Ultraorthodoxe Juden arbeiten in Jerusalem an einer „koscheren“ Online-Enzyklopädie. Die ultraorthodoxe jüdische Organisation Hamikhlol bedient sich nach Angaben der Zeitung Die Welt vom Freitag vor allem beim hebräischen Zweig der Wikipedia. Die hat derzeit rund 225.000 Artikel. Nach Angaben von Welt-Autor Gil Yaron wurden für die ultraorthodoxe Wissensplattform etwa 70 Prozent der mittlerweile rund 57.000 übertragenen Artikel vom Original „schlicht kopiert“.
Allerdings finden Themen, die sich etwa mit Evolution oder Philosophie, Paläontologie oder Kosmologie beschäftigten und nicht mit dem ultraorthodoxen Weltbild im Einklang stehen, keinen Eingang in die „koschere“ Fassung der Wikipedia in hebräischer Sprache. Auch Einträge homosexueller Prominenter oder Bilder von Frauen bleiben außen vor. So soll den ultraorthodoxen Juden „religionskonformes Wissen“ im Internet vermitteln werden.
Internet bedroht ultraorthodoxe Lebenswelt
Das Internet stellt die ultraorthodoxe jüdische Gemeinschaft einerseits vor Herausforderungen. Yaron spricht in dem Artikel von einer „existenziellen Bedrohung“ für Israels ultraorthodoxe Juden durch das Internet. „Diese Welt globaler, grenzenloser Information verstört viele Gläubige“, sagt Josef Kaminer, Direktor von Hamikhlol. Andererseits werde die Abschottung der strenggläubigen jüdischen Lebenswelt immer schwieriger. Die Haredim, wie sich die streng orthodoxen Juden selber nennen, benötigten in der Arbeitswelt Zugang zu Informationsquellen, die ihrem Wertesystem entsprechen. Deshalb hat Kaminer den koscheren Ableger der Wissenplattform Wikipedia ins Leben gerufen.
Nach Angaben der Zeitung surfen rund 49 Prozent der strenggläubigen Juden in Israel im Internet. Rabbiner hätten deshalb eine „weiße Liste“ erstellt, eine Art koscheren Filter. Der blockiere außer den Internetangeboten von Banken, Versicherungen und Behörden nahezu alle Webseiten.
Dem Artikel zufolge lebt die Hälfte der ultraorthodoxen Männer von Sozialleistungen, weil die Männer neben dem Studium heiliger Texte keiner Arbeit nachgingen. Das könne sich das Land nicht mehr leisten und kürze die Leistungen. „Jeder achte Israeli ist heute ein Haredi“, schreibt Yaron. Die Kürzungen der Sozialleistungen sollen die Haredim dazu bewegen, „ihre abgeschottete Parallelwelt“ zu verlassen und Jobs zu suchen. „Im Berufsleben kommen sie dann mit Ideen und Fakten in Berührung, die ihr Weltbild infrage stellen“, schreibt Yaron. Dem will Hamikhlol entgegenwirken.
Von: Norbert Schäfer