. Die allerwenigsten schafften es, ihre Wurzeln tief genug in dem ausgetrockneten Boden zu verankern, und Rinaudo fragte sich, warum er seine Zeit und anderer Leute Geld für ein Projekt verschwendete, das aussichtslos war.
Dabei war der Agrarwissenschaftler mit hehren Zielen und göttlicher Berufung in den Niger gekommen: Er wollte den Hunger der Menschen bekämpfen und war sich sicher, dass Gott sein Vorhaben leiten würde. Und nun das: Um ihn herum keine Bäume, nur ein paar Büsche und unendlich viel Sand. Er legte seine Hand an die Augen und schaute nach Norden, Süden, Osten, Westen – und fühlte sich verzweifelt wie nie zuvor. „Gott, vergib uns, dass wir das Geschenk deiner Schöpfung kaputt machen“, rief er laut. „Deswegen müssen die Menschen hier hungern. Aber du liebst uns doch, wir sind doch deine Kinder. Du hast Jesus geschickt, um uns zu retten. Bitte hilf uns. Öffne unsere Augen für das, was wir tun sollen!“
Nach diesem Gebet kniete sich Rinaudo auf den Boden: Um durch den weichen Sand vorwärts zu kommen, musste er den Luftdruck seiner Autoreifen reduzieren. Während er an den Ventilen herumfingerte, blieb sein Blick an einem der kargen Büsche hängen, an denen er täglich vorbeifuhr. Rinaudo stutzte und warf einen genauen Blick auf die Triebe, die aus der Erde schauten, und traute seinen Augen nicht! An den vereinzelten Blättern erkannte er: Das waren nicht einfach Stümpfe, auch keine Büsche, das waren die vorsichtigen Triebe verkrüppelter Bäume! So verschnitten und verbrannt, dass er sie all die Zeit nicht als Bäume erkannt hatte. Dadurch, dass die notleidenden Menschen frische Triebe sofort stutzten, schließlich brauchten sie Feuerholz und Viehfutter, war dies all die Zeit unbemerkt geblieben.
Für Rinaudo änderte das die Sachlage und der Verzweifelte war plötzlich voller Hoffnung: „Ich musste nicht mehr gegen die Wüste ankämpfen und dabei große Budgets und viele Mitarbeiter verwalten. Alles, was ich tun musste, war, die Menschen davon zu überzeugen, diese ‚Büsche‘ nachhaltig zu pflegen.“ Die Wiederaufforstungstechnik FMNR (Farmer Managed Natural Resources) war geboren. Für diese neue Methode erhält Rinaudo in diesem Jahr den alternativen Nobelpreis.
Erfolge aus dem Weltraum sichtbar
Dabei werden Stümpfe, die bereits im Boden stecken, Wurzeln und Samen reaktiviert und neu zum Sprießen gebracht. Vorhandene Pflanzen beuten die Bauern nicht aus, sondern ziehen sie groß und beschneiden sie gezielt so, dass sich die stärksten Äste entwickeln können. Zwischen diesen Bäumen werden Räume gelassen, die für den Getreideanbau genutzt werden können. Die umliegenden Bäume spenden, wenn sie groß werden, den nötigen Schatten dafür und ihre Wurzeln speichern Wasser im Boden, sodass Gemüse und Getreidepflänzchen gedeihen können.
Seine Entdeckung betrachtet Rinaudo als Gebetserhörung. Und bescheiden, wie er ist, wird er nicht müde zu erwähnen, dass FMNR genau genommen eine „Wiederentdeckung“ traditioneller Praktiken sei und keine neue Erfindung. Fakt ist, dass diese Methode der Wiederbegrünung in Vergessenheit geraten war. Viele einheimische Bauern erklärten Rinaudo für verrückt, als er sie von seinen Ideen zu überzeugen versuchte. Anfangs stieß sein Projekt auf starken Widerstand: Andere machten sich über die handvoll Farmer, die FMNR ausprobierten, lustig und bedrohten Rinaudo und sein Team sogar. Bäume wurden gestohlen. Und staatliche Stellen waren nicht leicht dazu zu bewegen, das Projekt zu unterstützen. Man glaubte einfach nicht, dass eine Methode, die so wenig kostet, effektiv sein könnte.
Die Zweifler wurden eines Besseren belehrt: Heute sind Rinaudos Erfolge selbst aus dem Weltraum gut erkennbar. Eine großangelegte Satellitenstudie der amerikanischen Geologischen Gesellschaft zeigte im vergangenen Jahr, dass allein im Niger sieben Millionen Hektar Land durch FMNR aufgeforstet worden sind. „Als wir 1984 angefangen haben, FMNR offiziell zu verbreiten, wuchsen im Niger durchschnittlich vier Bäume pro Hektar“, erzählt Rinaudo. „Heute liegt der Durchschnitt bei 45 Bäumen pro Hektar.“ Für Chris Reij, einen leitenden Wissenschaftler des Weltressourceninstituts mit Sitz in Washington D.C., ist dies die bedeutendste positive Veränderung des Sahel und „vielleicht ganz Afrikas“ seit Jahrzehnten.
Eine unveröffentlichte Studie will herausgefunden haben, dass Konflikte durch FMNR im Niger um 70 Prozent zurückgegangen sind. Der Grund: Durch die Wiederbegrünung sinkt die Nahrungsmittelknappheit, Ressourcen wie Wasser und Feuerholz werden verfügbar. Konflikte um diese grundlegenden Ressourcen gehen zurück.
Rinaudo hat sein Engagement aber längst nicht auf den Niger beschränkt. Seit fast 20 Jahren arbeitet er für die Hilfsorganisation World Vision. FMNR-Projekte gibt es mittlerweile in 24 Ländern, in denen World Vision aktiv ist, darunter Senegal, Ghana, Mali, Uganda, Burundi, Malawi und Äthiopien.
Umweltschutz bedeutet Nächstenliebe
In Humbo, im Süden Äthiopiens, waren die Menschen drei Jahrzehnte lang auf externe Hilfe angewiesen, um nicht zu verhungern. Sechs Jahre nachdem Rinaudo FMNR eingeführt hatte, erzielten die Bauern in Humbo einen Überschuss von 106 Tonnen Getreide, den sie ans Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen verkaufen konnten. Als im vergangenen Jahr das Wetterphänomen El Niño die Region hart traf und die Hungersnot immer größer wurde, konnten die Bauern von Humbo immer noch einen kleinen Überschuss erwirtschaften. Auch Migrationsströme können in der Folge von FMNR eingedämmt werden, berichtet Rinaudo, und nennt exemplarisch das äthiopische Abreha Weatsbha, wo junge Menschen dank nachhaltiger Landnutzung genug Geld verdienen können, um in ihrer Heimat zu bleiben.
Für Rinaudo ist FMNR nicht nur eine Wiederaufforstungstechnik, sondern ein Weg, um Gottes in Genesis 2,15 formulierten Auftrag, das Land zu bebauen und zu bewahren, nachzukommen: „Alles, was ich tue, geschieht aus meiner christlichen Überzeugung heraus, dass wir unsere Mitmenschen lieben und dass wir Gottes Schöpfung bewahren sollen. Menschen beizubringen, was sie tun können, um auf Gottes Schöpfung aufzupassen, ist eine wunderbare Art, Nächstenliebe zu zeigen.“ Rinaudo glaubt: „Ich bin mir sicher, dass es Menschen gibt, die Gott näher kommen, wenn sie sich um seine Schöpfung kümmern.“
Konservative stehlen sich aus der Verantwortung
Die Begeisterung ist Rinaudo anzumerken, wenn er über Gottes Freude an dessen eigener Schöpfung spricht. Und er fragt: „Wenn diese Welt Gott so wichtig ist und er sich so sehr daran erfreut, wie sollte dann wohl unsere Haltung gegenüber unserer Umwelt sein?“ Die Kehrseite: Wenn Gott so begeistert von der Erde ist, wie kann ein Christ dann guten Gewissens und ohne Protest die Zerstörung von Umwelt geschehen lassen oder diese sogar aktiv unterstützen? Dies fängt für den Australier schon bei Alltagsfragen an, beispielsweise der Frage, welche Produkte wir kaufen: Saisonale, regionale Produkte oder solche, die erst tausende von Flugmeilen hinter sich gebracht haben? Kaufen wir Thunfisch, bei dem der Beifang durch eine nachhaltige Fangmethode minimal war, oder solchen, der in Schleppnetzen gefangen wurde? Kaufen wir recycelbare Verpackungen oder ist uns die Hülle der Produkte egal? Rinaudo hat beobachtet: „Viele Christen interessieren sich herzlich wenig für ihre Umwelt. Generell tun ausgerechnet Gläubige erschreckend wenig, um die Natur zu schützen. Für einige von uns ist dies bestenfalls zweitranging, wenn wir überhaupt darüber nachdenken.“ Viele Atheisten, meint der Australier, nehmen es mit dem Umweltschutz sehr viel genauer als Christen.
Als US-Präsident Donald Trump den Ausstieg der Vereinigten Staaten von Amerika aus dem Pariser Klimaschutzabkommen verkündete, waren es gerade seine christlich-konservativen Anhänger, die kein Problem mit dem Schritt hatten. Während Naturwissenschaftler die Konsequenzen des Ausstiegs als „katastrophal für den Planeten“ bezeichneten, sahen evangelikale Trump-Anhänger keinen Grund, sich Sorgen zu machen.
„Als Christ glaube ich, dass es einen Schöpfergott gibt, der viel größer ist als wir“, sagte der Republikaner Tim Walberg Ende Mai bei einer öffentlichen Veranstaltung in Coldwater im Bundesstaat Michigan. „Und ich vertraue darauf, dass sich Gott, falls es wirklich ein Problem gibt, darum kümmert.“ Walberg steht nicht allein mit seiner These. Das Forschungsinstitut Pew Research Center hat ermittelt, dass nur 28 Prozent evangelikaler Amerikaner glauben, dass menschliches Handeln für den Klimawandel verantwortlich ist. Die Washington Post analysierte daher im Juni: „Die feste Überzeugung, dass Gott eingreifen wird, um zu verhindern, dass die Menschen die Welt zerstören, ist eins der größten Hindernisse, um die Unterstützung konservativer Christen für Umweltschutzabkommen wie den Pariser Klimaschutzvertrag zu bekommen.“
Ganz anders dagegen das Oberhaupt der Katholiken, Papst Franziskus. Er prangert immer wieder öffentlich den Raubbau an der Umwelt an und hat Klimaschutzforderungen in seiner Enzyklika „Laudato si“ gestellt. Eine englischsprachige Ausgabe der Enzyklika überreichte er auch dem US-Präsidenten, als dieser den Vatikan besuchte.
(K)ein Thema für die Kirche?
Die Evangelische Kirche in Deutschland ist im Bezug auf Umweltfragen sehr aktiv, sieht sich aber immer wieder der Kritik ausgesetzt, dass das Engagement übertrieben sei. Kritiker wünschen sich einen stärkeren Fokus auf – vermeintlich – zentralere Glaubensthemen. Im Debattenmagazin „The European“ waren jüngst die Sätze zu lesen: „Die Themen des Kirchentages und das Wahlprogramm der Grünen sind identisch.“ Und weiter: „Es passt kein Blatt Papier zwischen die Grünen und die kleinen Minibundespräsidenten an der sonntäglichen Kanzel.“
Die Deutsche Evangelische Allianz hat zwar klar Stellung zum Thema Umweltschutz bezogen, aber „bisher kaum Aktivitäten angeleiert“, wie der Generalsekretär des Netzwerks, Hartmut Steeb, mitteilte. Auf weltweiter Allianzebene gibt es Arbeitsgruppen, die sich mit dem Thema befassen. Für Agrarökonom Rinaudo braucht es keine weitschweifige Erklärung, warum Christen die Umwelt schützen sollten: „Christen sollten sich deswegen um ihre Umwelt kümmern, weil es Gott kümmert.“
Deswegen setzt er sich ein und lehrt Menschen, nachhaltige Landwirtschaft zu betreiben. Zuletzt hat das Projekt des Australiers in Ghana für Veränderung gesorgt: Der Boden im östlichen Teil Ghanas war ausgelaugt. Die Einwohnerinnen mussten täglich bis zu vier Stunden Fußmarsch zurücklegen, um Feuerholz zu sammeln. Das Land zu bewirtschaften war so anstrengend, dass Eltern auf die Hilfe ihrer Kinder angewiesen waren, die dadurch keine Schule besuchen konnten. Und trotz aller Bemühungen blieben Erträge oft aus und Eltern konnten das Nötigste nicht bezahlen, geschweige denn für die Schulgebühren ihrer Kinder aufkommen. Familien und Vieh hungerten, das Land litt unter Trockenheit oder Überschwemmungen. Der Wind pfiff so stark über die offene Landschaft, dass nicht selten Hausdächer davonflogen.
Nur zwei Jahre nachdem einige Bauern begannen FMNR umzusetzen, änderte sich die Situation zusehends und die Lebensbedingungen verbesserten sich langsam. Verzweiflung und Hoffnung liegen oft dicht beeinander. Im östlichen Teil Ghanas überwiegt die Hoffnung.
Von: Stefanie Ramsperger