„Am besten wirkt man als Christ, wenn man das Christsein ausstrahlt und so handelt und nicht alle zwei Minuten vorn auf der Zunge trägt“, machte Bundesinnenminister Thomas de Maizière seinen Standpunkt deutlich. Für seinen Auftritt auf dem Christustag hatte er eine andere Veranstaltung vorzeitig verlassen, was erklärte, dass er namentlich bei zwei zeitgleichen Terminen im Kirchentagsprogramm auftauchte. Das habe einige verunsichert. „Ich heiße nicht Genscher – der konnte das“, scherzte der Minister bei der Begrüßung. Gefragt nach seinen christlichen Vorbildern führte de Maizière seinen „sehr guten Konfirmandenunterricht“ an, außerdem habe er viel gelernt von seinem ersten Chef, Richard von Weizsäcker, Anfang der Achtzigerjahre Regierender Bürgermeister von Berlin.
Wie christliches Handeln konkret wird, das zeigte sich auf dem Christustag in den vielen persönlichen Berichten ganz verschiedener Menschen. Bild.de-Vizechef Daniel Böcking erzählte von seinem Umkehrgebet vor wenigen Jahren. Gott habe vorher für ihn „keine Relevanz“ gehabt. Wie auch in seinem Online-Outing als Christ berichtete Böcking, wie große Tragödien, die er als Bild-Reporter hautnah miterlebte, etwas in ihm angestoßen hätten. Ob nach dem Beben in Haiti, der Massenpanik bei der Loveparade in Duisburg oder dem Grubenunglück in Chile – überall habe er betende Christen erlebt.
Restlos begeistert vom Glauben
Daraufhin habe er sich selbst auf die Suche gemacht und festgestellt: Glaube sei nicht per se Naivität. Über seinen eigenen gewachsenen Glauben schrieb der Journalist im Netz und veröffentlichte ein Buch. Dabei halte er seine eigene Geschichte für recht dünn, gestand Böcking auf der Bühne des Christustages. „Aber offensichtlich hat mich Gott auf einen Weg geschickt, dass ich mit einer große Begeisterung erzählen darf, was passiert ist. Ich muss mich gar nicht selbst antreiben, Gott öffnet ständig Türen und gibt Impulse. Ich bin manchmal selbst überrascht, wie dieser Weg vorangeht.“ Für restlos begeistert vom Glauben hält sich Böcking noch heute. Am Kirchentag stört ihn deshalb zum Beispiel die AfD-Diskussion. „Darum geht’s doch nicht“, machte er klar. „Es geht um Jesus Christus!“
Der Vorsitzende des Hilfswerks World Vision Deutschland, Christoph Waffenschmidt, sieht für sich als Christ einen klaren Auftrag Gottes: „Wir haben als Christen die Aufgabe, dahin zu gehen, wo es Menschen schlechter geht.“ Der ehemalige Kommunalpolitiker ist immer lieber vor Ort, als am Schreibtisch zu arbeiten. „Es kommt darauf an, sich selbst von der Aufgabe füllen zu lassen. Es gibt nichts Packenderes und Berührenderes, als die Arbeit mit den Kindern vor Ort mitzuerleben“, erzählte Waffenschmidt. Seine Organisation setzt sich vor allem durch Patenschaften für Kinder in fast hundert Ländern ein.
Vor Ort hat auch der Leiter der EC-Indienhilfe, Gerhard Wiebe, erlebt, in welch schlimmen, oft nicht selbstverschuldeten Notsituationen Menschen leben. Er hat mit seiner Familie eine Zeitlang in Kambodscha gelebt. Weil ihm klargeworden sei, dass man die Menschen oft in ihrer jeweiligen Situation gar nicht wirklich wahrnehme, sei ihm das Motto des Kirchentags „Du siehst mich“ daher besonders wichtig, betonte Wiebe. Gott sehe jeden einzelnen Menschen.
Weitere bewegende Berichte gab es auf dem Christustag von Sabine Schnabowitz, die in der Türkei im Grenzgebiet zu Syrien eine Flüchtlingsschule bei sich in der Wohnung gestartet hat. Zwei junge Frauen, Sahar Baghestani und Maja Halmen, erzählten von ihrer Freundschaft. Sahar, eine Iranerin Anfang zwanzig, lebt seit 2015 in Deutschland. Nachdem sie sich im Iran zu Jesus Christus bekehrt hatte, bekam sie große Probleme in ihrer Familie. Allein gelangte sie nach Deutschland, ihre Freundschaft mit der jungen Rumänin Maja, die beim CVJM arbeitet, gibt ihr Halt.
Musik: Quelle, um zur Ruhe zu kommen
Zwischen den Interviews brachten die Sängerinnen Sarah Kaiser und Judy Bailey das Kirchentagspublikum zum Mitschnipsen und Mitwippen. Bei Judy Baileys Lied „You have blessed me“ sang auch der Bundesinnenminister stehend mit. Musik sei ihm eine Quelle, um innerlich zur Ruhe zu kommen, verriet er im Gespräch. „Das Hören einer guten h-Moll-Messe ist für mich ein religiöseres Erlebnis als das Hören einer schlechten Predigt“, gestand de Maizière. Aber er möge auch Musik von Frauen, die kraft ihrer Stimme Ruhe verbreiteten. (pro)
Von: Christina Bachmann