Als es laut wird, dauert es kaum mehr als eine Sekunde, bis die Personenschützer Volker Münz abgeschirmt haben. Große Männer in Schwarz schützen den Politiker vor dem, was im Publikum in der Münsterlandhalle auf ihn warten könnte: Farbbomben oder zu Wurfgeschossen umfunktionierte Torten zum Beispiel. „Kein Frieden mit der AfD“, ruft rund ein Dutzend Protestierender vor der Bühne. Kurz nach Beginn einer Podiumsdiskussion zwischen verschiedenen Kirchenpolitikern sind sie aufgestanden und nach vorne marschiert. Dort stehen sie jetzt, umringt von BKA-Mitarbeitern, Ordnern und Katholikentagsverantwortlichen. Münz sitzt ruhig in seinem Sessel auf dem Podium. Die schlechte Ausleuchtung der Bühne lässt ihn wirken wie einen Filmbösewicht: finster dreinblickend, abwartend, unbeeindruckt. Er hat damit gerechnet, dass es diesen Aufstand gibt.
Denn wo der AfD-Mann außerhalb seiner eigenen Parteigrenzen auftritt, da wird er als Störer wahrgenommen. Erst recht auf einer christlichen Großveranstaltung wie dem Katholikentag Mitte Mai in Münster. Eine lange angekündigte Gegendemonstration mit mehreren hundert Menschen begleitet seinen Auftritt. Über Religion und Politik diskutieren mit ihm auch Kerstin Griese von der SPD oder Christine Buchholz von der Linken. Die meiste Aufmerksamkeit aber bekommt Münz. „Wollt ihr gute Christen sein, reiht euch in die Demo ein“, skandieren die Demonstranten vor der Halle. Rockmusik und Hiphop-Beats knallen aus Lautsprechern, während gleich gegenüber auf dem Vorplatz des Messezentrums weit katholischere Musikkultur gepflegt wird: Bläser und Konzertgitarren begleiten einen Chor, der fistelstimmig gegen den Lärm ansingt: „Wir wollen Frieden für alle.“ So, als könnten die Sänger den Unfrieden vor Ort fortmusizieren.
Schon Tage zuvor kontaktierte das Bundeskriminalamt Münz. Ein gepanzerter Wagen werde ihn zur Kongresshalle bringen, erklärten die Beamten, denn es bestehe eine begründete Anschlagsgefahr. „Ich habe keine Angst“, sagt Münz und muss ein wenig lächeln, wenn er an den ganzen Aufwand der Behörden wegen des Podiums denkt. Es scheint, als schmeichle ihm der Aufruhr um seine Person. Die Rolle des besorgten Bürgers, der sich noch traut, die mutmaßliche Wahrheit zu sagen, und deshalb bedrängt wird, gefällt ihm.
Münz begründet AfD-Politik mit der Bibel
Einige Tage zuvor trifft pro den 54-Jährigen in seinem frisch bezogenen Wahlkreis-Büro in Göppingen. Es liegt im dritten Stock, unten im Haus ist ein Schreibwarenladen, vor der Tür die Fußgängerzone. Bisher verweist kein Werbeschild auf die Präsenz der Rechtskonservativen. Das soll nicht so bleiben, aber Münz hat es nicht eilig mit der Installation eines Hinweises auf seine Partei. So lange niemand weiß, wo er arbeitet, ist er dort auch keinen möglichen Anfeindungen ausgesetzt. Dabei hat seine Partei im stuttgartnahen 60.000-Einwohner-Ort ein solides Ergebnis erzielt: Knapp 15 Prozent der Stimmen erhielt sie bei der Bundestagwahl, das ist mehr als der deutschlandweite Durchschnitt. Münz selbst erzielte als Direktkandidat knapp 15 Prozent der Stimmen und zog über die Landesliste in den Bundestag ein.
Er ist AfD-Mitglied der ersten Stunde. Seit fünf Jahren dreht sich seine parteipolitische Welt um Flüchtlingspolitik, Euro-Ausstieg und Islamkritik. Wie viele seiner Mitstreiter ist Münz ehemaliges CDU-Mitglied. Er beschreibt sich selbst als einen Bewunderer von Helmut Kohls Wendepolitik. In den Jahren, die auf die friedliche Revolution folgten, beobachtete Münz eine Entwicklung innerhalb der Union, die er als Linksruck bezeichnet: Eine fortschreitende Öffnung der Grenzen, auch die Union akzeptierte das Konzept eines gelebten Multikulturalismus und suchte Wege, ein friedliches Zusammenleben verschiedener Kulturen in Deutschland zu fördern. Münz ist deshalb besorgt. Gelebte Völkervielfalt innerhalb nationaler Grenzen ist ein Konzept, das in seinen Augen zum Scheitern verurteilt ist und im Bürgerkrieg enden kann. In den Neunzigern beschließt er deshalb, die CDU zu verlassen. Währungsunion, zunehmende muslimische Zuwanderung und schließlich die in seinen Augen falsche Asyl- und Einwanderungspolitik treiben ihn 2013 in die AfD.
Münz ist kein Radikaler. Auch das Etikett rechtsextrem, das AfD-Politikern oft angeheftet wird, trifft seine politischen Ideen nicht. Patriotisch aber ist er. Ein Nationalist. Extrem islamkritisch. Einer, der dagegen ist. Und zutiefst konservativ. Im Deutschen Bundestag hat er bisher zu Themen wie Christenverfolgung oder Religionsfreiheit gesprochen. Er sagt Sätze wie: „Die Staatsgewalt zeigt Anzeichen des Versagens“, oder: „Die Grenzen sind de facto abgeschafft.“ Er wirft dem Islam vor, nicht mit der Demokratie vereinbar zu sein und fordert mithilfe von Bibelzitaten, Christen stärker vor Verfolgung zu schützen als andere Religionsgemeinschaften. Und er warnt vor einer „Gender-Ideologie“, in die die Bundesregierung zu viel Geld investiere. Wer mit ihm über Politik spricht, landet über kurz oder lang unausweichlich bei der Flüchtlingsfrage und hört immer wieder dieselben Argumente.
„Nächstenliebe ist keine Kategorie für den Staat“, sagt der ehemalige Banker und Diplom-Ökonom und ergänzt: „Die biblischen Gebote richten sich an den Einzelnen.“ Stattdessen müsse die Regierung für Recht und Ordnung sorgen. Seine Überzeugungen begründet er nicht selten biblisch: Gott wolle die Abschaffung von Nationalstaaten nicht, das zeige die Geschichte des Turmbaus zu Babel. Völker und Sprachenvielfalt seien demnach Gottes Strafe für den Menschen, eine Konsequenz seiner Überheblichkeit. Ohne Grenzen – damals sprachliche, heute nationale – werde der Mensch größenwahnsinnig, sagt Münz. Auch die Geschichte des barmherzigen Samariters bemüht er. Sie zeige, dass Christen denen helfen sollten, die ihnen „vor die Füße fallen“. Nicht aber denen an der Außengrenze Europas und erst recht nicht in großem Stil. Anstelle einer Flüchtlingsaufnahme soll etwa Entwicklungshilfe in den Herkunftsregionen stehen.
Mit den theologischen Deutungsmustern der großen Kirchen und auch der Deutschen Evangelischen Allianz hat das freilich nicht viel zu tun. 2017 forderte die Evangelische Kirche in Deutschland, dass die Bundesrepublik schutzsuchenden Menschen hilft, „auch über die eigenen nationalen Grenzen und die EU-Außengrenzen hinaus“. Papst Franziskus formulierte im vergangenen Jahr, die „mütterliche Liebe der Kirche“ gelte jedem, „der gezwungen ist, die eigene Heimat auf der Suche nach einer besseren Zukunft zu verlassen“. Auch das evangelikale Netzwerk der Evangelischen Allianz erklärte 2016 in einer Arbeitshilfe: „Man kann über Ursachen und Wirkung diskutieren, über politische Herausforderungen und Überforderungen. Das ist alles wichtig. Aber für uns steht im Mittelpunkt: Wer zu uns gekommen ist, braucht ganzheitliche Hilfe. Wir sind als Christen und Gemeinden gefordert, konkrete Not zu lindern, Menschen beizustehen und ihnen Hoffnung zu geben.“ Münz entgegnet: „Die Kirchen sollen sich nicht als moralische Instanz aufspielen.“ Unterstützer der AfD vermutet er vor allem in den Reihen der Evangelikalen. Dass seine Politik bei vielen Christen keine Zustimmung findet, ja sogar Protest hervorruft, erklärt er sich mit einem Linksruck der Kirche insgesamt. Er selbst wähnt sich als Christ auf dem richtigen Weg.
Den Konferenzraum von Münz’ Büro ziert ein Bild der Reichstagskuppel. Noch ist es nicht an der Wand angebracht. Das Regal, auf dem es steht, ist so gut wie leer. Die Arbeit im Bundestag ist für Münz auch ein halbes Jahr nach der Wahl noch neues Terrain. Er ist überrascht davon, wie eng der Terminkalender eines Abgeordneten gestrickt ist und dass sich Ausschussberatungen und Plenumssitzungen im Parlament überschneiden. So musste sich die AfD-Fraktion eingestehen, dass sich ihr Anspruch, an Sitzungstagen möglichst vollzählig im Plenum präsent zu sein, auf Dauer nicht erfüllen lässt. Dennoch treten Alice Weidel und Co. personenstärker auf als ihre Konkurrenten. Das macht in den Bundestagsdebatten Eindruck, denn Beifall, Buh- und Zwischenrufe gehören zum Programm.
Laut einer Analyse der Süddeutschen Zeitung hat die AfD das Klima im Parlament nachhaltig verändert. Seit die Rechtskonservativen dort vertreten sind, ist der Umgangston rauer geworden. Redner erhalten mehr Applaus aus den eigenen Reihen und werden vom Gegner häufiger verlacht. Auch die Zahl von Beleidigungen und Provokationen hat zugenommen. So brachte etwa AfD-Mann Gottfried Curio den grünen Fraktionschef Anton Hofreiter zum Ausrasten, als er in einer Debatte zum Doppelpass das nationalsozialistisch besetzte Wort „entartet“ benutzte. Die AfD selbst musste sich kürzlich in einer Sitzung zum Thema Volksverhetzung von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) rügen lassen, weil sie eine Rednerin der Linken als „Hetzerin“ betitelte. Schäuble ermahnte Alice Weidel auch bei einer Generaldebatte, weil sie erklärte, „Kopftuchmädchen“ sicherten weder den Wohlstand Deutschlands noch den Sozialstaat und sie in einer Reihe mit „Taugenichtsen“ nannte. Unions-Fraktionschef Volker Kauder empörte sich: Diese Aussage habe „null“ mit einem christlichen Menschenbild zu tun.
„Sprache ist so wichtig“, sagt Volker Münz, wenn man ihn auf die verbalen Ausreißer seiner Parteikollegen anspricht. Es klingt bedauernd. Der religionspolitische Sprecher seiner Fraktion will nicht den Kopf hinhalten für Äußerungen von Provokateuren wie Curio, Beatrix von Storch oder dem Co-Fraktionsvorsitzenden Alexander Gauland. Während von Storch in Debatten auf ihrem Abgeordnetenplatz gerne wild gestikuliert und das Gesicht verzieht, um ihre Meinung über den politischen Gegner kundzutun, bleibt Münz ruhig. Mehr als ein Kopfschütteln zeigt er nicht. Spricht er selbst im Parlament, verzichtet er in der Regel auf harte Angriffe. Stattdessen wirkt er unsicher, tritt bei Reden von einem Bein auf das andere, bleibt mit dem Blick an der Papiervorlage auf dem Pult hängen und versucht, Unsicherheiten durch Lautstärke zu überspielen.
Münz selbst sieht sich als Warner nach innen und als Brückenbauer nach außen. „Ich möchte, dass sich die Vernünftigen durchsetzen“, sagt er. Damit meint er die AfD im Vergleich etwa zur Union. Von Äußerungen des Parteirechtsaußen Björn Höcke distanziert er sich. Aber er wiegelt auch ab: „Höcke wird in seiner Bedeutung überschätzt“, sagt er. Dass sich die AfD zunehmend von rechtsextremen Kräften aus dessen Flügel steuern lässt, wie etwa die inzwischen ausgetretene ehemalige Vorsitzende der Christen in der AfD, Anette Schultner, sagt, bestreitet Münz.
Ein Rechter in der Synode
Münz ist einer der wenigen Bundespolitiker, die sich ehrenamtlich im örtlichen Kirchenparlament engagieren. Er sitzt im Kirchengemeinderat und in der Bezirkssynode seiner Heimatregion. In einer Woche Mitte Mai trifft er sich vier Stunden lang mit Pfarrern und Gemeindeleitern in einem holzgetäfelten Versammlungsraum und lauscht Referaten über die Öffentlichkeitsarbeit der Kirche. Schaukastengestaltung, Gemeindebrief, Twitter und Instagram – das sind die Themen des Abends und zugleich solche, mit denen sich Bundestagsabgeordnete auf Kirchenkreisebene normalerweise nicht beschäftigen. Zu dicht ist der Zeitplan der Politiker, bei Münz stehen kurz darauf drei Reden im Bundestag zum Thema Haushalt auf dem Programm. Dass er sich dennoch die Zeit nimmt, sich von Referenten aus dem nahegelegenen Stuttgart erklären zu lassen, dass Instagram eine Fotoplattform für junge Menschen ist und die Kirche sich zu wenig im Netz engagiert, kann man als Zeichen seiner Verbundenheit zur Gemeinde deuten. Oder als das Bestreben, auch hier parteipolitisch Einfluss zu nehmen.
Denn Münz meldet sich auch im Kirchenparlament regelmäßig mit konservativen Forderungen zu Wort. In der vergangenen Sitzung etwa zur Segnung homosexueller Paare. „Synodaler V. Münz moniert, man könne nicht Gottes Wort durch Demokratie verändern“, heißt es im Protokoll. Tatsächlich hatte bereits die Landessynode keine Mehrheit für die Segnung Homosexueller gefunden. Münz sagt, er habe verhindern wollen, dass sie auf Kreisebene durch die Hintertür trotzdem eingeführt wird.
Zwischen den Vorträgen stehen die Kirchenleute im Foyer bei Laugenbrezel und Schnitzelbrötchen zusammen. Die Kollegen grüßen Münz freundlich, mehr als kurzer Smalltalk entsteht kaum. „Die Kniggeregeln gelten zumindest“, sagt Münz, der offenbar selbst weiß, dass er hier nicht gern gesehen ist. Ein leitender Pfarrer aus seinem Heimatort Uhingen habe ihn einmal mit den Worten begrüßt: „Sind Sie immer noch bei den Nazis?“ Das trifft ihn. Sein Engagement im Kirchenkreis ist auch eine Trotzreaktion darauf. „Oh je, jetzt wird’s politisch“, raunt ein Kirchenmitarbeiter, als Münz sich im Anschluss an die Referate der Synode meldet. Der Politiker beschwert sich darüber, dass die Kirche zwar über Öffentlichkeitsarbeit rede, andererseits aber nicht offensiv missionieren wolle. Seine Äußerung findet keinen Nachhall in den Reihen der Synodalen.
„Ehe für alle“ und eine mutmaßlich zu politische Kirche – das sind auch Themen, die die AfD auf Bundesebene umtreibt. „Die Kirche ist im Moment mehr eine politische Partei“, sagte etwa Anette Schultner 2017, damals noch Parteimitglied, nach dem Evangelischen Kirchentag in Berlin. Zu links und zu AfD-kritisch seien die großen Kirchen, bemängeln führende Parteiköpfe wie Gauland und Jörg Meuthen. Die Kirchen ihrerseits – von Katholiken über Lutheraner bis hin zur Evangelischen Allianz – haben mehr oder weniger deutlich ausgeführt, warum sie mit der Politik der AfD nicht einverstanden sind. Kirche und AfD, das ist ein belastetes Verhältnis, auch im frommen Milieu. Und das, obwohl die Rechtskonservativen einige Anliegen mit evangelikalen Christen teilen. Etwa die Stärkung der traditionellen Familie. Im vergangenen Jahr nannte Gauland die Entscheidung des Bundestages zur Trauung Homosexueller einen „schweren gesellschaftlichen Fehler“. Der Beauftragte der Evangelischen Allianz in Berlin, Uwe Heimowski, nannte den Einzug der Partei in den Bundestag dennoch einen „Schock“ und kritisierte die AfD scharf für einen Antrag zum Thema Christenverfolgung im Parlament. Weil sie Christen bevorzugt schützen wollte, habe sie ihnen einen Bärendienst erwiesen, kommentiert er: „Die verfolgten Christen für die eigene politische Agenda zu instrumentalisieren, ist schäbig. Es wird ihrem Anliegen nicht gerecht.“
Münz trägt AfD-Überzeugungen auch in den Gemeinderat und die Bezirkssynode. Der Dekan des Kirchenbezirks Göppingen, Rolf Ulmer, erinnert sich an eine Sondersynode zum Thema Flüchtlinge vor zwei Jahren. Damals saß Münz zwar noch nicht im Bundestag, habe aber „sehr stark die AfD vertreten“. Eine Stelle zur Betreuung von Flüchtlingen der örtlichen Diakonie sollte nur christlichen Asylbewerbern zugute kommen, forderte Münz. Mit solchen Einwürfen stehe er am Rand, sagt Ulmer. Er selbst erhalte regelmäßig E-Mails, in denen er aufgefordert werde, Münz aus der Synode zu werfen. „Das geht natürlich nicht.“ Immerhin sei der Politiker ordentlich ins Kirchenparlament gewählt worden, wenn auch vor seinem Einzug in den Bundestag. Ein Foto von sich und Münz in einer Gesprächssituation will er aber nicht veröffentlicht sehen. Auch ein weiterer Synodaler ist nicht bereit, sich neben Münz ablichten zu lassen. Niemand soll denken, der Pfarrer unterstütze die AfD. Das käme nicht gut an im Kirchenkreis. Am Ende wird Münz sich alleine fotografieren lassen. In Berlin. Fernab der Heimat. Es klingt paradox: In der Hauptstadt sind die kritischen Blicke der Mitchristen seltener. Er ist hier nur ein Politiker unter vielen. Hier erlebt er Ruhe, kann „Kraft tanken“, wie er sagt. Etwa in den Andachten des Bundestages oder beim von Abgeordneten organisierten Gebetsfrühstück.
Warum die AfD?
Beim Münsteraner Katholikentag bemühen sich die Veranstalter und viele Zuhörer sichtlich darum, eine Atmosphäre des gegenseitigen Zuhörens zu betonen. Das ist nicht nur aus christlichen Motiven geboten. Offenbar hat sich auch die Ansicht durchgesetzt, dass wer die AfD verlacht oder beschimpft, nur zu ihrer Radikalisierung beiträgt, anstatt sie belangloser zu machen. Die Toleranz des Publikums hat ein Ende, als Münz die Kollegen auf dem Podium angeht: „Sie alle haben Schuld auf sich geladen“, sagt der bis dahin zurückhaltend Auftretende mit lauter Stimme in Richtung Union, SPD, Grüne, Linke und FDP. Sie seien verantwortlich für eine zunehmende Gefährdung der Sicherheit in Deutschland – etwa durch Messerstechereien und Vergewaltigungen.
Vielleicht ist es Nervosität, möglicherweise geht ihm die angespannte Lage in der abgedunkelten Halle an die Nerven oder es ist der Versuch, sich unter politischen Gegnern, die ihm argumentativ überlegen sind, zu behaupten. Seine anfänglich ruhige Haltung jedenfalls ist passé. Münz lobt die rigide Einwanderungspolitik der Polen und Ungarn, wirft Linken-Politikerin Buchholz vor, als Nachfolgerin der SED zu agieren und erklärt, es sei nicht die Aufgabe der Kirchen, sich politisch zu äußern.
Im Nachhinein wird Münz erklären, er habe eine Antwort geben wollen auf diejenigen, die vom „hohen Ross herab argumentieren“ und dennoch weder „gerecht“ noch „christlich“ handelten. Unaufgeregt und gefasst sagt Buchholz im Laufe der Debatte einen Satz, der das wahre Problem des parteipolitischen Engagements umreißt, ohne Nazivergleiche und Rechtsextremisten-Vorwürfe zu benötigen. „Sie müssen sich positionieren“, fordert sie und verweist auf menschenfeindliche Aussagen seiner Parteikollegen und das provokante Auftreten der AfD im Bundestag. „Sie können nicht so tun, als hätten Sie damit nichts zu tun.“
Warum nimmt Münz das alles in Kauf? Wieso tritt er nicht aus? Er antwortet im Vier-Augen-Gespräch: „Ich kann wenigstens sagen, ich habe versucht, Unheil zu verhindern.“ Es dürfe so nicht weiterlaufen. Er ist überzeugt: „Die nächste Flüchtlingswelle kommt. Das verkraftet unser Land nicht.“
Dieser Text ist in der Ausgabe 3/2018 des Christlichen Medienmagazins pro erschienen. Bestellen Sie pro kostenlos hier.
Von: Anna Lutz