Ja, sollten sie, denn Organspender gibt es zu selten
Von Johannes Weil
Deutschland rühmt sich gerne mit Spitzenplätzen. Allerdings gibt es auch Ranglisten, in denen das hoch entwickelte und technisierte Land auf einem Abstiegsplatz steht. Bei der Zahl der Organspender zum Beispiel. Dort ist Deutschland 2017 auf ein historisches Tief gefallen und liegt auf Augenhöhe mit Griechenland, Rumänien, Bulgarien und Albanien.
Auf eine Million Einwohner kommen in Deutschland nur 9,3 Spender. Zum Vergleich: Spitzenreiter Spanien kommt auf den fünffachen Wert mit 46,9 Spendern pro einer Million Einwohner.
Die Zahlen hat die Süddeutsche Zeitung aufgegriffen. Sie beruft sich dabei auf den noch unveröffentlichten Jahresbericht der Stiftung Eurotransplant. Von den Fachleuten wird ein Wert von zehn als kritische Marke angesehen, unterhalb der man nicht mehr von einem ernstzunehmenden Organspendesystem reden kann.
Für Bedenkenträger ist es schwer denkbar, dass nach dem eigenen Ableben noch am eigenen Körper rumhantiert wird. Andere möchten gerne selbst darüber entscheiden, wem das gespendete Organ zu Gute kommt. Skandale über Organspende-Vergabe tragen ein Übriges dazu bei, bei dem Thema kritisch zu sein.
Aber es gibt noch die andere Sichtweise: nämlich die Möglichkeit, mit einer Organspende das Leben eines anderen Menschen zu retten. Im besten Fall sogar mehrere Leben mit mehreren Organen. So können Menschen auch über den eigenen Tod hinaus „nachhaltig“ Nächstenliebe üben. Bei einer Organspende nach dem eigenen Tod stören auch operative Eingriffe und verbleibende Narben nicht mehr.
Doch die gesellschaftliche Gemütslage scheint eine andere zu sein. Das historische Tief aus dem Jahr 2016 wurde noch einmal um acht Prozent unterschritten. Das führt dazu, dass teilweise Organe aus anderen Ländern eingeführt werden müssen. Laut Erhebung von Eurotransplant waren dies rund 200 zusätzliche Organe aus europäischen Ländern. Andere Patienten warten vergeblich. Die Zahlen sollten ein Weckruf für alle diejenigen sein, für die eine Organspende bis dato gar nicht in Frage kam.
Nein, denn kaum einer weiß, was Organspende bedeutet
Von Anna Lutz
Besonders die Kirchen nutzen den Tag der Organspende immer wieder, um daran zu erinnern, dass sie das großzügige Geschenk als Akt der Nächstenliebe verstehen. „Eine Organspende ist eine Chance, christliche Nächstenliebe zu leben“, teilte etwa die Evangelische Kirche im Rheinland vor einigen Tagen mit. In einer gemeinsamen Erklärung mit der katholischen Deutschen Bischofskonferenz aus dem Jahr 1990 nennt die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) die Organspende eine Möglichkeit, „über den Tod hinaus sein Leben in Liebe für den Nächsten hinzugeben“. Im Jahr 2009 schrieb der ehemalige Berliner Bischof Wolfgang Huber in der Tageszeitung BZ: „Zur Organspende bereit zu sein, ist eine Möglichkeit, Nächstenliebe zu üben.“ Drei Jahre später erklärte der damalige EKD-Ratsvorsitzende, Nikolaus Schneider ähnliches.
Das lässt Christen kaum eine Wahl. Jesus-Nachfolger sehen sich qua göttlichem Gebot der Nächstenliebe verpflichtet. Sie steht neben der Gottesliebe an erster Stelle. Auch wenn Kirchenvertreter neben ihrem Werben für die Organspende immer wieder erklärt haben, der Akt sei freiwillig, so kann man doch davon ausgehen, dass viele Christen die Kirchenobersten beim Wort nehmen. Und aus ihren Äußerungen eine Verpflichtung zur Spende ableiten.
Dabei sollte das Kreuzchen im Organspendeausweis wohlüberlegt gesetzt werden. In der Tat gibt es Punkte, die vor allem Christen vorher bedenken sollten. So haben Angehörige von Organspendern, Lebendspenden wie etwa Nieren natürlich ausgeschlossen, zum Beispiel keine Möglichkeit, von ihrem Kind oder ihrem Ehepartner im Moment des Todes oder auf dem Weg dahin, Abschied zu nehmen. Sie sehen einen durch Maschinen vital erscheinenden Menschen in seinem Krankenbett – und das nächste Mal einen Toten. Sterbebegleitung ist bei Organspendern in der Regel nicht möglich, weil Geistliche keinen Zugang zum OP haben.
Die Evangelischen Frauen in Deutschland haben in einem Positionspapier zudem das Hirntodkriterium kritisch beleuchtet. Nur Menschen, bei denen dieser diagnostiziert wurde, sind zur Spende zugelassen. Ein Menschenbild, das das Individuum auf seine Hirnfunktion beschränke, sei aus christlicher Perspektive mindestens bedenklich, meinen dazu die Evangelischen Frauen. Alle Menschen seien mit einer „unverlierbaren Würde“ ausgestattet, „unabhängig von ihrer körperlichen Verfasstheit und ihren Möglichkeiten zur aktiven Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Das heißt: Nicht die Hirnleistung macht uns zu Menschen, sondern die Beziehung Gottes.“ Niemals könne der Körper als „recycelbare Materie“ verstanden werden, die „zerlegt“ oder „konserviert“ werden solle.
Organspender werden nach Eintritt des Hirntods in der Regel mehrere Stunden, manchmal auch Tage, künstlich beatmet, damit die Organe nutzbar bleiben. Die Qualität der Organe wird geprüft, etwa durch Ultraschall. Auch eine medikamentöse Behandlung ist nicht ausgeschlossen, denn: Der Hirntod bedeutet auch, dass der Körper trotz Maschinen nicht mehr optimal versorgt wird. Hormonausschüttungen unterbleiben, der Elektrolyte- und Wasserhaushalt bricht unter Umständen zusammen. Wer also einen Behandlungsabbruch bei Hirntod in einer Patientenverfügung fordert, zugleich aber einen Organspendeausweis trägt, stellt die Ärzte vor eine eigentlich unlösbare Aufgabe. Im Zweifel entscheiden die Angehörigen.
Und nicht nur das weiß kaum jemand. Auch über die Auswirkungen der der Spende vorrausgehenden Behandlung am hirntoten Patienten informieren Ärzte nur zögerlich. Dazu wird das Blut bei schlagendem Herzen aus dem Körper geschwemmt, die – durch Maschinen und Medikamente – noch arbeitenden Organe werden mithilfe von Eiswasser und Perfusionslösung auf vier Grad heruntergekühlt. Damit einher gehen sogenannte Lazaruszeichen. Die Sterbenden zucken, deshalb werden sie während der Behandlung fixiert. Die Haut verfärbt sich rötlich, die Herzfrequenz steigt.
Freilich steht es jedem zu, das alles für sich in Kauf zu nehmen, um einem oder mehreren anderen Menschen zu helfen oder gar das Leben zu retten. Ist die Einwilligung zur Organspende gut überlegt und mit den Angehörigen besprochen, ist das ohne Zweifel zu begrüßen. Die Kirchen aber sollten darauf hinweisen, dass es kein klares christliches Ja zur Organspende geben muss. Es gibt gute Gründe, sein Kreuzchen auf dem Ausweis bei Nein zu setzen.