Vermeintliche Verbindung zwischen Evangelikalen und AfD nicht existent?

Immer wieder bringen Journalisten Evangelikale und die AfD in Verbindung. Doch diese Thesen erweisen sich bei einer Analyse in drei Punkten als wenig stichhaltig. Ein Gastkommentar von Thomas Schirrmacher
Von PRO
„Die AfD ist dort am stärksten, wo es die wenigsten Evangelikalen gibt, nämlich in den neuen Bundesländern. Warum nicht in Evangelikalen-Hochburgen?“, fragt Theologe Thomas Schirrmacher.

1. NDR-Recherche-Tagung

Bei der NDR-Recherche-Tagung war die Hauptthese des Journalisten Peter Wensierski, der seit mehr als 20 Jahren für das Magazin Der Spiegel schreibt, dass der christliche Fundamentalismus Wegbereiter des politischen Fundamentalismus sei. Diese These geht natürlich weit über die Behauptung hinaus, Fundamentalisten würden überdurchschnittlich häufig die AfD favorisieren. Und sie ist noch nie von einem Wissenschaftler vertreten, geschweige denn durch Untersuchungen belegt worden.

Solche Thesen über die Evangelikalen vertrit ausschließlich eine – am Ende erstaunlicherweise sehr – kleine Zahl von Journalisten. Als Belege führen sie das Reden und Handeln einzelner Evangelikaler oder Freikirchler an. Nur kann man mit solchen Argumenten jeder beliebigen Gruppe das Handeln einiger ihrer Mitglieder als typisch für sie zuschreiben. Ist die SPD eine Pädophilen-Partei und Pädophilie unter SPD-Mitgliedern besonders verbreitet, weil SPD-Bundestagsabgeordnete wegen Besitz von Kinderpornographie zurücktreten mussten? Natürlich nicht!

2. Spiegel 29/2017

Im Bundestagswahlkampf bildet sich eine Allianz zwischen AfD und frommen Christen, schreiben Valerie Höhne und Peter Wensierski im Spiegel 29/2017. Dazu sollen auch die Evangelikalen zählen. Das ist die Hauptthese des Spiegel-Artikels.

Was einen gleich stutzig macht: Die AfD ist dort am stärksten, wo es die wenigsten Evangelikalen gibt, nämlich in den neuen Bundesländern. Warum nicht in Evangelikalen-Hochburgen wie Siegen oder Stuttgart?

Irgendeinen offiziellen Beleg für eine solche Allianz gibt es nicht. Weder signalisiert die AfD eine solche Nähe, noch die offiziellen Vertretungen der Evangelikalen (oder etwa auch der Freikirchen.) Fakt ist: Unter dem Führungspersonal der AfD ist keine bekannte evangelikale Leitungspersönlichkeit und niemand in der AfD-Führung beschreibt sich als evangelikal.

Keine evangelikale Leitungspersönlichkeit wirbt öffentlich erkennbar für AfD

Fakt ist zudem: Keine evangelikale Leitungspersönlichkeit wirbt öffentlich erkennbar für die AfD. Genügend von ihnen machen dagegen keinen Hehl daraus, dass sie CDU, SPD oder Grüne für die bessere Wahl halten. Das schlechte Abschneiden der AfD hier ist sogar verwunderlich, denn wenn sich fünf bis zehn Prozent der evangelikalen Leiter, die sich politisch „outen“, für die AfD aussprechen würden, wäre das ja immer noch nur der zu erwartende Durchschnitt.

Natürlich gehören einzelnen AfD-Kandidaten Freikirchen an, aber keiner hat dort auch nur lokal eine wichtige Leitungsfunktion inne. Die „Christen in der AfD“ haben in der Partei praktisch keinen Einfluss, während etwa der Evangelische Arbeitskreis der CDU Antragsrecht auf dem Parteitag hat und bis heute Spitzenpolitiker hervorbringt, nicht zuletzt die Bundeskanzlerin selbst.

Also soll es die Statistik richten. Es gibt aber nur eine Umfrage dazu, nämlich die von der evangelischen Nachrichtenagentur idea initiierte Umfrage des Insa-Instituts. Hier ist jedoch nicht von Evangelikalen die Rede, sondern von Freikirchlern. Wer sich bei einer Online-Umfrage als Freikirchler einstuft, wird ein ,bunter Haufen‘ sein.

3. Zur Umfrage: Freikirchler und AfD

Ein der AfD wohlwollend gegenüberstehender Chefredakteur, der in seiner Zeitschrift AfD-Vertretern öfter Platz einräumt, beauftragt ein der AfD nahestehendes Umfrageinstitut. Das Ergebnis ist vermeintlich, Freikirchler würden sich prozentual häufiger für die AfD entscheiden, als landeskirchliche Protestanten und Katholiken. Und zahlreiche Qualitätsmedien haben nichts Besseres zu tun, als das Ergebnis bekannt zu machen und gegen „die Freikirchen“ einzusetzen, oder auch gegen „die Evangelikalen“, als wüsste man nicht, dass diese beiden Begriffe nicht nur jeder für sich schwer zu definieren ist, sondern alles andere als deckungsgleich sind, etwa weil grob die Hälfte der sogenannten Evangelikalen in den evangelischen Landeskirchen beheimatet sind.

Nun aber zu den Freikirchlern, die vermeintlich häufiger die AfD favorisieren. Wenn man die Mitglieder aller kleineren Parteien in Deutschland (also alle Parteien außer CDU/CSU und SPD) in einen Topf werfen würde, würde jedwedes Ergebnis auch nicht annähernd eine der Parteien beschreiben, sondern einen nichts besagenden Durchschnitt aus FDP und Grünen, AfD und Linken und so weiter ergeben.

Studie nicht repräsentativ

Dasselbe gilt für die Freikirchen, einem Mix aus den pazifistisch orientierten Mennoniten und den das staatliche Gewaltmonopol betonenden freikirchlichen Lutheranern, den überwiegend aus Einwanderern bestehenden orthodoxen und altorientalischen Kirchen, den Mormonen und Zeugen Jehovas, den sogenannten Russlanddeutschen und den Altkatholiken. Und selbst wenn man der Studie vertraut: Über die Evangelikalen besagt sie gar nichts.

Warum besagt die Studie aber auch über Freikirchler nichts? Eine Onlineumfrage ist natürlich zunächst einmal schon an sich nicht repräsentativ. Sodann haben sich 2.085 Leute gemeldet: Was soll das Tragfähiges ergeben, wenn es um eine Minderheit geht? Wenn wir einmal unterstellen, dass entsprechend des Bevölkerungsanteils grob geschätzt zwei Prozent der Beantworter Freikirchler waren, dann waren das 40. Von diesen 40 hätten dann sechs bis sieben die AfD favorisiert. Einer weniger, also fünf AfD-Befürworter, hätte dann schon alles ins Lot gebracht. Das ist doch keine Basis für eine solch schwerwiegende Aussage.

Oder anders gesagt: Einmal angenommen, zwei Leute melden sich bei der Onlinestudie aus Spaß als Freikirchler und AfD-Wähler an, dann hätten wir schon den ausgewiesenen höheren Anteil an Freikirchlern, die AfD wählen.

In neuen Bundesländern ist Anteil der AfD-Wähler wesentlich höher

Man könnte auch anders argumentieren: Einmal angenommen, die Freikirchler, die ihre Stimme abgaben, stammten zu einem größeren Prozentsatz aus den neuen Bundesländern, als die anderen Protestanten und die Katholiken, würde das alleine den Unterschied erklären, denn in den neuen Bundesländern ist der Anteil der AfD-Wähler wesentlich höher als in den alten Bundesländern. Und selbst wenn tatsächlich der Prozentsatz etwas höher wäre, wäre die erste Frage immer: Liegt das an der Kirchenzugehörigkeit oder zum Beispiel an anderen Faktoren wie Alter, Schicht und so weiter? Und schließlich, wie das bei Umfragen so ist, kann das Ganze zwei Monate später schon wieder völlig anders sein.

Im Übrigen wird leicht vergessen: Selbst wenn die Umfrage stimmt, heißt das, dass die ganz große Mehrheit der Freikirchler nicht die AfD befürworten, was jeden Gedanken, es gäbe einen gewissen Hang von Freikirchlern irgendwohin Lügen straft.

Wenn bei einer Landtagswahl 20 Prozent oder fünf Prozent der Wähler AfD wählen, gehe ich erst erst einmal davon aus, dass auch 20 Prozent bzw. fünf Prozent der Evangelikalen AfD gewählt haben. Zugleich hieße das auch, dass 80 Prozent oder 95 Prozent die AfD nicht gewählt haben. Selbst wenn der Prozentsatz etwas höher angegeben würde, wäre das für mich keine Grundlage für eine pauschalisierende Aussage, denn bei der kleinen Zahl der Befragten kann die Frage, ob zwei befragte Wähler nun als evangelikal gelten oder nicht schon den Unterschied ausmachen. (pro)

Thomas Schirrmacher ist Autor zahlreicher Bücher. Er setzt sich für die Ökumene ein und traf mehrmals Papst Franziskus. Foto: Martin Bucer Seminar
Thomas Schirrmacher ist Autor zahlreicher Bücher. Er setzt sich für die Ökumene ein und traf mehrmals Papst Franziskus.

Professor Thomas Schirrmacher ist unter anderem Theologe, Religionssoziologe und der Vorsitzende der Theologischen Kommission der Weltweiten Evangelischen Allianz. Seit 2014 ist er Präsident des Internationalen Rates der International Society for Human Rights.

Von: Thomas Schirrmacher

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