Evangelisches Positionspapier fordert zu Streitkultur auf

Konflikte sind in einer Demokratie der Normalfall, die Frage ist, wie man mit ihnen umgeht. Diese Überzeugung vertritt ein Positionspapier der Kammer für Öffentliche Verantwortung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Der Kammervorsitzende Reiner Anselm stellte am Montag die zehn Impulse dieses Papiers im Französischen Dom in Berlin vor.
Von Christina Bachmann
Auf dem Podium in Berlin wurde eifrig diskutiert. Die Gäste v.l.n.r.: Hans Joas, Rebekka Klein, Andreas Busch, Reiner Anselm

Streitbar in der Sache, aber fair im Umgang müsse diskutiert werden, betonte Reiner Anselm. Gemäß dem Positionspapier, das wiederum Anlass zu Diskussionen geben soll, legte der Theologieprofessor aus München dar, dass die Kirchen „für die Demokratie als Lebensform der Vielfalt“ einstünden. Das schließe den Konflikt mit ein, der demnach „Normalfall der Demokratie“ sei. Allerdings könnten sich solche Konflikte so zuspitzen, dass sie in eine Polarisierung führten, die in Diffamierung oder gar Gewalt umschlage. „Die Demokratie weiterzuentwickeln und zu stärken bedeutet daher, eine demokratische Streitkultur zu fördern“, heißt es in dem Papier des EKD-Beratungsgremiums.

Während die einen den Wandel als Chance sähen, empfänden sich andere als Verlierer mit dem Gefühl, „abgehängt“ zu werden, beschreibt es ein Impuls in dem Heft mit dem Titel „Konsens und Konflikt: Politik braucht Auseinandersetzung“. Enthalten ist auch der Appell an Christen, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken, „indem sie im Vertrauen auf Gott die eigenen Kräfte zuversichtlich gebrauchen und selbst eine solidarische Mitmenschlichkeit leben.“ Unter dem Titel „Wer ist zugehörig?“ erwähnt Punkt fünf die Flucht- und Migrationsbewegungen der letzten Jahre. Hier müssten „die Sorgen und Nöte derer, die Teil der politischen Gemeinschaft sind, genauso beachtet werden wie die Erwartungen von Zuwanderern und Geflüchteten“, heißt es.

Zum Umgang mit Populismus

„Demokratie geht alle an“, appelliert die Schrift der Kammer an die Bürger, sich zu beteiligen. Zu beobachten sei insgesamt ein Rückzug der Menschen, die sich nicht mehr repräsentiert fühlten. Das Spektrum politischer Gruppierungen und Positionen vergrößere sich dementsprechend. „Den Gefährdungen durch populistische Politikmuster kann die Demokratie nur überzeugend entgegentreten, wenn demokratische Politik hörbereiter, ‚responsiver‘ gestaltet wird“, betont das Papier. Der Umgang mit populistischen Positionen dürfe die Auseinandersetzung nicht scheuen. Man müsse dabei aber genau unterscheiden zwischen Sorgen und Ängsten von Menschen und bewusster Grenzüberschreitung.

Die evangelischen Kirchen sehen die Kammermitglieder in Punkt zehn als „Orte der Suche nach Kompromissen“. Dabei werde es bleibende Konflikte geben, aber man müsse Wege finden, diese aushalten zu können. „Das bedeutet: Gerade weil wir die Rechte von geflüchteten und zugewanderten Menschen achten und einfordern, wollen wir die Sorgen der Menschen hören und würdigen, die sich im politischen Leben unseres Landes nicht vertreten fühlen.“ Keiner solle in Passivität verharren, sondern sich zumindest beteiligen, indem er im September zur Wahl gehe, fordert das Positionspapier auf.

In der nachfolgenden Podiumsdiskussion im Französischen Dom signalisierte der Sozialphilosoph Hans Joas von der Humboldt-Universität Berlin weitgehende Zustimmung zu dem Papier. Er kritisierte allerdings, dass viele Kontroversen in Politik und auch in den Kirchen gar nicht nach außen wahrnehmbar stattfänden. Kirche muss kontroverser werden, meinte auch Reiner Anselm, es ginge darum, „Andockpunkte zu finden für Menschen, die anderer Meinung sind“. Bei vielen Themen wie der „Ehe für alle“, assistiertem Suizid, Schwangerschaftsabbruch oder Pränataldiagnostik habe die Kirche nicht wirklich in sich diskutiert. Auch der medialen Aufmerksamkeit halber werde oft nur eine Position nach außen getragen und die eigene Pluralität so nicht abgebildet.

„Zu kleiner Spielraum für Konsens“

Der Politikwissenschaftler Andreas Busch aus Göttingen warnte gleichzeitig vor einer Verklärung des Konflikts. „Konflikt an sich führt nicht zu guten Lösungen“, so Busch. Politik sei heute „wahnsinnig komplex“ und lasse sich nicht auf 140 Zeichen bei Twitter reduzieren. Theologieprofessorin Rebekka Klein von der Ruhr-Universität Bochum, Mitglied der Kammer für Öffentliche Verantwortung der EKD, betonte, es ginge nicht darum, Konflikt und Konsens gegeneinander auszuspielen. Beides habe es in einer Demokratie schon immer gegeben. Vielmehr müsse umakzentuiert werden. Klein gab zu bedenken, dass oft ein zu kleiner Spielraum für einen Konsens zugelassen werde – für rechts wie auch für links.

Der Wunsch aller Diskussionsteilnehmer war der, dass das Positionspapier etwas anstoßen möge. Ihn würde es ausgesprochen freuen, wenn der Text mehr Menschen zur Auseinandersetzung „auch gerade in unserer Kirche“ motivieren würde, so Reiner Anselm. Sie habe die „kleine Hoffnung“, dass der Text dafür sensibilisiere, dass sich die Gesellschaft verändere und jeder die Verantwortung habe, mitzugestalten, meinte Rebekka Klein. Eine Belebung von Beteiligung erhofft sich auch Andreas Busch. Bischof Markus Dröge, Mitglied des EKD-Rates, beendet mit einem Schlusswort den Abend. Sein Fazit ebenfalls: „Es ist Christenpflicht, sich auseinanderzusetzen mit Positionen, die anders sind als die eigene.“ (pro)

Von: Christina Bachmann

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