Die von Marc Chagall gestalteten Kirchenfenster der Pfarrkirche St. Stephan in Mainz wurden von der Abendsonne großartig in Szene gesetzt, als der Rundfunkchor Berlin und das Deutsche Symphonie-Orchester am Samstagabend zu einer ganz besonderen Premiere ansetzten. Es war die Uraufführung der Deutschen Messe, vertont von Stefan Heucke. Im Mittelpunkt standen für viele der zahlreichen Besucher die Texte: Bundestagspräsident Norbert Lammert hat das Ordinarium missae frei aus dem Lateinischen übertragen, inklusive seiner bereits vertonten und viel beachteten Übertragung des Vaterunsers.
Rund 90 Minuten dauerte die Aufführung der sechs Stücke des Oratoriums. Die Pfarrkirche präsentierte sich dabei nicht nur optisch, sondern auch akustisch als perfekter Rahmen für den gewaltigen Klang der Musiker unter der Leitung von Dirigent Steven Sloane. Hervorzuheben ist besonders die Sopranistin Juliane Banse, doch auch Birgit Remmert (Alt), Tilman Lichdi (Tenor) und Michael Nagy (Bariton) konnten voll überzeugen.
Übertragung ins eigene Glaubensverständnis
Bei einer Podiumsrunde in Berlin wenige Tage vor der Premiere hatten Bundestagspräsident Norbert Lammert und der Bochumer Komponist Stefan Heucke erzählt, wie es zur Zusammenarbeit gekommen war. Heucke hatte eine große symphonische Messe im Sinn mit den musikalischen Mitteln von Bach bis Bruckner. Texte in moderner, verständlicher Sprache suchte er allerdings vergebens. Im Gespräch mit dem Katholiken Lammert fiel diesem ein Vaterunser-Text ein, den er aus privatem Anlass einmal verfasst hatte. Daraufhin habe ihn Heucke gefragt, ob er nicht auch die weiteren Texte des Messordinariums übertragen könne, sagte Lammert: „Ich war leichtfertig genug, das zu versuchen.“ Gemeinsam habe man im weiteren Verlauf daran gefeilt.
Einer musikalischen Messe liegen liturgische Texte zugrunde, es gibt somit feste Bestandteile. Im Sinne Martin Luthers, Gottes Wort auch dem Laien zugänglich zu machen, war in der Reformationszeit die Deutsche Messe entstanden. Lammert betonte in Berlin, seine Texte seien keine Neuübersetzung der lateinischen Texte, sondern „eine Übertragung in ein Glaubensverständnis, das meins ist“. In diese Übertragungen hat er Stolpersteine eingebaut. Da heißt es im Vaterunser zum Beispiel: „Dein Reich kommt, wenn dein Wille geschieht, auch auf Erden“ oder „Vergib uns, wenn wir Böses tun und Gutes unterlassen.“ Routine erzeuge Verschleißeffekte, meinte der 68-Jährige, seine Texte sollten deshalb erkennbar, aber nicht vertraut sein. Denn er ertappe sich selbst dabei, wie er gedankenlos vertraute Texte benutze.
Konfessionelle Einseitigkeit kann man dem Katholiken Lammert bei seiner Übertragung nicht vorwerfen. „Ich habe nirgendwo mit mir zu kämpfen gehabt, ob irgendetwas zu katholisch oder zu protestantisch sei“, so der Bundestagspräsident. Es sei ein sehr subjektiver Text. „Ich konnte ihn als christlich gläubiger Mensch unterschreiben“, bestätigte der Protestant Heucke. Was die Komposition angeht, hat er musikalische „Fenster“ in die Vergangenheit eingebaut, unter anderem zu Bachs h-Moll-Messe. Doch nach seiner Ansicht schade es auch nicht, wenn der Durchschnittszuhörer die ganzen Kunstgriffe nicht bemerke. „Ich hoffe, es ist mir gelungen, dass man von der Musik auf einer ganz emotionalen Ebene berührt wird. Der strukturelle Aufwand ist nur nötig, um das Ganze zusammenzuhalten.“
Er wolle niemanden missionieren, betonte der Komponist, aber: „Ich bin ein gläubiger Mensch und das Stück bekennt das.“ Mit seinem Librettisten ist er sich einig darin, dass jeder Zuhörer selbst entscheiden müsse, inwieweit er mit der Aussage mitgehe. Lammerts Texte sind bereits 2011 in Buchform („Ich glaube an Gott“) erschienen. „Es gibt ein paar empörte Reaktionen, was ich mir eigentlich einbilde. Andere sagen: ‚Damit beschäftige ich mich jetzt zum ersten Mal ernsthaft.‘ Der Text hat offenbar eine gewisse Wirkung.“, sagte Lammert. Heucke zeigte sich im Vorfeld der Uraufführung gespannt auf die Reaktionen. Ihm sei zwar vollkommen bewusst, dass man durch die Kunst die Menschen nicht zu besseren Menschen mache. Was ihn aber freuen würde: „Wenn während des Konzerts die Menschen etwas anweht, was ihnen bewusst macht, es gibt etwas zwischen Himmel und Erde, was man nicht sehen und anfassen, sondern nur spüren kann, und was etwas mit mir und womöglich mit meinem Verhalten zu tun hat.“
Mit den Reaktionen in Mainz kann Heucke zufrieden sein: Lang anhaltender Applaus zeugte vom Erfolg des Abends. Gewidmet war die Veranstaltung dem emeritierten Bischof von Mainz, Karl Kardinal Lehmann. Der hielt sein Grußwort kurz und sagte anerkennend zu Lammert: „Gut, dass wir einen Bundestagspräsidenten haben, der auch ein Dichter und Denker ist.“ (pro)
Weitere Aufführungen der Deutschen Messe finden am 11. Juni in Halle und am 12. Juni in Berlin statt. Das Berliner Konzert wird aufgezeichnet und ist am 13. Juni ab 20.03 Uhr auf Deutschlandradio Kultur zu hören.
Von: Christina Bachmann und Moritz Breckner