„Kontrolle der Kirche hat versagt“

Muslimischer Antisemitismus ist in aller Munde. Dabei gibt es auch innerhalb der Evangelischen Kirche Judenhass. Gegenüber pro spricht der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, von einem „völligen Versagen“ kirchlicher Kontrollmechanismen.
Von PRO
Felix Klein übt Kritik am Umgang der Kirchen mit Antisemitismus in den eigenen Reihen

pro: Herr Klein, hat die Evangelische Kirche in Ihren Augen ein Antisemitismus-Problem?

Felix Klein: Antisemitismus kommt bei Vertretern der Evangelischen Kirche immer wieder vor, insofern gibt es dort ein Antisemitismus-Problem. Ich wünsche mir von Kirchenrepräsentanten, dass sie sich schneller und proaktiver von entsprechenden Vorfällen, Publikationen und Äußerungen distanzieren. Ganz grundsätzlich finde ich aber, dass sich die Evangelische Kirche als Ganzes in der Vergangenheit richtig und gut im Hinblick auf Antisemitismus positioniert hat.

In welchen konkreten Fällen hätte die Kirche schneller und proaktiver agieren müssen?

Zum Beispiel ist im Evangelischen Kirchenboten der Pfälzischen Landeskirche jüngst ein Text von Hartmut Metzger erschienen. Er beginnt mit einem Witz, der Israelis und damit Juden Menschenverachtung unterstellt. Mich hat sehr verwundert, dass so etwas in einer Kirchenzeitschrift abgedruckt werden kann. Offenbar haben hier wichtige Kontrollmechanismen innerhalb einer Landeskirche versagt. Das muss ich kritisieren und finde es nicht akzeptabel.

Immer wieder werden protestantische Schriften als antisemitisch kritisiert, zuletzt etwa ein Aufsatz in einer Arbeitshilfe der Evangelischen Kirche im Rheinland zu 70 Jahren Israel. Oder ein Text von Ulrich Duchrow aus dem Jahr 2016. Darin vergleicht er Israel mit dem Apartheidstaat Südafrika. Warum sind Protestanten so oft judenfeindlich?

Es gibt einen grundlegenden Reflex von Christen, sich für die Schwachen einzusetzen. Palästinenser werden im Konflikt mit Israel als der Schwächere wahrgenommen. Dagegen ist erstmal nichts einzuwenden. Aber wenn die Kritik an Israel antisemitische und antijudaistische Bilder bedient – die ja auch in der Evangelischen Kirche Tradition haben –, dann ist eine Grenze überschritten.

Im vergangenen Jahr wurde sehr breit und mit großem Aufwand das Reformationsjubiläum gefeiert – und damit auch der Antijudaist Martin Luther. Sie müssen das mit gemischten Gefühlen beobachtet haben …

Ich bin selbst evangelischer Christ. Ich finde es richtig, dass wir das Reformationsjubiläum breit gefeiert haben, denn Luther hat die Welt verändert. Aber ich hätte gern gesehen, dass die problematischen Seiten des Reformators breiter beleuchtet worden wären. Ich habe wahrgenommen, dass etwa Margot Käßmann und andere führende Vertreter sich zu Luthers Antisemitismus geäußert haben. Aber das waren nur einzelne Stimmen. Ich hatte nicht den Eindruck, dass Luthers Antisemitismus in der Konzeption der Jubiläumsfeiern systematisch ein Thema gewesen ist.

Felix Klein ist der erste Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung Foto: pro/Anna Lutz
Felix Klein ist der erste Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung

Arbeitshilfen und Luthers Antijudaismus sind nicht der einzige Bezug der Protestanten zum Thema. Da wäre auch die Vergabe des Echo für ein antisemitisches Lied und der ausbleibende Widerspruch des evangelischen Vertreters in der Jury. Hätte der evangelische Vertreter Klaus-Martin Bresgott klarer Stellung beziehen müssen?

Absolut. Im Gegensatz zu ihm hat die katholische Vertreterin dagegen gestimmt. Da ist ein absolutes Versagen festzustellen. Die Evangelische Kirche entsendet doch genau aus dem Grund Vertreter in solche Gremien, um moralische Standards einzufordern und das christliche Weltbild zu verteidigen. Das ist richtig und gut so, aber in diesem Fall hat der evangelische Vertreter versagt und auch die Kirchenoberen haben sich meines Erachtens zu spät zu dem Vorfall geäußert.

Ein neuerer Artikel der Zeit-Beilage Christ & Welt beschreibt eine Kirchengemeinde in Berlin-Zehlendorf mit dem Namen Ernst-Moritz-Arndt-Gemeinde. Arndt war nicht nur Dichter, sondern auch Antisemit. Darf eine Kirche so heißen?

Die Diskussion über Ernst Moritz Arndt findet nicht nur in der Evangelischen Kirche statt. Auch die Universität Greifswald war früher nach ihm benannt und hat sich letztlich dazu entschieden, sich von dem Namen zu verabschieden. Wie viele Persönlichkeiten des 19. Jahrhunderts hat Arndt positive und negative Seiten. Aber ich denke, dass es genug andere herausragende Persönlichkeiten gibt, nach denen sich eine Kirchgemeinde benennen könnte. Ich hielte es für gut und richtig, wenn sie den Namen ablegen würde.

Eine Umfrage des PEW-Research Centers von Ende Mai hat gezeigt, dass Christen eher Juden und Muslime in der eigenen Familie ablehnen als Nichtreligiöse. Deckt sich das mit Ihren Beobachtungen?

Das schockiert mich. Ich hätte es nicht erwartet. Es widerspricht dem christlichen Menschenbild, der Nächstenliebe, dem Bild vom Barmherzigen Samariter. Vielleicht sollten solche Ergebnisse Anlass sein, dass der Kirchentag einmal darüber diskutiert und dem nachgeht. Ich hätte gedacht, dass die Kirche und die Gesellschaft mittlerweile toleranter sind.

Sie wurden dafür kritisiert, am Marsch des Lebens teilgenommen zu haben. Ihre Kritiker sagen, den auch aus Freikirchen stammenden Organisatoren gehe es um die Bekehrung von Juden zum Christentum.

Ich habe mich vor meiner Teilnahme natürlich erkundigt. Der ehemalige Generalsekretär des Zentralrats der Juden, Stephan Kramer, ist dort bereits mitgelaufen, ebenso andere Persönlichkeiten aus der Politik. Ich hielt das Anliegen des Marschs für gut und auch die israelischen Partner, deren Urteil ich vertraue, rieten mir nicht von der Teilnahme ab. Wenn die Einladung für das nächste Jahr käme, würde ich es aber noch einmal genauer prüfen.

Arbeitshilfen und Luthers Antijudaismus sind nicht der einzige Bezug der Protestanten zum Thema. Da wäre auch die Vergabe des Echo für ein antisemitisches Lied und der ausbleibende Widerspruch des evangelischen Vertreters in der Jury. Hätte der evangelische Vertreter Klaus-Martin Bresgott klarer Stellung beziehen müssen?

Absolut. Im Gegensatz zu ihm hat die katholische Vertreterin dagegen gestimmt. Da ist ein absolutes Versagen festzustellen. Die Evangelische Kirche entsendet doch genau aus dem Grund Vertreter in solche Gremien, um moralische Standards einzufordern und das christliche Weltbild zu verteidigen. Das ist richtig und gut so, aber in diesem Fall hat der evangelische Vertreter versagt und auch die Kirchenoberen haben sich meines Erachtens zu spät zu dem Vorfall geäußert.

Ein neuerer Artikel der Zeit-Beilage Christ & Welt beschreibt eine Kirchengemeinde in Berlin-Zehlendorf mit dem Namen Ernst-Moritz-Arndt-Gemeinde. Arndt war nicht nur Dichter, sondern auch Antisemit. Darf eine Kirche so heißen?

Die Diskussion über Ernst Moritz Arndt findet nicht nur in der Evangelischen Kirche statt. Auch die Universität Greifswald war früher nach ihm benannt und hat sich letztlich dazu entschieden, sich von dem Namen zu verabschieden. Wie viele Persönlichkeiten des 19. Jahrhunderts hat Arndt positive und negative Seiten. Aber ich denke, dass es genug andere herausragende Persönlichkeiten gibt, nach denen sich eine Kirchgemeinde benennen könnte. Ich hielte es für gut und richtig, wenn sie den Namen ablegen würde.

Eine Umfrage des PEW-Research Centers von Ende Mai hat gezeigt, dass Christen eher Juden und Muslime in der eigenen Familie ablehnen als Nichtreligiöse. Deckt sich das mit Ihren Beobachtungen?

Das schockiert mich. Ich hätte es nicht erwartet. Es widerspricht dem christlichen Menschenbild, der Nächstenliebe, dem Bild vom Barmherzigen Samariter. Vielleicht sollten solche Ergebnisse Anlass sein, dass der Kirchentag einmal darüber diskutiert und dem nachgeht. Ich hätte gedacht, dass die Kirche und die Gesellschaft mittlerweile toleranter sind.

Sie wurden dafür kritisiert, am Marsch des Lebens teilgenommen zu haben. Ihre Kritiker sagen, den auch aus Freikirchen stammenden Organisatoren gehe es um die Bekehrung von Juden zum Christentum.

Ich habe mich vor meiner Teilnahme natürlich erkundigt. Der ehemalige Generalsekretär des Zentralrats der Juden, Stephan Kramer, ist dort bereits mitgelaufen, ebenso andere Persönlichkeiten aus der Politik. Ich hielt das Anliegen des Marschs für gut und auch die israelischen Partner, deren Urteil ich vertraue, rieten mir nicht von der Teilnahme ab. Wenn die Einladung für das nächste Jahr käme, würde ich es aber noch einmal genauer prüfen.

Kein erhöhtes Antisemitismuspotential bei Muslimen

Wir haben nun sehr viel über die Probleme der Kirche mit Antisemitismus gesprochen. In der Öffentlichkeit hat man eher den Eindruck, Muslime wären die Hauptakteure des Judenhasses. Wird das Problem des muslimischen Antisemitismus überbetont und das des christlichen unter den Teppich gekehrt?

Die Debatte wird sehr unehrlich geführt. Muslimen wird unterschwellig ein grundsätzlicher Antisemitismus unterstellt, der in der Realität aber nicht existiert. Wir müssen uns gegen dieses Vorurteil wenden. Natürlich gibt es Fälle von Antisemitismus unter Muslimen und egal, wer diese rote Linie überschreitet, wir müssen dagegen vorgehen. Aber in meinen Augen gibt es grundsätzlich kein erhöhtes Antisemitismus-Potential unter Muslimen. Es gibt muslimische Länder, in denen es praktisch keinen Antisemitismus gibt, wie Aserbaidschan, Bahrain oder Albanien. Muslimische Menschen aus dem Nahen Osten sind dagegen oftmals israelkritisch und anfälliger für Antisemitismus. Dieser liegt – vor allem bedingt durch die politische Situation – sozusagen in der Luft.

Welche Botschaft haben Sie diesbezüglich an die Islamverbände?

Ich werde nun das Gespräch mit den Islamverbänden suchen. Natürlich ist der Antisemitismus unter Muslimen stark vom Nahostkonflikt geprägt. Durch diese politische Aufladung findet in manchen Verbänden Antisemitismus Eingang in das Denken und Sprechen. Es muss klar sein: Wir können uns kritisch über Israel unterhalten. Aber das Existenzrecht des Staates wird nicht in Frage gestellt. Von den Verbänden selbst könnte auch stärker ein systematischer Einsatz gegen Antisemitismus kommen. Ich möchte vermitteln, dass es für muslimische Organisationen ein lohnender Kampf ist, sich gegen Judenhass stark zu machen, auch als Zeichen der Integrationsbereitschaft an die deutsche Gesellschaft. Darüber hinaus könnten sie selbst auch viel glaubwürdiger Solidarität einfordern, wenn etwa Kopftuchträgerinnen angegriffen werden.

Was genau kann ein Beauftragter Wirksames tun, wenn etwa die Süddeutsche Zeitung antisemitische Karikaturen veröffentlicht, wie jüngst geschehen?

Ich benenne Antisemitismus, wenn er auftritt. So wie im Falle der Süddeutschen Zeitung. Es muss klar sein, wo die roten Linien liegen. Ich möchte aber auch dafür sorgen, dass die Kontrollmechanismen in den Medien besser funktionieren, damit solche Fälle gar nicht erst auftreten. Dazu suche ich das Gespräch mit den Leitern der Rundfunkanstalten und Redaktionen. Es gibt da eindeutig Handlungsbedarf.

Sie haben den Al-Quds-Tag kritisiert. Für wie realistisch halten Sie es, dass diese anti-israelische Kundgebung in Berlin verboten wird?

Mir ist klar, dass die Hürden für ein Verbot von Demonstrationen sehr hoch sind, und zu Recht ist das Demonstrationsrecht auch ein sehr geachtetes Recht. Vor dem Hintergrund der letzten Vorfälle in Berlin – denken Sie etwa an die Verbrennung einer israelischen Flagge vor dem Brandenburger Tor – bin ich aber zuversichtlich, dass die Chancen für ein Verbot heute größer sind als noch ein Jahr zuvor. Sie zeigen nämlich, dass das Demonstrationsrecht missbraucht wird. Dass auf Demonstrationen gerufen wird „Juden ins Gas“ ist nicht tolerierbar.

Herr Klein, vielen Dank für das Gespräch!

Wir haben nun sehr viel über die Probleme der Kirche mit Antisemitismus gesprochen. In der Öffentlichkeit hat man eher den Eindruck, Muslime wären die Hauptakteure des Judenhasses. Wird das Problem des muslimischen Antisemitismus überbetont und das des christlichen unter den Teppich gekehrt?

Die Debatte wird sehr unehrlich geführt. Muslimen wird unterschwellig ein grundsätzlicher Antisemitismus unterstellt, der in der Realität aber nicht existiert. Wir müssen uns gegen dieses Vorurteil wenden. Natürlich gibt es Fälle von Antisemitismus unter Muslimen und egal, wer diese rote Linie überschreitet, wir müssen dagegen vorgehen. Aber in meinen Augen gibt es grundsätzlich kein erhöhtes Antisemitismus-Potential unter Muslimen. Es gibt muslimische Länder, in denen es praktisch keinen Antisemitismus gibt, wie Aserbaidschan, Bahrain oder Albanien. Muslimische Menschen aus dem Nahen Osten sind dagegen oftmals israelkritisch und anfälliger für Antisemitismus. Dieser liegt – vor allem bedingt durch die politische Situation – sozusagen in der Luft.

Welche Botschaft haben Sie diesbezüglich an die Islamverbände?

Ich werde nun das Gespräch mit den Islamverbänden suchen. Natürlich ist der Antisemitismus unter Muslimen stark vom Nahostkonflikt geprägt. Durch diese politische Aufladung findet in manchen Verbänden Antisemitismus Eingang in das Denken und Sprechen. Es muss klar sein: Wir können uns kritisch über Israel unterhalten. Aber das Existenzrecht des Staates wird nicht in Frage gestellt. Von den Verbänden selbst könnte auch stärker ein systematischer Einsatz gegen Antisemitismus kommen. Ich möchte vermitteln, dass es für muslimische Organisationen ein lohnender Kampf ist, sich gegen Judenhass stark zu machen, auch als Zeichen der Integrationsbereitschaft an die deutsche Gesellschaft. Darüber hinaus könnten sie selbst auch viel glaubwürdiger Solidarität einfordern, wenn etwa Kopftuchträgerinnen angegriffen werden.

Was genau kann ein Beauftragter Wirksames tun, wenn etwa die Süddeutsche Zeitung antisemitische Karikaturen veröffentlicht, wie jüngst geschehen?

Ich benenne Antisemitismus, wenn er auftritt. So wie im Falle der Süddeutschen Zeitung. Es muss klar sein, wo die roten Linien liegen. Ich möchte aber auch dafür sorgen, dass die Kontrollmechanismen in den Medien besser funktionieren, damit solche Fälle gar nicht erst auftreten. Dazu suche ich das Gespräch mit den Leitern der Rundfunkanstalten und Redaktionen. Es gibt da eindeutig Handlungsbedarf.

Sie haben den Al-Quds-Tag kritisiert. Für wie realistisch halten Sie es, dass diese anti-israelische Kundgebung in Berlin verboten wird?

Mir ist klar, dass die Hürden für ein Verbot von Demonstrationen sehr hoch sind, und zu Recht ist das Demonstrationsrecht auch ein sehr geachtetes Recht. Vor dem Hintergrund der letzten Vorfälle in Berlin – denken Sie etwa an die Verbrennung einer israelischen Flagge vor dem Brandenburger Tor – bin ich aber zuversichtlich, dass die Chancen für ein Verbot heute größer sind als noch ein Jahr zuvor. Sie zeigen nämlich, dass das Demonstrationsrecht missbraucht wird. Dass auf Demonstrationen gerufen wird „Juden ins Gas“ ist nicht tolerierbar.

Herr Klein, vielen Dank für das Gespräch!

Die Fragen stellte Anna Lutz

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