Schulische Bildung ist ein heikles Thema, über das bisweilen äußerst emotional diskutiert wird – etwa wenn es um den Sexualkundeunterricht geht. Aber auch über Glaubensfragen sind sich Eltern, Lehrer und Politiker regelmäßig uneins.
Nun rollt ein Artikel der Morgenpost das Thema neu auf. Darin nimmt Autor Lion Grote insbesondere evangelikal orientierte Bekenntnisschulen ins Visier und wirft ihnen faktisch Rechtsbruch vor.
So schreibt Grote unter anderem: „Manchmal passieren Dinge, die es laut Lehrplan gar nicht geben dürfte. Der Lehrer erklärt (im Biologieunterricht, Anm. d. Red.), dass die Evolution, nach der sich auch der Mensch aus einem Urvorfahren heraus entwickelte, nur eine Idee ist. Es gebe da auch noch die Schöpfungsgeschichte, der zufolge Gott Himmel, Erde und alles Leben schuf – so steht es in der Bibel.“ Und dann der entscheidende Satz: „Nach deutschem Gesetz haben Glaubensfragen in wissenschaftlichen Fächern wie Biologie aber nichts zu suchen.“ Auf welches Gesetz sich der Autor hier bezieht, bleibt offen.
Neutralität muss gewahrt werden
Was dürfen Bekenntnisschulen also wirklich und was nicht? Diese Frage zu beantworten ist kompliziert, allein schon aufgrund des Bildungsföderalismus, der in Deutschland existiert. Fest steht aber in jedem Fall: Eine Indoktrination, ein Aufzwingen der eigenen Meinung oder Weltanschauung durch Lehrkräfte darf es im Biologie- genauso wenig wie im Religions- oder Politikunterricht geben – und zwar weder in die eine noch in die andere Richtung.
Zum fünften Absatz von Artikel 7 des Grundgesetzes (Regelungen zum Schulsystem) hat das Bundesverwaltungsgericht 1992 klargestellt, dass Bekenntnisschulen ein Bekenntnis haben müssen, „das die Schule und den gesamten Unterricht prägt“. Das Grundgesetz verpflichtet damit diese Schulen, ihr Bekenntnis zu vertreten. Dass die betreffenden Schulen dies in der täglichen Praxis umsetzen, verwundert da wenig. Der Staat räumt den Schulen große Freiräume ein, die diese nutzen.
Im zweiten Artikel des Zusatzprotokolls zur Europäischen Menschenrechtskonvention heißt es zudem: „Der Staat hat bei Ausübung der von ihm auf dem Gebiete der Erziehung und des Unterrichts übernommenen Aufgaben das Recht der Eltern zu achten, die Erziehung und den Unterricht entsprechend ihren eigenen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen sicherzustellen.“
Eine Passage, die sich in ähnlicher Form etwa auch im hessischen Schulgesetz wiederfindet. Hier heißt es in Paragraph 86, dass Lehrkräfte „politische, religiöse und weltanschauliche Neutralität zu wahren“ haben. Die Landesverfassung ergänzt dies in Artikel 56 noch durch den Zusatz: „Der Lehrer hat in jedem Fach auf die religiösen und weltanschaulichen Empfindungen aller Schüler Rücksicht zu nehmen und die religiösen und weltanschaulichen Auffassungen sachlich darzulegen.“
Schüler sollen sich mit Auffassungen anderer auseinandersetzen
In Paragraph zwei des hessischen Schulgesetzes ist überdies festgeschrieben, dass Schüler im Unterricht insbesondere lernen sollen, „sich Informationen zu verschaffen, sich ihrer kritisch zu bedienen, um sich eine eigenständige Meinung zu bilden und sich mit den Auffassungen anderer unvoreingenommen auseinander setzen zu können“.
Demnach schiene eine Verbreitung der Schöpfungstheorie im Unterricht ja sogar geradezu geboten. Und so schreibt beispielsweise der hessische Lehrplan für das letzte Schuljahr vor dem Abitur im Biologieunterricht auch eine Befassung mit „Darwins Widersachern – gestern und heute“ vor. Als Beispiele werden „Kirchen, Kreationismus, Creative Design“ genannt.
Dass Glaubensfragen im Unterricht „nichts zu suchen“ haben, wie es der Artikel der Morgenpost suggeriert, ist also grundfalsch – ob die Schöpfungstheorie gleichberechtigt neben der Evolutionstheorie im Biologieunterricht gelehrt werden darf, steht auf einem anderen Blatt.
Schöpfungstheorie wissenschaftlich?
Kritiker, wie etwa der von der Morgenpost bemühte Gießener Professor Dietmar Graf, sehen durch Kreationismus im Biologieunterricht nichts Geringeres bedroht als „das Fundament unserer Gesellschaft“. Kinder würden dazu gebracht, das wissenschaftliche Arbeiten infrage zu stellen, indem Glaube und Wissenschaft vermengt würden. Im Gegensatz zur Schöpfungstheorie sei die Evolutionstheorie schließlich empirisch überprüfbar.
Was der Professor dabei unterschlägt: Auch eine wissenschaftliche Hypothese bleibt eine Hypothese. Und die Ursprungsfrage – wie also das allererste Teilchen des Universums entstand – kann auch die Evolutionstheorie nicht abschließend erklären. Damit bleibt sie lückenhaft, was Raum für weitere Theorien bietet.
Wenn die Morgenpost weiter schreibt „Experten warnen deshalb, dass auf diese Weise eine Generation von Wissenschaftsskeptikern herangezogen wird“, dann erfasst der Autor genau die Aufgabe aller Bildungseinrichtungen: Schüler sollen befähigt werden, immer wieder kritisch zu fragen, ob aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse zutreffen. Wer aufhört zu fragen, ob es neue Einsichten gibt, erlebt keinen Erkenntnisgewinn. Das kann nicht Ziel schulischer Bildung sein. Im Gegenteil, in der Schule sollten Kinder lernen, selbständig zu denken. Das reine Vorstellen verschiedener Modelle trägt daher zur Meinungsbildung bei.
In dem Artikel der Morgenpost wird insbesondere auch vor Kreationisten gewarnt, die versuchten „mit ihren Ansichten in staatliche Schulen zu kommen“. Konkret wird der, wie es heißt, „evolutionskritische Verein ‚Wort und Sinn’“ als Beispiel angeführt. Gemeint sein dürfte „Wort und Wissen“. Der Verein gibt unter anderem das Schulbuch „Evolution – Ein kritisches Lehrbuch“ heraus.
Doch auch zu Schulbüchern gibt es beispielsweise im hessischen Schulgesetz klare Regelungen. So heißt es in Paragraph zehn, dass Lehrbücher nur eingeführt werden dürften, „wenn sie zuvor zugelassen worden sind. Über die Zulassung entscheidet das Kultusministerium.“
Von: Stefanie Ramsperger und Sandro Serafin