Ein junger Türke guckt irritiert, als Margot Käßmann sich in sein Auto hineinbeugt. „Na, die machen ’nen Film über mich, und ich bin hier aufgewachsen“, klärt Käßmann auf und deutet auf ihr Elternhaus, dass nun von dem jungen Mann und seiner Familie bewohnt wird. Der Fahrer und seine Frau nicken anerkennend, als Käßmann erzählt, dass sie nun in Berlin lebt, und laden sie ins Haus ein, was diese aber höflich ablehnt und sich verabschiedet. „Und Sie heißen nochmal?“, ruft ihr der junge Mann hinterher.
Szenen wie diese gibt es reichlich in der Dokumentation „Margot Käßmann – Freiheit wagen“, die am 14. Juni im WDR und am Reformationstag im Bayerischen Rundfunk ausgestrahlt wird. Filmemacherin Renata Schmidtkunz begleitet die Luther-Botschafterin der Evangelischen Kirche in Deutschland auf Reisen zu Orten ihrer Vergangenheit und erzählt so die Biografie der ehemaligen EKD-Ratsvorsitzenden.
Käßmanns Beziehung zu den Medien ist ein roter Faden der Geschichte. Der Zuschauer sieht die Theologin in einem Ordner blättern, in dem sie all die Schlagzeilen und Karikaturen nach ihrer berüchtigten Fahrt mit 1,3 Promille, die zu ihrem Rücktritt vom EKD-Ratsvorsitz führte, aufbewahrt. Bei ihrer Rücktrittserklärung habe sie die Tränen zurückgehalten, um den Medien keine Genugtuung zu geben. „Nach vielen Jahren der öffentlichen Kritik bin ich gelassener geworden“, sagt sie an anderer Stelle. „Lass sie doch schreiben“, sage sie sich.
Dass es die Autorin zahlreicher Bücher dennoch fuchst, was über sie in der Presse steht, wird immer wieder deutlich. Den Dokumentarfilmern, die sie begleiten, erklärt sie: „Manchmal muss ich sagen, finde ich auch Ihre journalistischen Kollegen fast lustig, die sagen: ‚Ich möchte gern ein Interview mit Ihnen’, und dann fragen sie in dem Interview: ‚Warum geben Sie eigentlich so viele Interviews, sind Sie ehrgeizig? Müssen Sie dauernd in der ersten Reihe stehen?’“
Politische Motivation des Theologiestudiums
Filmemacherin Schmidtkunz zeigt Käßmann bei den Proben für einen Fernsehgottesdienst, Käßmann beim Wäscheaufhängen in ihrem Haus auf Usedom, Käßmann in der Kirche ihrer ersten Pfarrstelle, und Käßmann beim Autofahren durch Ortschaften, in denen sie mal gewohnt hat. Das Scheitern ihrer Ehe wird in dem 45-minütigen Porträt ebenso erwähnt wie ihre Krebserkrankung und der Ärger, den sie für die in den Medien verkürzte Darstellung ihres Satzes „Nichts ist gut in Afghanistan“ bekommen hat.
Die Vermischung von Theologie und Politik erklärt Käßmann selbst, als es um ihren Studienbeginn geht. „Also es waren für viele glaube ich schon politische Motive, Theologie zu studieren“, erinnert sie sich. „Und die Kirche war was mitten in der Gesellschaft, in den politischen Debatten und Umbruchprozessen, und es war nicht so, dass du allein aus Glaubensmotiven, weil du Glauben verbreiten willst, Theologie studiert hast, sondern ich würde schon sagen, weil du die Welt verändern willst.“
Die spannendste Frage überlassen die Dokumentarfilmer einem Nachbarn der Kirchenfrau, der die öffentliche Spekulation ins Spiel bringt, Käßmann könne eines Tages die erste Bundespräsidentin werden. Die winkt ab: „Ich könnte nicht unter ständiger Beobachtung leben, das würde ich nicht wollen.“ Man mag es ihr fast glauben. Aber nur fast. (pro)
„Margot Käßmann – Freiheit wagen“ läuft am 14. Juni um 23.25 Uhr im WDR und am 31. Oktober im BR. Er ist auch in der Mediathek des Senders abrufbar.
Von: mb