Kreuz in Behörden: Akt der „kulturellen Grabenbildung“?

Die verpflichtende Anbringung eines Kreuzes in Behörden dürfe nicht zu einer weltanschaulichen oder religiösen Indoktrination durch den Staat werden, schreibt der ehemalige Bundesverfassungsrichter Udo Di Fabio in der Wochenzeitung Die Zeit. Es könne jedoch auch ein „Symbol der Beruhigung“ darstellen.
Von Jörn Schumacher
Der ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht, Udo Di Fabio, mahnt vor einer „kulturellen Grabenbildung“ durch Kreuze

Nach einem Kabinettsbeschluss sollen Behörden in Bayern ein Kreuz zeigen. Der neue bayerische Ministerpräsident Markus Söder hatte in der Staatskanzlei publikumswirksam das Werk selbst begonnen und ein Kreuz angebracht. Udo Di Fabio vergleicht das Kreuz mit einem „Feldzeichen der Reconquista“, das aussagen soll: „Wir holen uns unsere Heimat zurück!“ Der Jurist Di Fabio war von 1999 bis Dezember 2011 Richter am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.

Der Aufschrei in der Bevölkerung sei geradezu sicher zu erwarten gewesen, so Di Fabio. So war unter anderem die Rede von einem Missbrauch des Kreuzes als „Dominanzsymbol“. Der Jurist verweist auf die USA, wo es eine „religiös weit stärker durchwirkte politische Landschaft“ gebe. Dort handele man „stellenweise beinah laizistisch rigide, und dort entstehen schon Probleme mit dem Aufstellen eines Weihnachtsbaums durch die Gemeinde“. In Amerika wolle man niemanden verletzen oder ausgrenzen, der im Kreuz ein Symbol des Fremden oder gar des Feindlichen sieht.

Von einer klaren Verfassungswidrigkeit des Söderschen Kreuzes im Eingangsbereich von Dienststellen könne indes keine Rede sein, stellt der Jurist in seinem Beitrag für die Wochenzeitung Die Zeit klar. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte am 18. März 2011 eine staatlich auferlegte Pflicht zur Anbringung von Schulkreuzen mit dem Prinzip des säkularen Staates für vereinbar erklärt. Er sah im Kreuz vor allem ein religiöses Symbol und nicht lediglich ein kulturelles Zeichen eigener Herkunft und Identität. Allerdings dürfe ein Staat daraus nicht das Symbol eigener Herkunft und Identität und daraus eine weltanschauliche oder religiöse Indoktrination machen.

Di Fabio weist allerdings auf den Unterschied zwischen einem Kruzifix und einem schlichten Holzkreuz hin: Während das eine den leidenden Jesus zeige und symbolisch suggestiv wirken könne und „die Schwelle zum unverhältnismäßigen Eingriff in die negative Religionsfreiheit“ überschreite, so sei letzteres frei von „solch überwältigender Symbolkraft“. Di Fabio weiter: „Die Kirchen müssen zur Kenntnis nehmen, dass ‚ihr‘ Kreuz von einer Gesellschaft, von politischen Parteien oder Regierungen aufgenommen und für sich gedeutet wird. Das könnte für sie eigentlich ein willkommener Anlass sein, ihr theologisches Verständnis deutlich zu machen.“

„Gewaltsame Intoleranz muss den Rechtsstaat alarmieren“

Allerdings bringe die bayerische Anordnung zur Anbringung von Kreuzen eine „kulturelle Grabenbildung“ und eine „die Identität betreffende Verunsicherung“ mit sich, mahnt Di Fabio. Die Gesellschaft verändere sich, nicht allein durch Zuwanderung, und sie befinde sich in einem steten Prozess der Säkularisierung. „Es ist nicht zu übersehen, dass in manchen Brennpunkten Konflikte rund um kulturelle Identitätsmuster zunehmen, sonst wäre der jüngste Streit um das Tragen der Kippa im öffentlichen Begegnungsraum kaum erklärbar“, schreibt der Rechtsexperte. Es sei in einer europäischen liberalen Demokratie das Recht jedes Menschen, eine Kippa, ein Kopftuch oder die Kleidung einer Nonne zu tragen. „Wenn sich in einer pluralen Gesellschaft gewaltsame Intoleranz breitmacht, muss der Rechtsstaat alarmiert sein und wirksam handeln.“

Di Fabio fügt hinzu: „Wer genau hinschaut, wird sehen, dass viele Menschen islamischen Glaubens und auch manche Atheisten ihre Kinder gerne in konfessionelle Kindertagesstätten oder Schulen schicken. Manche muslimische Familie will ganz gewiss keinen Beitrag im antiwestlichen Kulturkampf fundamentalistischer Strömungen leisten, aber sie fürchtet dennoch eine ‚gottlose‘ Gesellschaft mehr als jede konkurrierende Religion.“ Für alle, die ihre Kinder lieber in eine evangelische oder katholische Kita geben, selbst wenn dort mit dem fremden Kreuzzeichen gebetet werden müsse, könnte ein Kreuz in einer Behörde eher Beruhigung als Provokation sein.

Von: Jörn Schumacher

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