Für den Künstler und ehemaligen Professor für Ästhetik und Kulturvermittlung an der Bergischen Universität Wuppertal, Bazon Brock, sind sinkende Mitgliederzahlen der Kirchen und der Rückgang der Gottesdienstbesuche kein Grund zur Sorge. Im Gegenteil. Vielmehr erkennt Brock darin Zeichen einer „grundsätzlich gutartigen Entwicklung“. In einer Abhandlung, veröffentlicht in der aktuellen Ausgabe des Nachrichtenmagazins Focus, schreibt der 81-jährige Brock: „Leere Kirchenbänke sind der schlagende Beweis für die gelungene Durchsetzung jener Vorstellungen des gerechten Lebens, die sich primär in den christlichen Gemeinden entwickelt haben.“ Die Kirchen seien leer, weil Menschen nicht mehr gläubige Christen zu sein bräuchten, um die Gleichheit vor Gott, Gerechtigkeit und Nächstenliebe zu erfahren.
Die „vermeintlich triumphale Aufklärung im Westen als Trennung von Staat und Kirche, von Thron und Altar“ hält Brock hingegen für ein „Missverständnis“. Den modernen demokratischen Staat bezeichnet der Kulturschaffende in dem Artikel „als die effektivste Durchsetzung der christlichen Ethiken und Lebensentwürfe“. In modernen Demokratien verwirkliche sich, „was die christlichen Kirchen je gegenüber vormodernen Despotien oder totalitärer Herrschaft fordern konnten“.
Leere Kirchen seien deshalb kein Indiz für ein Defizit, sondern verwiesen auf eine Erfüllung und den Erfolg kirchlicher Lehre. „Was die Lehren der Kirchen postulierten und was immer nur als spezifisch christlich galt, ist in Demokratien als Rechts- und Sozialstaaten durch universelle Geltung zu Selbstverständlichkeiten erhöht worden“, schreibt Brock.
Von: Norbert Schäfer