Mit dem beruflichen Selbstverständnis deutscher Journalisten hat sich der Amerikaner Jay Rosen befasst. Der Journalist hat dazu im Rahmen eines Forschungsprojekts der Robert-Bosch-Stiftung 53 deutsche Publizisten befragt, Redakteure und freie Mitarbeiter, aber auch Wissenschaftler sowie Mitglieder des Presserats. Dabei interessierten ihn auch Unterschiede zum amerikanischen Journalismus.
Sein Resümee versteht er nicht als wissenschaftliche Studie. Er hat es als offenen Brief zusammengefasst, den die Frankfurter Allgemeine Zeitung veröffentlichte. Fünf Säulen macht Rosen für das Selbstverständnis deutscher Journalisten aus. An erster Stelle nennt er die Pressefreiheit: „Der Staat soll sich aus ihrer Arbeit heraushalten.“ Deutlich mehr Gewicht als in seiner Heimat habe die zweite Säule. Für deutsche Journalisten stünden Persönlichkeitsrecht oder Opferschutz häufig über dem Recht auf ungehinderte Berichterstattung.
Gegenüber Rechtspopulismus bleiben Jornalisten nicht cool
Auch dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk komme in Deutschland nach Rosens Einschätzung eine wichtige Bedeutung zu. Es gehe darum, die Bürger im Sinne der Meinungsbildung zu informieren. Dies werde weder allein dem Markt noch allein dem Staat überlassen. Rosen stellte zudem fest, dass deutsche Journalisten mit ihrer Arbeit Demokratie und Menschenwürde verteidigen. Dies sei vielen Befragten gar nicht bewusst gewesen: „Für mich ist das die große Stärke des deutschen Journalismus. Aber er steht zunehmend unter Druck und sieht sich heftigen Kontroversen ausgesetzt.“
Schließlich sei den Journalisten hierzulande Objektivität wichtig: der Anspruch, bei der Berichterstattung nicht in persönliche Betroffenheit zu verfallen, sondern Distanz zu wahren.
Deutschen Journalisten falle es jedoch nicht sehr leicht, seit dem Aufstieg des Rechtspopulismus in den vergangenen drei Jahren cool zu bleiben. Auch die Presse habe sich für eine „Willkommenskultur“ während der Flüchtlingskrise ausgesprochen. Aber allzu oft, so Rosens Gesprächspartner, hätten Journalisten nicht kritisch gefragt, wie die Flüchtlingspolitik denn funktionieren werde. Auch die Ereignisse der Kölner Silvesternacht und ihre schleppende Aufarbeitung hätten die Medien in Verruf gebracht. Dies habe jedoch dazu geführt, dass die deutschen Journalisten sich und ihre Arbeit stärker hinterfragen – bis heute.
Genauer zuhören
Rosen geht in seinem Text auch darauf ein, wie die AfD die öffentliche Kommunikation veränderte. Die Partei habe nach ihrem Einzug in den Bundestag immer wieder proklamiert, dass die Mainstream-Presse von den Sorgen der „abgehängten Bevölkerung“ keine Ahnung habe. Die AfD überschreite kalkuliert Grenzen und stilisiere sich später als Opfer. Außerdem sorge sie im Internet für eine Gegenöffentlichkeit der eigenen Sympathisanten.
Wenn Kritiker von System- oder sogar Lügenpresse sprächen, sei es wichtig, dass Journalisten die Demokratie verteidigen. Denn diese drohe zunehmend angegriffen zu werden. Journalisten müssten sich „radikalere und zugleich kreativere Formen ausdenken“, um dem gerecht zu werden. Jedoch werde es schwieriger, die Öffentlichkeit zu informieren, weil Journalisten heute nur noch eine Quelle unter vielen seien. Am Ende könne der Austausch von Informationen durch die zahlreichen Social-Media-Kanäle unter Ausschluss der Presse funktionieren.
Er empfiehlt den Journalisten, das Spannungsverhältnis produktiv zu nutzen, die Demokratie verteidigen zu wollen und andererseits cool, distanziert und objektiv über eine Sache zu berichten: „Menschen, die sich übergangen fühlen, sind unempfänglich für komplexe und unbequeme Wahrheiten.“ Rosen wünscht sich, dass Journalisten genau zuhören und ein gutes politisches Urteil zu beweisen. Dies habe in der Flüchtlingsfrage nicht gut funktioniert.
Auf Themen aufmerksam machen, nicht belehren
Rosen betonte, auch mit Blick auf das pressefeindliche Auftreten von US-Präsident Donald Trump, Journalisten sollten nicht Parteien oder charismatische Politiker bekämpfen, sondern einen politischen Stil, der Demokratie untergräbt und ihre Institutionen aushöhlt. Aufgabe der Medien sei es nicht, „den Leuten zu sagen, was sie denken sollen“, sondern lediglich auf wichtige Dinge aufmerksam zu machen, über die sie nachdenken sollten. Rosen nennt dies „Agenda-Setting“. Diese Agenda dürfe sich nicht am Unterhaltungs- und Sensationswert orientieren.
Rosen wünscht sich Transparenz in der Themenwahl: „Ich werde derjenigen deutschen Redaktion eine Goldmedaille verleihen, die als erste ihre Schwerpunkte in der Berichterstattung öffentlich macht.“ Außerdem beobachtet er, dass die Nutzer immer mächtiger würden. Das Mediensystem sei keine Einbahnstraße mehr. Nutzer könnten eine Auswahl treffen: „Wenn in einer Beziehung eine Seite mächtiger wird, verändert das die Beziehung. Der deutsche Journalismus muss das zur Kenntnis nehmen und sich entsprechend weiterentwickeln“, schließt Rosen seine Analyse.
Jay Rosen ist amerikanischer Forscher und Journalist. Er ist Professor für Journalismus an der New York University und beschäftigt sich dort insbesondere mit Fragen des Bürgerjournalismus. Rosen schreibt unter anderem in der New York Times und dem Harper’s Magazine.
Von: Johannes Blöcher-Weil