Zurückgehende Mitgliederzahlen und schwindende Kirchensteuern sollten für ein Umdenken in der Evangelischen und Katholischen Kirche sorgen. Reinhard Bingener, Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, wünscht sich in einem Kommentar von den Kirchen, „die verbleibenden Ressourcen viel entschlossener dorthin zu lenken, wo die Bindung der eigenen Mitglieder gestärkt wird und wo die Kirche nach außen hin sichtbar wird“.
Bisher sei das Geld „von oben“ über die kirchliche Landschaft verteilt worden: „Wer innerhalb der Hierarchie über ausreichenden Zuspruch verfügte, hatte somit nichts zu befürchten und konnte sich entspannt zurücklehnen, falls er es wollte“, beschreibt Bingener. Es sei wichtig, Menschen, Gemeinden und diakonische Einrichtungen zu stärken, die die Mitglieder an die Kirchen binden.
Christentum für die Gesellschaft wünschenswert
Dies könne verhindern, dass der aktive Teil des kirchlichen Apparats in „jene resignativ-passive Grundhaltung“ verfalle, über die intern zunehmend geklagt werde. Der aktuelle Rückgang der Mitglieder führe aus seiner Sicht noch stärker zu einem Entscheidungschristentum, „in dem man seine Mitgliedschaft nicht mehr aus familiärer Tradition oder aus Gründen der sozialen Adäquanz am Arbeitsplatz oder im Schützenverein aufrechterhält. Man zahlt seine Kirchensteuer deshalb, weil man das Christentum bejaht oder zumindest seine Präsenz in der Gesellschaft für so wünschenswert hält, dass man sich am Fortbestand der Kirchen beteiligt. Das ist eine aktive Grundhaltung, von der sich auch die Kirchen in die Pflicht nehmen lassen sollten.“
Die beiden großen Kirchen hatten Ende Juli ihre aktuellen Mitgliedszahlen präsentiert. Den immerhin 180.000 Taufen und 25.000 Eintritten stünden in der Evangelischen Kirche 200.000 Austritte und 350.000 Todesfälle gegenüber. Die Situation der Katholischen Kirche sei nur geringfügig besser. Deren Mitglieder träten aber nicht so eifrig aus. Insgesamt haben die beiden Kirchen binnen eines Jahres etwa 660.000 und damit 1,8 Prozent ihrer Mitglieder verloren. Wenn es so weitergehe, könnten in fünf Jahren weniger als die Hälfte der Deutschen einer der beiden großen Kirchen angehören, rechnet Bingener vor. Die Evangelische Kirche hat aktuell 21,5 Millionen Mitglieder und ist damit etwas kleiner als die Katholische mit 23,3 Millionen Mitgliedern.
Bessere Erreichbarkeit der Hauptamtlichen
Auch finanziell stehe eine deutliche Zäsur an. Der Mitgliederschwund wurde bislang von der guten Konjunkturlage und einer Rekord-Kirchensteuer überkompensiert. Wenn die nach 1955 Geborenen mit noch starker Kirchenbindung in den Ruhestand treten, werde sich die finanzielle Ausstattung schlagartig verschlechtern. Bingener bilanziert: „Für die Kirchen kommt es darauf an, diesen Wandel sowohl organisatorisch als auch geistig zu bewältigen. Denn stoppen werden sie ihn nicht. Dafür sind die Triebfedern der Säkularisierung zu mächtig.“
Dinge, die die Kirche relativ einfach umsetzen könne, seien eine „bessere Erreichbarkeit der Hauptamtlichen vor Ort, die sorgfältige Vorbereitung von Trauungen, Taufen und Beerdigungen, verstärkte Bemühungen um Face-to-Face-Kontakt zur eigenen Mitgliedschaft, insbesondere in den Städten und zu den jüngeren Alterskohorten“.
Von: Johannes Blöcher-Weil