Trotz häufiger öffentlicher Anfeindungen gegen Juden in den vergangenen Monaten: Insgesamt gibt es weniger Antisemitismus in Deutschland als noch vor einigen Jahrzehnten. Doch vorhanden ist er nach wie vor – nicht nur unter der muslimischen Bevölkerung. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie vom Institut für Demoskopie Allensbach, die am Mittwoch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung veröffentlicht wurde.
Das Institut ist zu einem gemischten Bild gekommen. Erstens: Die Öffentlichkeit selbst hält Antisemitismus in Deutschland nicht für ein großes Problem. Gefragt, ob es eines sei, bejahten dies nur 23 Prozent der Befragten. 58 Prozent gingen davon aus, die in den Medien berichteten Übergriffe seien Einzelfälle – bis sie an den Abend am Prenzlauer Berg erinnert wurden. Hier stuften das nur 27 Prozent als Einzelfall ein, 44 Prozent jedoch als Indiz für verstärkten Antisemitismus unter Muslimen.
Deutsche bejahen Erinnerungskultur
Zum Thema Erinnerungskultur stellte die Umfrage keine große deutsche Verdrossenheit fest. 81 Prozent der Deutschen hielten die meisten Berichte über Konzentrationslager und den Holocaust für wahr; nur sechs Prozent meinten, dort würden Dinge übertrieben. Die Frage, ob in den Medien zu viel über die Verbrechen des Dritten Reiches berichtet werde, bejahten zwar 26 Prozent. 1995 waren es allerdings noch 36 Prozent gewesen. 45 Prozent wollten, dass über die deutsche Nazi-Vergangenheit nicht mehr so viel gesprochen, sondern „ein Schlussstrich“ gezogen werde. Im Vergleich zu 1986 sind das 21 Prozentpunkte weniger: Damals vertraten 66 Prozent der Westdeutschen diese Ansicht. Von einer Ablehnung der Erinnerungskultur kann also statistisch keine Rede sein.
Anders sieht es beim Thema Israel aus; hier spielt vor allem die Altersgruppe eine Rolle. 31 Prozent der Befragten meinten, Deutschland habe eine besondere Verantwortung gegenüber Israel. Allerdings sahen das 39 Prozent der über Sechzigjährigen so und nur 22 Prozent der unter Dreißigjährigen. Laut Thomas Petersen, dem Autor der Studie, könnte das am zunehmenden zeitlichen Abstand zum Dritten Reich liegen.
Klischees halten sich hartnäckig
Der Antisemitismus in der Bevölkerung an sich steigt aber nicht. Das hat die Studie unter anderem ermittelt, indem sie die Befragten aus einer Liste an Bevölkerungsgruppen diejenigen auswählen ließ, die sie nicht gern als Nachbarn hätten. 75 Prozent nannten Rechtsextreme, 28 Prozent nannten Muslime und nur fünf Prozent nannten Juden. Der Wert hatte 1991 noch bei 12 Prozent gelegen.
Offener Antisemitismus ist also selten. Dennoch gibt es nach wie vor hartnäckige Klischees über „jüdische“ Eigenschaften. Dies zeigt eine Frage, bei der die Befragten in zwei Gruppen aufgeteilt wurden. Beide Gruppen bekamen einen identischen Satz Kärtchen mit Charaktereigenschaften – positiven wie negativen. Die erste Gruppe sollte bestimmen, wie oft diese Eigenschaften bei Juden, die zweite, wie oft sie bei Muslimen vorkommen. Es zeigt sich: Beide Gruppen werden als religiös und traditionsbewusst wahrgenommen, Juden aber öfter als raffgierig und geschäftstüchtig, Muslime öfter als radikal und machthungrig (siehe Grafik). Zu beiden Religionsgruppen pflegen die Deutschen nach wie vor je eigene Klischees.
Islamfeindlichkeit insgesamt stärker verbreitet – Antisemitismus dennoch ein Problem
Zu den Juden etwa schreibt Petersen: „Man kann nicht behaupten, dass die genannten Eigenschaften die Vorstellung der Juden bei den Deutschen dominieren, aber ein wenig schimmert in den Antworten doch das Zerrbild vom gierigen, hinterlistigen Händler durch.“ Solche Vorstellungen seien nur schwer zu bekämpfen, weil sie sich über Jahrhunderte im kollektiven Unterbewusstsein einnisten würden.
Dennoch zeige der Befund: In Deutschland ist die Islamfeindlichkeit insgesamt größer als die Judenfeindlichkeit. Im Durchschnitt schreiben 15 Prozent der Befragten den Juden negative Eigenschaften zu, Muslimen 27 Prozent.
„So lässt sich also festhalten, dass der Antisemitismus in Deutschland trotz der Vorfälle in letzter Zeit, bezogen auf die Bevölkerung insgesamt, nicht zu-, sondern eher abgenommen hat. Das bedeutet aber nicht, dass er kein Problem wäre“, so Petersen weiter. Daher lohne es sich, zu fragen, welche Bevölkerungsgruppen besonders antisemitisch sind.
Politische Rechte besonders antisemitisch
Es bestätige sich hier ein gängiger Verdacht: Obwohl es auch linksextremen Antisemitismus gebe, seien es vor allem die Rechten, die antisemitische Ansichten teilen. So zeige sich in den Umfrageergebnissen, dass die Urteile über Juden bei Anhängern der AfD deutlich negativer ausfallen als bei denen anderer Parteien.
Ein Beispiel sei eine vorsichtige Formulierung des alten Mythos von der „jüdischen Weltverschwörung“, so die Studie. Danach gefragt, ob Juden zu viel Einfluss in der Welt hätten, bejahten im Schnitt 22 Prozent der Befragten. Allerdings fallen die AfD-Anhänger hier deutlich aus dem Rahmen: Von ihnen stimmten 55 Prozent der These zu. Bei SPD-nahen Befragten waren es 16, bei denen der Linken 20 Prozent. Stellt man die gleiche Frage nach Muslimen statt Juden, sind die Ergebnisse ähnlich. Auch hier bricht die AfD-Anhängerschaft mit 54 Prozent klar aus; die Werte von Anhängern anderer politischer Parteien liegen zwischen 22 und 35 Prozent. „Judenfeindlichkeit und Islamfeindlichkeit stehen offensichtlich nicht im Widerspruch zueinander“, schloss Petersen.