In einem Beitrag im Deutschlandfunk hat der Philosoph und Buchautor Horst Herrmann die Nähe der Evangelischen Kirche zur Politik kritisiert. Bischöfe gingen im Kanzleramt ein und aus, sagte Herrmann im Gespräch mit Christiane Florin. Er wünsche sich eine Kirche, die sich politisch nicht einmischt. Wer so denkt, hat Kirche und Christentum nicht verstanden.
Zum einen zielen die biblischen Berichte neben einem geklärten Verhältnis zwischen Gott und seinen Geschöpfen immer auch auf das gute Zusammenleben der Menschen untereinander ab. Die biblischen Texte sind daher immer auch politisch zu sehen und zu verstehen. Dies gilt in besonderer Weise, wo die Bibel immer wieder zur Gerechtigkeit gegenüber allen Menschen ermahnt oder das Unrecht anprangert. Zum anderen spricht die Bibel nicht umsonst von der Gottesebendbildlichkeit des Menschen und somit von der Unantastbarkeit der menschlichen Würde. Die Menschenwürde, dieser universelle Wert, den alle Menschen haben, und der über allen anderen Werten steht, ist zutiefst verwurzelt im christlichen Menschenbild, das aus seinem Selbstverständnis heraus zur politischen Durchsetzung der Menschenrechte auffordert. Was könnte politischer sein?
Menschenwürde und Menschenrechte gelten übrigens auch für Fremde, nach christlichem Verständnis zudem für Angehörige anderer, oder keiner Weltanschauung. Für die Durchsetzung und Umsetzung dieser erstrebenswerten Ziele und Werte ist zunächst jeder Christ selbst verantwortlich. Politisches Engagement ist deshalb sowohl im privaten wie im öffentlichen Raum für Christen unabdingbar. Als Christ Verantwortung für die Gesellschaft durch Engagement in der Politik zu übernehmen ist weder anrüchig noch falsch. Das Gegenteil ist der Fall. Wenn also jeder Christ Verantwortung trägt für das gute und friedvolle Zusammenleben der Menschen untereinander, dann umso mehr die Kirchen, die als Institutionen die – zugegeben in sich heterogene – Gesamtheit der Gläubigen einer Konfession – vertreten und ihnen Gehör und Einfluss verschaffen. Kirchen, die keinen positiven Einfluss auf die Gesellschaft nehmen wollen, würden einen Gutteil ihrer Daseinsberechtigung und ihres Auftrages einbüßen.
Die Kirchen aus dem Politischen zu verbannen, wie es Herrmann wünscht und fordert, hätte fatale Folgen. Denn es sind vor allem noch die Kirchen, die – Gott sei Dank dem moralischen Verfall wehren und nicht zuletzt durch gelebten Dienst am Menschen (Diakonie) zum Wohl unserer Gesellschaft maßgeblich beitragen. Warum soll Kirche dann nicht politisch sein? Jesus ist zu Lebzeiten immer auch politisch gewesen. Diejenigen, die seinem Willen gemäß leben wollen, sollten es zu Lebzeiten darum auch sein.
Von: Norbert Schäfer