Hybels-Nachfolger Carter tritt zurück

Die ehemalige Assistentin von Willow-Creek-Gründer Bill Hybels hat in der New York Times neue Anschuldigungen gegen ihn vorgebracht. Sein Nachfolger Steve Carter dankt nun ab; er fürchtet um seine Integrität. Auch ein Leiterschaftskongress ist in Gefahr.
Von PRO
Steve Carter ist nach neuen Vorwürfen gegen Bill Hybels von seinen Ämtern bei der Willow Creek Church zurückgetreten

Die amerikanische Zeitung New York Times veröffentlichte in einer Exklusivreportage neue Anschuldigungen gegen Willow-Creek-Gründer Bill Hybels. Sie stammen von der Amerikanerin Pat Baranowski, in den 1980er-Jahren Hybels‘ persönliche Assistentin. Hybels war in den vergangenen Monaten immer wieder mit Vorwürfen von unangemessenem Verhalten gegenüber Frauen konfrontiert worden, die teils Jahrzehnte zurücklagen. Nun spricht Baranowski erstmals öffentlich: Über zwei Jahre hinweg habe Hybels sie immer wieder sexuell belästigt. Sie ist bereits die zehnte Frau, die Anschuldigungen sexuellen Fehlverhaltens gegen Hybels erhebt.

Für einen von Hybels‘ Nachfolgern, Steve Carter, war dies nun der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Carter gehörte seit 2013 zum Predigtteam der Willow Creek-Gemeinde, zuletzt hatte er die Leitung des Bereichs Predigt innegehabt. Willow Creek hatte die Hybels-Nachfolge auf eine Doppelspitze aus ihm und der neuen leitenden Pastorin Heather Larson verteilt.

Carters Pfad „scheidet sich von Willow Creek“

Auf seinem persönlichen Blog gab Cartner nun seinen Rücktritt bekannt. „Meine Seele ist uneins mit der Institution [Willow Creek, d. Red.]“. Seit die ersten Frauen ihre Geschichten erzählten, habe Carter die offizielle Linie von Willow Creek besorgt beobachtet. Der Ältestenrat der Gemeinde bei Chicago hatte sich geschlossen hinter Hybels gestellt und die Frauen teilweise der Lüge bezichtigt. Die entsprechende Stellungnahme ist mittlerweile von der Website der Megachurch verschwunden. Auch Larson hatte sich bereits öffentlich entschuldigt. Sie glaube den Frauen nun, dass Hybels sie sexuell belästigt habe.

Für Carter habe es die neue Enthüllung nun unmöglich gemacht, weiter bei Willow Creek zu bleiben. „Nach vielen offenen Gesprächen mit unseren Ältesten wurde klar, dass es einen fundamentalen Unterschied in der Beurteilung gibt – zwischen dem, was ich für nötig hielt, damit Willow Creek vorwärts kommt, und dem, was sie für das Beste hielten.“ Carter müsse nun dem Weg folgen, den Gott ihm vorgezeichnet habe, um mit Integrität leben zu können – dieser Pfad „scheidet sich von Willow Creek“.

Carter habe bereits vor Wochen seinen Rücktritt eingereicht, die Leitung habe ihn aber gebeten, mit der Bekanntgabe zu warten. Nachdem er Baranowskis Geschichte gelesen habe, könne er dies nicht mehr mit gutem Gewissen tun. „Sarah [Carters Frau, d. Red.] und ich sind untröstlich über diese Entscheidung. Wir lieben unsere Willow Creek-Familie“. Carters Herz sei jedoch nun bei Baranowski und ihrer Familie, „für den Schmerz, mit dem sie gelebt haben“.

In den Kommentaren zu seinem Blog äußern viele Menschen Verständnis für die Entscheidung Carters und loben ihn für seine Integrität.

Baranowskis Vorwürfe sind bisher die schwersten

In der New York Times erzählt Baranowski ihre Geschichte. Sie sei in den 80er-Jahren von Hybels als dessen Chefassistentin angestellt worden. 1985 habe das Ehepaar Hybels Baranowski eingeladen, bei ihnen zu wohnen. Das habe sie dankend angenommen. Sie habe sich sehr gesegnet gefühlt. Ein Jahr später sei es, während Hybels’ Frau und Kinder weg waren, zu einem ersten Vorfall gekommen. Hybels habe ihre Brüste berührt. Innerhalb der nächsten zwei Jahre seien weitere Vorfälle gefolgt; einmal sei es auch zum Oralverkehr gekommen. Hybels habe sie außerdem genötigt, mit ihr zu „Recherchezwecken“ Pornofilme anzuschauen – in den 80er-Jahren hatte der Kampf gegen Pornografie eine hohe Priorität unter amerikanischen Evangelikalen.

Baranowski habe nichts gesagt, weil sie sich geschämt habe und Willow Creek habe schützen wollen. „Ich dachte, wenn das herauskommt, würde alles in die Luft fliegen. Ich liebte diese Kirche, die Menschen dort, und die Familie“, wird Baranowski in der Times zitiert.

Laut der Times hat Hybels die Anschuldigungen in einer E-Mail an die Zeitung zurückgewiesen. Er habe geschrieben: „Ich hatte nie eine unangemessene physische oder emotionale Beziehung zu ihr, weder vor, noch während oder nach dieser Zeit.“

Baranowskis Anschuldigungen sind noch schwerwiegender als alles, was Hybels bislang schon vorgeworfen wurde – meistens ging es um ungewollte Küsse, überlange Umarmungen und unangebrachte Bemerkungen.

Experte: Opfer wollen dem geistlichen Dienst nicht schaden

Auch Nancy Beach, die kurz nach Baranowski zu Hybels’ Team kam und die erste von ihm berufene weibliche Pastorin wurde, hatte Anschuldigungen der sexuellen Belästigung erhoben. Laut der New York Times habe Hybels in den 80er-Jahren wegen seiner Ernennung von Frauen zum Predigtdienst als Rebell in der evangelikalen Szene gegolten. „Vieles davon ist so verwirrend, weil er ein Vorkämpfer für Frauen war“, wird Beach von der Times zitiert. Sie hatte den Artikel auf ihrem eigenen Twitter-Account geteilt. Zwischen den beiden Frauen habe es ein tränenreiches Wiedersehen gegeben; beide hätten sich gewünscht, früher ihr Schweigen gebrochen zu haben.

Auch einen Experten hat die Times dazu befragt, warum solche Vorfälle in der evangelikalen Szene oft totgeschwiegen würden. Boz Tchividjian ist Gründer von „Grace“, einer Organisation, die Missbrauchsopfern in christlichen Institutionen hilft, und ehemaliger Staatsanwalt im Bereich Sexualstrafrecht. Er sagte der Times: „So viele Opfer in der evangelikalen Welt schweigen, weil sie denken, dass sie den Dienst dieses Mannes [ihres Angreifers, d. Red.] beschädigen, wenn sie vortreten, und dass dann Gott die Dinge nicht mehr tun könnte, die er durch diesen Mann tut.“ Solche Leiter fühlten sich unverwundbar, erklärte Tchividjian. „Sie denken, die Regeln gelten für sie nicht, weil sie diese großartigen Dinge für Jesus tun – obwohl ihr Verhalten Jesus überhaupt nicht widerspiegelt.“

Carter-Rücktritt und Hybels-Kontroverse überschatten „Global Leadership Summit“

Der Rücktritt Carters kommt für Willow Creek zu einer denkbar ungünstigen Zeit. Am Donnerstag, dem 9. August, beginnt der „Global Leadership Summit“, eine US-weite Konferenz für Gemeindeleitung, die Willow Creek an über 500 Standorten veranstaltet und in die ganze Welt überträgt. Hybels hatte den Kongress über 20 Jahre lang moderiert. Bislang haben bereits 111 Gemeinden und andere Organisationen ihre Zusage, ein Sendestandort für den Kongress zu sein, wegen der Vorwürfe zurückgezogen.

Nach Baranowskis Anschuldigungen ist mit weiteren Absagen zu rechnen. Bislang soll der Kongress allerdings wie geplant stattfinden. Verschiedene Persönlichkeiten aus der evangelikalen Szene hatten die moralische Integrität der Veranstaltung in Frage gestellt. Wie das amerikanische Magazin Christanity Today berichtet, stand Tom DeVries, der Geschäftsführer der „Willow Creek Association“ (WCA), die den Kongress ausrichtet, nicht für einen Kommentar zur Verfügung.

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