Früher war der Kinderkanal einfach der Sender, der abends kurz vor 19 Uhr das Sandmännchen zeigte. Es war die Anstalt, die schon den Kleinsten zehn Minuten sorgenfreien und über jeden Zweifel erhabenen Fernsehspaß ermöglichte, bevor diese dann ordnungsgemäß und mit imaginärem Schlafsand in den Augen in ihre Bettchen fallen durften. Früher – das bedeutet, bis vor einem Monat. Anfang des Jahres nämlich erntete der Sender erstmals massive Negativschlagzeilen.
Liebe unter Islamismusverdacht
Alles begann mit einer Dokumentation über die Liebesgeschichte einer damals 15-Jährigen und eines syrischen Flüchtlings. Zu unkritisch hätten die zuständigen Redakteure die Geschichte wiedergegeben, hieß es, immerhin forderte der Protagonist von seiner Freundin, keine kurzen Röcke zu tragen und keine anderen Jungs zu umarmen. Hinzu kamen Ungereimtheiten, was das Alter des Flüchtlings anging und seine privaten Vorlieben, die er auf Facebook offenbarte. Dort gefiel ihm ein Post des Islamisten Pierre Vogel. Gehört sowas ins Kinderprogramm, fragten da Medien wie die Bildzeitung oder die Journalistin Birgit Kelle.
Tatsächlich ist die Frage falsch, die Kritik aber berechtigt: Natürlich gehört sowas in ein Programm für Teenager. Denn was interessiert junge Menschen mehr als die Liebe? Erst recht jene, die gesellschaftlich nicht geduldet ist. Natürlich darf der KiKa das zeigen, auch für junge Menschen. Kritisieren muss man hingegen zwei Dinge: Die Wahl des Formats – eine Doku, die bewusst nicht einordnet, sondern die Sichtweisen der Protagonisten unkommentiert stehen lässt. Und die mangelnde Sorgfalt bei der Vorrecherche zu den Hauptfiguren.
Busenquiz und BH-Gefummel
Seitdem steht der öffentlich-rechtliche Sender für Drei- bis 13-Jährige unter Beobachtung des Boulevard. Schon haben die Journalisten der Bild den nächsten mutmaßlichen Skandal aufgedeckt: „KiKa lockt mit Busenmemory“ titelte die Zeitung jüngst. Das klingt gefährlich, dahinter verbirgt sich tatsächlich ein Spiel, bei dem Kinder Brustformen erkennen sollen. Wer nun Sexismus oder gar Pornographie fürchtet, darf sich beruhigen lassen: Es handelt sich um ein Angebot an pubertierende Mädchen, die sich mit der ersten BH-Wahl schwer tun. Im Wesentlichen unterscheidet sich das wenig von herkömmlichen Aufklärungsbüchern, die ebenfalls für Kinder dieses Alters geschrieben werden und spielerisch mit dem Thema umgehen wollen. Das muss niemandem gefallen – aber ein Skandal ist es nun wirklich nicht.
Ein anderes Produkt des Senders ist wesentlich skandalöser. Wie die BZ auftat, zeigt KiKa in einem Kurzclip, wie sich drei Jungs daran versuchen, einer Schaufensterpuppe den BH zu öffnen – einhändig. Das mag der ein oder andere ebenfalls unter Aufklärung verbuchen, tatsächlich muss man fragen, warum ein öffentlich-rechtlicher Sender 13-Jährigen eine solche Fertigkeit vermitteln muss. Und, was für ein Frauenbild es bei jungen Menschen hinterlässt, wenn sie medial eingeflüstert bekommen, ein BH sei zum Öffnen da und Mädchen folglich für ganz andere damit verbundene Aktivitäten.
Nicht alles, was der Kika macht, ist schlecht und nicht jede Geschichte, die nach Skandal klingt und in den vergangenen Wochen veröffentlicht wurde, ist auch einer. Aber die Programmverantwortlichen müssen sich kritische Fragen zum Programmauftrag und dem damit verbundenen Inhalt ihrer Sendungen gefallen lassen. Wer sich nun um das geistige Wohl des eigenen Nachwuches sorgt, dem sei versichert: Zumindest beim Sandmännchen um kurz vor Sieben ist die KiKa-Welt noch in Ordnung. Da gibt es keine nackten Brüste, keine mutmaßlichen Islamisten und keine geöffneten BHs. Nur beruhigenden Schlafsand.
Von: Anna Lutz