pro: Herr Gröhe, war das Amt des religionspolitischen Sprechers für Sie ein Wunschamt nach dem Ausscheiden aus dem Gesundheitsministerium?
Hermann Gröhe: Ich gehöre fast genau so lange der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland an wie dem Deutschen Bundestag. Insofern habe ich mich immer auch für einen guten Gesprächskontakt zwischen der Union und den christlichen Kirchen mitverantwortlich gefühlt. Ich mache das sehr gerne und bin mit vielen Verantwortlichen in den Kirchen seit Jahren freundschaftlich verbunden. Für die Unionsfraktion sind die christlichen Kirchen ein besonders wichtiger Gesprächspartner. Darüber hinaus ist mir der Kampf gegen Antisemitismus und für jüdisches Leben in Deutschland ein besonderes Herzensanliegen. Schließlich bin ich auch Ansprechpartner etwa für die muslimischen Verbände. Insgesamt passt diese Arbeit gut zu meinen Aufgaben als stellvertretender Fraktionsvorsitzender im Bereich Arbeit und Soziales sowie Entwicklungspolitik, spielen doch in diesen Bereichen Wohlfahrtsverbände und Hilfswerke der Kirchen eine große Rolle.
2009 sagten Sie der Zeitung Die Welt: „Der Glaube an Jesus Christus gibt mir Halt im Leben.“ Woher kommt dieser Glaube?
Ich bin in einem christlichen Elternhaus aufgewachsen, in dem Kindergottesdienst und Kinderbibel schon im Grundschulalter selbstverständlich waren. Nach meiner Konfirmation war ich in der evangelischen Jugend meiner Heimatgemeinde aktiv. Wichtige Impulse habe ich auch von einer Tante erfahren, die eine Kommunität in Franken geleitet hat. Die Begegnung mit überzeugten Christen, und nicht ein dramatisches Bekehrungserlebnis, hat dazu geführt, dass ich meinen Glauben immer bewusster leben wollte. Ich habe die Erfahrung machen dürfen, dass Gottvertrauen trägt – auch in Zeiten von Zweifel, Krise und Anfechtung.
War der Abschied vom Ministeramt eine solche Krisenzeit?
Sicherlich keine Krise! Aber eine schmerzhafte Erfahrung. Dabei halte ich nichts von Selbstmitleid. Ein Ministeramt ist stets ein Amt auf Zeit. Gut tut es zudem zu wissen, dass es Freunde, Familie und Mitchristen gibt, deren Wertschätzung der Person gilt und nicht Titeln und Ämtern. Mich hat vor allem der Abschied von vertrauten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Ministerium geschmerzt. Der bewegendste Moment bei der Verabschiedung war, als ein Mitarbeiterchor vierstimmig sang: „Und bis wir uns wiedersehen, halte Gott dich fest in seiner Hand“. Das hat mir gezeigt, dass sie wussten, was mir der Glaube bedeutet.
Macht es Sie nicht wütend, dass Sie gehen mussten?
Wie gesagt, es war eine schmerzhafte Erfahrung. Ich hätte die Arbeit sicher gerne weitergemacht, aber ich habe nun auch eine Aufgabe, die ich mit vollem Einsatz angehe.
„Bei uns braucht es nicht viel Mut, sich zum Glauben zu bekennen“
Die Religionsfreiheit scheint in Deutschland derzeit verstärkt in Gefahr zu sein: Juden werden auf offener Straße angegriffen, Christen in Flüchtlingsheimen bedroht, liberale Muslime brauchen Polizeischutz …
Antisemitismus und religiös begründete Gewalt gilt es entschlossen zu bekämpfen. Wir dürfen als Christen aber auch dankbar sein, in einem Staat zu leben, der sich der Religionsfreiheit verpflichtet weiß. In vielen Teilen der Welt erleiden Christen Bedrängnis und Verfolgung. Dagegen braucht es bei uns nicht viel Mut, sich zum eigenen Glauben zu bekennen. Wir sollten dies – manchen dummen Sprüchen zum Trotz – beherzt tun!
Die Gewalt gegen Juden hat offenbar zugenommen.
Der Antisemitismus in Deutschland hat in den letzten Jahren in der Tat eine neue Qualität erreicht. Hetzschriften, die früher anonym waren, erscheinen heute mit Namen und Adresse. Gegen Hass und Ausgrenzung, aber auch eine in Teilen unserer Gesellschaft zunehmende Verrohung anzugehen, bleibt leider eine Daueraufgabe. Schon als Student habe ich mich geschämt, dass die Kölner Synagoge, in deren Nähe ich wohnte, von Polizei geschützt werden musste. Geschützt vor allem vor rechtsradikalen Deutschen. Dass eine Zuwanderung aus Ländern mit einer tief verwurzelten antijüdischen Prägung die Situation verschärft, darf nicht verschwiegen werden. Antisemitismus ist aber keineswegs nur ein Problem bei Zuwanderern!
Sie haben sich in der Vergangenheit immer wieder positiv zu evangelikalen Gruppen geäußert. Dafür sind Sie teils kritisch beäugt worden.
Kritik ändert da an meiner Position nichts. Ich möchte, dass wir die christliche Prägung dieses Landes erhalten und dafür ist ein gelebter und einladender Glaube eine notwendige Kraftquelle. Deshalb habe ich mich immer zu Wort gemeldet, wenn Evangelikale in meinen Augen unfair als Fundamentalisten abgestempelt wurden, um sie in die Nähe von gewaltbereiten Islamisten zu rücken.
Kritik an Evangelikalen kommt auch aus der Evangelischen Kirche. Margot Käßmann sagte jüngst im pro-Interview, sie möge das Moralisieren in Freikirchen nicht.
Ich kenne das Zitat nicht. Aber es gibt ja zum Teil auch hart formulierte Kritik evangelikaler Stimmen an liberaler Theologie. Da gilt: Wer austeilt, muss auch einstecken können – in der Politik wie in der innerchristlichen Debatte. Gerade dort sollte allerdings wechselseitiger Respekt stets spürbar bleiben. Die schärfsten Töne gegen Evangelikale kommen dabei nicht selten von ehemaligen Evangelikalen. Das darf Evangelikalen auch Anlass zum Nachdenken sein. Denn so, wie es viele Menschen gibt, die in besonders frommen Gemeinschaften Halt für ihr Leben erfahren, so gibt es auch Menschen, die dies als Enge erleben.
Die Religionsfreiheit scheint in Deutschland derzeit verstärkt in Gefahr zu sein: Juden werden auf offener Straße angegriffen, Christen in Flüchtlingsheimen bedroht, liberale Muslime brauchen Polizeischutz …
Antisemitismus und religiös begründete Gewalt gilt es entschlossen zu bekämpfen. Wir dürfen als Christen aber auch dankbar sein, in einem Staat zu leben, der sich der Religionsfreiheit verpflichtet weiß. In vielen Teilen der Welt erleiden Christen Bedrängnis und Verfolgung. Dagegen braucht es bei uns nicht viel Mut, sich zum eigenen Glauben zu bekennen. Wir sollten dies – manchen dummen Sprüchen zum Trotz – beherzt tun!
Die Gewalt gegen Juden hat offenbar zugenommen.
Der Antisemitismus in Deutschland hat in den letzten Jahren in der Tat eine neue Qualität erreicht. Hetzschriften, die früher anonym waren, erscheinen heute mit Namen und Adresse. Gegen Hass und Ausgrenzung, aber auch eine in Teilen unserer Gesellschaft zunehmende Verrohung anzugehen, bleibt leider eine Daueraufgabe. Schon als Student habe ich mich geschämt, dass die Kölner Synagoge, in deren Nähe ich wohnte, von Polizei geschützt werden musste. Geschützt vor allem vor rechtsradikalen Deutschen. Dass eine Zuwanderung aus Ländern mit einer tief verwurzelten antijüdischen Prägung die Situation verschärft, darf nicht verschwiegen werden. Antisemitismus ist aber keineswegs nur ein Problem bei Zuwanderern!
Sie haben sich in der Vergangenheit immer wieder positiv zu evangelikalen Gruppen geäußert. Dafür sind Sie teils kritisch beäugt worden.
Kritik ändert da an meiner Position nichts. Ich möchte, dass wir die christliche Prägung dieses Landes erhalten und dafür ist ein gelebter und einladender Glaube eine notwendige Kraftquelle. Deshalb habe ich mich immer zu Wort gemeldet, wenn Evangelikale in meinen Augen unfair als Fundamentalisten abgestempelt wurden, um sie in die Nähe von gewaltbereiten Islamisten zu rücken.
Kritik an Evangelikalen kommt auch aus der Evangelischen Kirche. Margot Käßmann sagte jüngst im pro-Interview, sie möge das Moralisieren in Freikirchen nicht.
Ich kenne das Zitat nicht. Aber es gibt ja zum Teil auch hart formulierte Kritik evangelikaler Stimmen an liberaler Theologie. Da gilt: Wer austeilt, muss auch einstecken können – in der Politik wie in der innerchristlichen Debatte. Gerade dort sollte allerdings wechselseitiger Respekt stets spürbar bleiben. Die schärfsten Töne gegen Evangelikale kommen dabei nicht selten von ehemaligen Evangelikalen. Das darf Evangelikalen auch Anlass zum Nachdenken sein. Denn so, wie es viele Menschen gibt, die in besonders frommen Gemeinschaften Halt für ihr Leben erfahren, so gibt es auch Menschen, die dies als Enge erleben.
Abtreibungsdebatte: „Schaum vor dem Mund hilft nicht“
Sie gelten in Lebensrechtsfragen als konservativ. Wie stehen Sie zur aktuellen Debatte um die Werbung für Schwangerschaftsabbrüche?
Wir in der Union sind fest entschlossen, am Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche festzuhalten. Wir haben in Deutschland eine Rechtslage, wonach eine Abtreibung in schwerwiegenden Notlagen und nach einer Beratung zwar straffrei bleibt, aber nichtsdestotrotz rechtswidrig ist. Eine Abtreibung zu bewerben, passt nicht in dieses Schutzkonzept. Ich bin vielmehr dafür, dass wir offensiv für die Hilfen werben, die bei ungewollten Schwangerschaften zur Verfügung stehen. In Beratungsstellen erhalten Betroffene zudem alle Informationen über die Möglichkeiten einer legalen Abtreibung.
Die Gegner des Verbots argumentieren, es gehe um Informationsfreiheit.
Deshalb prüft die Regierung nun, ob es Informationslücken und damit Handlungsbedarf gibt. Am Werbeverbot sollten wir aber nichts ändern!
Wurde die Debatte über das Thema in Ihren Augen bisher in würdiger Form geführt? Eine führende SPD-Politikerin twitterte von „widerlichen“ Lebensschützern in der Union.
Das war sicherlich inakzeptabel. Die anschließende Entschuldigung war daher mehr als angebracht. Schaum vor dem Mund hilft in solchen Debatten nicht weiter – auf keiner Seite.
Verstehen Sie es, wenn sich konservative Christen abwenden, weil sie die CDU für zu weit nach links gewandert halten?
Konservative Christen sind in der CDU willkommen, um gemeinsam das „C“ zu stärken! Aber Frust über die CDU kann doch kein Anlass sein, in einer Partei mitzumachen, in der das Spitzenpersonal die Nazibarbarei relativiert. Wer die deutsche Geschichte – gerade als Christ – ernstnimmt, der schwärmt nicht mit Gauland für die Erfolge der Wehrmacht , sondern sieht in den Geschwistern Scholl ein Vorbild.
Gauland erzählt gerne die Anekdote, wie er sich 2012 noch als CDU-Mitglied mit dem konservativen Berliner Kreis bei Ihnen im Adenauer-Haus Gehör verschaffen wollte. Damals waren Sie Generalsekretär. Seiner Version nach haben Sie ihn von oben herab behandelt und hätten ihm zu verstehen gegeben, dass er in der Partei nicht gebraucht werde. Danach gründete er gemeinsam mit anderen die AfD. Hat die CDU die Anliegen der Konservativen zu lange ignoriert?
Ich habe eine völlig andere Erinnerung an diese Begegnung. Ich selbst hatte ja die Mitglieder des „Berliner Kreises“ eingeladen, um mehr über ihre Vorstellungen zu erfahren. Ich traf auf große Stimmenvielfalt – für und gegen den Mindestlohn, für und gegen die Kernenergie, für und gegen die Euro-Rettung. Einig war man sich allerdings in dem Wunsch danach, eine eigene konservative Vereinigung innerhalb der Union zu verankern. Ich habe vor einer derartigen Aufspaltung gewarnt und auf die bestehenden vielfältigen Mitwirkungsmöglichkeiten zum Beispiel in unseren Vereinigungen hingewiesen. Das alles ist in sachlicher Atmosphäre geschehen und mit manchen der damaligen Gesprächsteilnehmer bin ich bis heute freundschaftlich verbunden. Wer als Konservativer Grundsatztreue bei der CDU anmahnt, sollte im Übrigen nicht vergessen, wie entschieden Konrad Adenauer Nationalismus verurteilt und die europäische Einigung angestrebt hat. Christliche Tradition und beherzte Gestaltung von Gegenwart und Zukunft gehörten für Adenauer untrennbar zusammen. Das leitet auch heute die Union!
Herr Gröhe, vielen Dank für das Gespräch!
Sie gelten in Lebensrechtsfragen als konservativ. Wie stehen Sie zur aktuellen Debatte um die Werbung für Schwangerschaftsabbrüche?
Wir in der Union sind fest entschlossen, am Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche festzuhalten. Wir haben in Deutschland eine Rechtslage, wonach eine Abtreibung in schwerwiegenden Notlagen und nach einer Beratung zwar straffrei bleibt, aber nichtsdestotrotz rechtswidrig ist. Eine Abtreibung zu bewerben, passt nicht in dieses Schutzkonzept. Ich bin vielmehr dafür, dass wir offensiv für die Hilfen werben, die bei ungewollten Schwangerschaften zur Verfügung stehen. In Beratungsstellen erhalten Betroffene zudem alle Informationen über die Möglichkeiten einer legalen Abtreibung.
Die Gegner des Verbots argumentieren, es gehe um Informationsfreiheit.
Deshalb prüft die Regierung nun, ob es Informationslücken und damit Handlungsbedarf gibt. Am Werbeverbot sollten wir aber nichts ändern!
Wurde die Debatte über das Thema in Ihren Augen bisher in würdiger Form geführt? Eine führende SPD-Politikerin twitterte von „widerlichen“ Lebensschützern in der Union.
Das war sicherlich inakzeptabel. Die anschließende Entschuldigung war daher mehr als angebracht. Schaum vor dem Mund hilft in solchen Debatten nicht weiter – auf keiner Seite.
Verstehen Sie es, wenn sich konservative Christen abwenden, weil sie die CDU für zu weit nach links gewandert halten?
Konservative Christen sind in der CDU willkommen, um gemeinsam das „C“ zu stärken! Aber Frust über die CDU kann doch kein Anlass sein, in einer Partei mitzumachen, in der das Spitzenpersonal die Nazibarbarei relativiert. Wer die deutsche Geschichte – gerade als Christ – ernstnimmt, der schwärmt nicht mit Gauland für die Erfolge der Wehrmacht , sondern sieht in den Geschwistern Scholl ein Vorbild.
Gauland erzählt gerne die Anekdote, wie er sich 2012 noch als CDU-Mitglied mit dem konservativen Berliner Kreis bei Ihnen im Adenauer-Haus Gehör verschaffen wollte. Damals waren Sie Generalsekretär. Seiner Version nach haben Sie ihn von oben herab behandelt und hätten ihm zu verstehen gegeben, dass er in der Partei nicht gebraucht werde. Danach gründete er gemeinsam mit anderen die AfD. Hat die CDU die Anliegen der Konservativen zu lange ignoriert?
Ich habe eine völlig andere Erinnerung an diese Begegnung. Ich selbst hatte ja die Mitglieder des „Berliner Kreises“ eingeladen, um mehr über ihre Vorstellungen zu erfahren. Ich traf auf große Stimmenvielfalt – für und gegen den Mindestlohn, für und gegen die Kernenergie, für und gegen die Euro-Rettung. Einig war man sich allerdings in dem Wunsch danach, eine eigene konservative Vereinigung innerhalb der Union zu verankern. Ich habe vor einer derartigen Aufspaltung gewarnt und auf die bestehenden vielfältigen Mitwirkungsmöglichkeiten zum Beispiel in unseren Vereinigungen hingewiesen. Das alles ist in sachlicher Atmosphäre geschehen und mit manchen der damaligen Gesprächsteilnehmer bin ich bis heute freundschaftlich verbunden. Wer als Konservativer Grundsatztreue bei der CDU anmahnt, sollte im Übrigen nicht vergessen, wie entschieden Konrad Adenauer Nationalismus verurteilt und die europäische Einigung angestrebt hat. Christliche Tradition und beherzte Gestaltung von Gegenwart und Zukunft gehörten für Adenauer untrennbar zusammen. Das leitet auch heute die Union!
Herr Gröhe, vielen Dank für das Gespräch!
Die Fragen stellte Anna Lutz