Schulen vermitteln Nachrichtenkompetenz mangelhaft

Jugendliche nutzen Medien auf vielfältige Weise und sind in ihnen präsent. Doch inwieweit unterscheiden sie Blogs von professionellem Journalismus oder nutzen angesichts des „Lügenpresse“-Etiketts seriöse Nachrichtenquellen? Eine Studie hat ergeben: In der schulischen Bildung wird dieses Thema dramatisch vernachlässigt.
Von Christina Bachmann
Vor allem ein kompetenter Umgang mit Sozialen Netzwerken wird an Schulen bisher kaum vermittelt, stellten die Kommunikationswissenschaftler Anja Obermüller und Lutz M. Hagen fest

Nachrichtenkompetenz wird an deutschen Schulen nur mangelhaft vermittelt. Das ist das Ergebnis einer Studie der Technischen Universität Dresden im Auftrag der Stiftervereinigung der Presse in Berlin. Als Nachrichtenkompetenz bezeichnen die Forscher die Fähigkeit, Nachrichtenmedien und journalistische Inhalte zu verstehen, kritisch zu beurteilen, effektiv zu nutzen und Nachrichten selbst formulieren zu können. „Obwohl Medienkompetenz allgemein gern im Munde geführt wird, ist der spezielle Aspekt der Nachrichtenkompetenz sehr unterbelichtet“, stellte der Dresdner Kommunikationswissenschaftler Lutz M. Hagen in Berlin fest und forderte das Fach Medienkunde an den Schulen.

„Es bleibt fast immer auf der technischen Ebene. Aber nur weil ich ein Smartboard benutze, ist es ja noch keine Medienkompetenz. Nur weil ich ein Handy bedienen kann, heißt es noch nicht, dass ich kompetent mit den Inhalten und Quellen umgehen kann“, bekräftigte seine Kollegin Anja Obermüller. Gemeinsam mit der Kommunikationswissenschaftlerin Rebecca Renatus hatten die beiden sechs Teilstudien erstellt: Sie untersuchten Vorgaben der Kultusministerkonferenz, Lehrpläne der Bundesländer und Schulbücher. Weiterhin sahen sie sich das Angebot der Landesmedienanstalten und die Studienordnungen zur Lehrerausbildung an und befragten künftige Lehrerinnen und Lehrer zu ihren medienpädagogischen Einstellungen und Kompetenzen.

Soziale Netzwerke kaum thematisiert

Heraus kam: Weniger als die Hälfte der Lehrpläne geht überhaupt auf das Thema Nachrichtenkompetenz ein. Untersucht wurden Lehrpläne für die fünften bis zehnten Klassen an Gymnasien und Realschulen aller deutschen Bundesländer. Positiver Spitzenreiter ist Brandenburg: Hier stand in sechs von zehn Fällen das Thema Nachrichtenkompetenz auf dem Lehrplan, in Baden-Württemberg war es dagegen nur jeder fünfte. In den oberen Klassenstufen habe das Thema einen höheren Stellenwert und generell komme es in den Lehrplänen aus den neuen Bundesländern etwas häufiger vor. Doch ein Muster, etwa entsprechend der politischen Couleur der Landesregierungen oder der Aktualität der Lehrpläne, fanden die Forscher nicht.

Kinder nutzen Medien vielfältig. Die Schulen hinken beim Thema Nachrichten- und Medienkompetenz jedoch hinterher. Foto: pixabay.com
Kinder nutzen Medien vielfältig. Die Schulen hinken beim Thema Nachrichten- und Medienkompetenz jedoch hinterher.

Kaum thematisiert würden Nachrichten im Kontext von Online-Medien, kritisiert die Studie. Facebook oder andere soziale Netzwerke kämen nur in jedem dreißigsten Lehrplan vor. Selten ginge es auch um eine kritische Auseinandersetzung mit Informationsangeboten und das Erkennen von Nachrichten. Dabei habe das im Zuge der Fake-News-Debatte an Relevanz gewonnen. Wichtig sei auch, bei Schülern wieder eine Wertschätzung von professionellem Journalismus zu wecken. Bei der Auswertung von Dokumenten der Kultusministerkonferenz stellten die Forscher fest: Die Förderung speziell von Nachrichtenkompetenz spielt bislang nahezu keine Rolle. Vereinzelte, sehr allgemeine Vorgaben gebe es lediglich für das Schulfach Deutsch. Eine Angebotsanalyse der Landesmedienanstalten in Berlin, NRW und Sachsen zeigte zwar eine gute Ergänzung zum Schulunterricht, da sie sich mit dem Internet und sozialen Medien befassten. Die Forscher kritisieren dennoch: Auch hier gehe es nie speziell um Nachrichtenkompetenz.

Lehrer selbst zu wenig nachrichtenkompetent

Von 339 untersuchten Schulbüchern aus den Fächern Deutsch, Ethik, Philosophie, Gemeinschafts- bzw. Sozialkunde und Geschichte thematisiert immerhin jedes zweite den Umgang mit Nachrichten und journalistischen Angeboten. Allerdings gehe es dabei meist um Inhalte und Stilformen, weniger um das Nachrichtensystem und seine öffentliche Aufgabe, so das Fazit. Nicht einmal jedes zehnte Lehrbuch geht demnach auf Soziale Online-Netzwerke oder Blogs im Kontext von Nachrichtenkompetenz ein.

In der Lehrerausbildung spiele der Aspekt Nachrichtenkompetenz fast keine Rolle, bemängelten die Forscher, die über 200 Studiendokumente aus Berlin, Nordrhein-Westfalen und Sachsen analysierten. Auch Medienkompetenz im Allgemeinen komme sehr kurz. Die Befragung von allerdings nur gut 80 Lehramtsstudenten vor allem aus Dresden machte deutlich: Nachrichtenkompetenz halten sie zwar für wichtig, faktisch fehle sie ihnen aber und werde auch im Studium nicht vermittelt. „Die haben eine hohe Motivation, Nachrichtenkompetenz bei den Schülern zu fördern und Nachrichtenmedien im Unterricht einzusetzen. Ihnen ist bewusst, dass es in einer Demokratie wichtig ist, Nachrichten zu nutzen und mit ihnen umgehen zu können. Aber die eigene Nachrichtenkompetenz ist mittelprächtig ausgeprägt“, so Anja Obermüller.

Wesentliche Forderung der Kommunikationswissenschaftler ist laut Professor Hagen das Fach Medienkunde an den Schulen. „Die Generalforderung lautet, dass an der Schule mehr Nachrichtenkompetenz vermittelt werden muss und dass die Medienkompetenz nicht so zerstückelt wird, sondern in einem Fach gebündelt wird.“ Das beginne bei der Lehrerausbildung. An der TU Dresden sei sein Fachbereich zum Beispiel nicht in die Lehramtsausbildung eingebunden, kritisierte Hagen. Anja Obermüller wies allerdings darauf hin: „Was im Klassenzimmer passiert, wissen wir nicht. Das ist die nächste Frage. Es gibt keine Studie in Deutschland zur Nachrichtenkompetenz von deutschen Schülern.“ Auch wenn einzelne Lehrer schon entsprechend arbeiten würden, sei es aber wichtig, die Sollvorgaben von außen anzupassen. Dafür müsste in den Vorgaben der Kultusministerkonferenz und in den Lehrplänen das Thema Nachrichtenkompetenz häufiger und konkreter vorkommen. (pro)

Von: Christina Bachmann

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