Ein rosa-orange-gelber Farbverlauf ziert die Plakate der diesjährigen Re:publica. Die Station Berlin, seit Jahren Veranstaltungsort der wichtigsten Netzkonferenz in Deutschland mit tausenden Teilnehmern, ist übersät mit Herzchen – aus Holz, in pink, als Aufkleber. Auf dem Ausstellungsgelände findet sich ein nachgebauter Donald Trump. Wer möchte, kann neben ihm auf einem Sofa Platz nehmen und ihn umarmen. „Hugs not Hate“ – Umarmungen statt Hass – steht als Hashtag daneben.
Das mag auf den ersten Blick nicht so recht zu einer Veranstaltung passen, die Jahr für Jahr durch harte Netzpolitikforderungen von sich reden macht. In diesem Jahr aber steht alles im Zeichen der Nächstenliebe. „Love out loud“ ist das Motto der Blogger, Twitterer und Facebooker: Liebt, was das Zeug hält. Bei der Auftaktveranstaltung warben die Organisatoren für Zivilcourage im Netz und machten sich gegen Hasskommentare stark.
Kirche ist noch nicht im Netz angekommen
Liebe sollte so etwas wie die Kernkompetenz der Kirchen sein. Vielleicht liegt es daran, dass ausgerechnet in diesem Jahr zum ersten Mal auch Kirchenthemen offiziell Platz im Programm der Re:publica finden. In einem Panel geht es um Reformation und Internet, in einem weiteren um die Netzkompetenz der katholischen Kirche. Außerdem haben sich Webaktivisten mit christlichem Hintergrund zu einem Networkingtreffen verabredet.
Hier kommen Social-Media-Vertreter aus Bistümern, Öffentlichkeitsarbeiter christlicher Werke und sogar der Mormonen, fromme Journalisten und gläubige Studenten zusammen. Rund 50 Re:publica-Teilnehmer sind der Einladung im offiziellen Programm gefolgt und tauschen sich zwischen Getränkestand und Loungeecke über die sogenannte digitale Kirche aus. Oder über das, was sie einmal sein könnte. Denn so richtig, da sind sich die Gesprächspartner einig, ist die organisierte Christenheit noch nicht im Internet angekommen.
Katholische Ethik im Digitalen
Manch einer sieht zarte Hoffnungspflänzchen keimen. Dass es öffentliches WLAN in Kirchgemeinden gibt, sei immerhin heute kein Streitthema mehr, meint einer. „Wo die Leute sind, muss ich als Kirche auch sein“, sagt ein anderer. Nur wie, ist die Frage. Sollten fromme Organisationen Posts teilen oder kommentieren? Darf man für Reichweite im Netz zahlen? Wieiviele hauptamtliche Social-Media-Mitarbeiter braucht eigentlich eine Kirche? Und: Wie reagiert ein Christ auf Shitstorms und Hatespeech? Fragen wie diese beschäftigen die Diskutanten. Und auch die Kirchen selbst.
Andreas Büsch ist Kommunikationswissenschaftler an der Katholischen Hochschule Mainz. Er hat die Deutsche Bischofskonferenz in Medienfragen beraten. Daraus entstanden ist 2016 das Papier „Medienbildung und Teilhabegerechtigkeit“, das einige Grundlagen christlicher Ethik im Netz erklärt, basierend auf der katholischen Soziallehre. In seinem Panel auf der Re:publica stellt er es vor.
In dem Papier fordern die Bischöfe unter anderem Datenschutzsensibilität von Behörden und Konzernen. Sie wünschen sich Teilhabegerechtigkeit im Internet und die Chance auf einen Zugang für jeden. Thema ist auch ein neuer Jugendmedienschutz, der auf pädagogische Angebote zur Bildung in Sachen Internet setzt. Die katholische Kirche wendet sich zudem gegen Hass und Verrohung im Netz. „Kirche hat nur einen Sinn, wenn sie sich in die Mitte der Gesellschaft hineinstellt und sagt: Wir haben eine Verantwortung“, erklärt Büsch den Einsatz der Katholiken. Das schließt das Internet mit ein, ist er sich sicher.
Reformation auch auf Facebook
Und die Protestanten? Die sind dieser Tage ganz mit dem Reformationsjubiläm beschäftigt. Das zeigt sich auch auf der Re:publica. Was hat die Reformation mit dem Internet von heute zu tun, fragt sich die Theologin und Publizistin Johanna Haberer dort und fordert kirchlichen Widerstand gegen bestimmte Auswüchse der digitalen Welt. Das freie Menschenbild Luthers widerspreche der Bestimmung der Wirklichkeit durch Algorithmen, etwa bei Facebook. Die christliche Idee, jeden Tag neu anfangen zu können, stehe contra der breiten Datenspeicherung, die heute jeden betreffe. „Da muss aus den Kirchen und den Religionen ein Widerstand entstehen“, sagt Haberer, die in ihrem Buch „Digitale Theologie“ zehn Gebote für das Internet verfasst hat.
„Intransparenten Systeme“ wie Google und Facebook wollten zwar alle Geheimnisse von jedem wissen, hüteten aber selbst diverse. Für Haberer ist das dasselbe Vorgehen, wie es schon die mittelalterliche katholischen Kirche als Unterdrückungsinstrument pflegte. Informatiker seien die Priester von heute, die Algorithmen programmierten und damit den Lauf der Welt bestimmten. Dagegen müsse man sich „mit reformatorischem Gedankengut wappnen“. Haberer wünscht sich eine Ethik für das Netz, inspiriert durch die Theologie.
Doch auch ein protestantischer Grundsatz wie das Priestertum aller Getauften sei auf die heutige Netzwelt zu übertragen. „Das hätte Luther gefallen“, sagt sie. Jeder trage heute im Internet Verantwortung für sein Leben. So sehen es auch die christlichen Netzaktivisten beim Treffen zwischen Bar und Lounge. Sie wollen Verantwortung übernehmen. Im Internet. Für sich und ihre Kirche. Es gibt noch viel zu tun. (pro)
Von: al