Das war sicher lustig beim Kasseler Verwaltungsgericht. Als ein Dolmetscher bei einem Asylverfahren, in dem es um die Aufenthaltsgenehmigung eines christlichen Konvertiten aus dem Iran ging, dessen Aussagen zu (Martin) Luther und dem Matthäus(-Evangelium) nicht richtig verstand und annahm, der Iraner spreche von der Fußball-Legende Lothar Matthäus. Zugetragen hat sich die Posse laut Nachrichtenagentur AFP am vergangenen Dienstag. Demnach hatte der Richter den Asylsuchenden zu seinem neuen christlichen Glauben befragt und wollte wissen, was am Sonntag in seiner Kirche gepredigt worden sei. „Von Lothar Matthäus“, antwortete der Übersetzer. Die Folge war Gelächter im Saal und eine schlagfertige Nachfrage des Richters, ob Matthäus denn nun eine neue Trainerstelle habe.
Das Schmunzeln vergeht einem freilich schnell, wenn man sich vor Augen führt, was hier tatsächlich geschehen ist und nach Angaben von Insidern immer wieder bei Anhörungen Geflüchteter, die sich aufgrund ihres Glaubens in ihrer Heimat als verfolgt sehen, passiert: Letztere sollen, so will es das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), die Echtheit ihrer Glaubensüberzeugung belegen. Etwa dadurch, dass sie Bibelstellen nennen, die ihnen etwas bedeuten, indem sie glaubhaft von ihrem letzten Kirchenbesuch berichten oder indem sie zu erkennen geben, dass sie sich schon einmal mit historischen Persönlichkeiten des Christentums beschäftigt haben.
Kritiker dieses Verfahrens wie Margot Käßmann nennen das Glaubensprüfung. Das BAMF selbst verwies in einem pro-Interview darauf, nicht der Glaube werde geprüft, sondern die Behörde versuche herauszufinden, wie intensiv der Betreffende seine Überzeugung in seiner Heimat denn auch ausleben werde, sollte er zurückkehren. Davon hänge ab, ob eine tatsächliche Gefahr für ihn bestehe und er deshalb in Deutschland bleiben dürfe. Ein Glaubensauslebungstest also. Oder so ähnlich.
Kein Einzelfall
Die Tatsache, dass das BAMF trotz anhaltender Kritik vonseiten der Kirchen und aus der Politik nicht von der Praxis solcher Befragungen abrückt, ist schon schlimm genug. Dass es bei Anhörungen, seien sie vor Gericht oder bei der Behörde selbst, zu Übersetzungsfehlern wie dem um Lothar Matthäus kommen kann, ist ein unhaltbarer Zustand. Denn die Verwechslung von Fußballer und Evangelisten ist bei weitem kein Einzelfall. Seit Jahren berichtet etwa der Berliner Pfarrer Gottfried Martens von haarsträubenden Wissenslücken bei Befragern und Übersetzern, was den christlichen Glauben angeht. Dabei sollen gerade sie prüfen, ob selbiger denn aufrichtig gelebt wird.
Martens Evangelisch-Lutherische Dreieinigkeitskirche betreut und tauft seit Jahren Flüchtlinge. Der Pfarrer begleitet sie zu Anhörungen des BAMF und während des Asylverfahrens. pro hat er bereits im vergangenen Jahr eine Sammlung der absurdesten Fragen durch die Behörde zur Verfügung gestellt. Einige Zitate aus seinen Aufzeichnungen:
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„Die Bibel ist auch im Islam eine heilige Schrift und frei erhältlich; warum versuchten Sie nie, sich eine zu kaufen?“
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„Was ist die weltliche Hauptstadt des christlichen Glaubens?“
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„Kennen Sie die Namen der Söhne aus dem Gleichnis vom verlorenen Sohn?“
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„Martin Luther ist eine wichtige Person im Evangelium. Was wissen Sie über ihn?“
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„Was steht Ostern in der Kirche auf dem Tisch?“
„Völlig inkompetente Übersetzer“
Auch auf die Unkenntnis der Übersetzer in Fragen des christlichen Glaubens weist Martens in seinen Aufzeichnungen immer wieder hin. So habe einer seiner Schützlinge etwa das Vaterunser vorbeten sollen. Die deutsche Übersetzung des Gesagten klang laut Protokoll so: „Oh du Vater im Himmel, deine Engel legen es fest. Sie kommen ins Erdreich. Nimm unsere Gebete entgegen. Gib uns Brot.“ Martens selbst benennt unter anderem zwei Probleme bei den Anhörungen des BAMF: Die Anhörer selbst hätten keine Ahnung vom christlichen Glauben und die Dolmetscher seien „völlig inkompetent“.
Diese Protokolle veröffentlichte Martens im Jahr 2016. Nun schreiben wir 2018. Zwei Jahre und einige Skandale um das BAMF später bleiben die Probleme für aus Glaubensgründen Geflüchtete in Deutschland dieselben: Sie müssen die Wahrhaftigkeit ihres Bekenntnisses durch Wissensfragen zum Glauben belegen, die zum Teil noch nicht einmal Sinn ergeben. Diejenigen, die über Asyl oder Abschiebung entscheiden oder in solchen Verfahren mitwirken, kennen sich mit der Materie, die sie abfragen, nicht aus. So kommt es zu Anekdoten wie der von Lothar Matthäus. Der Mann, um den es bei diesem Verfahren ging, soll Medienberichten zufolge wohl dennoch Asyl erhalten. Anderen ergeht es schlechter. Für vom Islam konvertierte Christen, die etwa in den Iran abgeschoben werden, kann eine solche Entscheidung lange Haftstrafen oder gar ein Todesurteil bedeuten. Da sollte den Prozessbeteiligten in Kassel und auch den Verantwortlichen beim BAMF das Lachen im Halse stecken bleiben.
Von: Anna Lutz