Von der Schöpfung der Welt bis zur Offenbarung – das ist das Geschichtenportfolio, das eine Kinderbibel bieten kann. Doch bei Kinderbibeln geht es nicht in erster Linie darum, „einen Traditionsbestand so früh wie möglich zu sichern“, sagt Martina Steinkühler, Professorin für Gemeindepädagogik an der Evangelischen Hochschule Berlin, im Gespräch mit pro. Die Aufgabe von Kinderbibeln ist es, „Kinder an das Nachdenken über Religion, an die religiöse Dimension im Leben heranzuführen – und das als Christen aus einer christlichen Perspektive und mit christlichen Inhalten“. Wichtig sei, in einen Dialog mit Bibelgeschichten zu treten, der mitwachsen kann und „von dem es gut ist, wenn er früh anfängt“, erklärt Steinkühler, die selbst Mutter ist.
Jedes Kind und jede Altersgruppe braucht andere Inhalte. Eltern sollten darauf achten, was ihr Kind in der aktuellen Lebenssituation benötigt. Geschehen die ersten Trennungen von zu Hause, weil das Kind in den Kindergarten geht, eignen sich Geschichten, die solche Punkte aufgreifen. Für kleine Kinder passen etwa die Geschichten von Abraham, Isaak, Jakob und ihren Familien nach dem Motto „Wir müssen los in ein unbekanntes Land“, wie die Kita ein unbekanntes Land ist. Weg-, Bewahrungs- und Familiengeschichten eignen sich: Jesus segnet die Kinder, die Sturmstillung auf dem See Genezareth. Die Botschaft ist: Jesus ist mit im Boot, er schläft zwar, aber wir brauchen ihn nur zu wecken, dann ist alles wieder gut. „Obwohl alle Bibelgeschichten eigentlich Erwachsenengeschichten sind, gibt es Geschichten, die da wunderbar passen“, meint Steinkühler.
David und Goliat: Geschichte eines Totschlags
Auch Gewaltgeschichten finden sich in der Bibel. Sollten Kinder davon erfahren? Religionspädagogin Steinkühler sagt: „Gewalt gehört dazu, das ist per se auch nicht schlimm, weil das die Kinder gewöhnt sind. Das ist das Leben. Aber es ist die Frage, wie ich damit umgehe.“ Die Geschichte von David und Goliat – der Kleine besiegt den Großen – ist eine beliebte Kindergeschichte und gleichzeitig die Geschichte eines Totschlags. In manchen Kinderbibeln wird noch erwähnt, dass David Goliat den Kopf abschlägt. Das muss laut Steinkühler nicht unbedingt sein, vor allem nicht als Bild. Andererseits wollten Kinder im Alter zwischen acht und zehn Jahren „klare Kante“ haben und wissen, dass der Böse tot ist.
„Bibelgeschichten sind so ziemlich das einzige, wo wir in eine Welt eintauchen, die durch und durch mit Gott rechnet. Das kennen wir in unserem Alltag gar nicht mehr.“
Auch die Bewahrungsgeschichte von Noah, der die Sintflut überlebt, ist beliebt und gleichzeitig eine Gewaltgeschichte, es sterben jede Menge Menschen und Tiere. „Wenn ich nicht lügen oder weglassen will, muss ich mir genau überlegen, wie ich mit dem Sterben in der Geschichte umgehe. Ein Schlüssel ist, zu sagen: ,Es wird erzählt, Gott war so böse auf die Menschen …‘“, rät Steinkühler. Auch Liebesgeschichten bieten Kinderbibeln, wie etwa die Geschichte von Jakob, der sich unsterblich in Rahel verliebt und fürchterlich traurig ist, dass er Lea bekommt. „Das ist so eine Geschichte wie: Die Prinzessin trifft den Prinzen oder nicht.“
Was macht also eine gute Kinderbibel aus? Steinkühler rät von alten Kinderbibeln ab, in denen Gehorsam, Strafe und Lohn besonders betont werden und die moralisierend sind. Diese beinhalteten eine veraltete Pädagogik und entsprächen nicht mehr den heutigen Erziehungsidealen. Auch erteilt die Theologin Kinderbibeln eine Absage, die ein Thema zu sehr vereinfachen, verniedlichen, in denen Probleme glattgebügelt werden und der liebe Gott in einer Tour lächele. „Die haben leider eine sehr kurze Haltbarkeitsdauer. Die Kinder mögen das eine Weile, dann sagen sie, das sind Kindergeschichten, jetzt bin ich groß.“ Steinkühler spricht sich dafür aus, dass Kinderbibelautoren auch nicht zu viel Deutung übernehmen sollten – etwa darüber, was eine Figur fühlt, was sie plant und denkt. Das nehme den Kindern den Spielraum, sich selbst hineinzudenken: „Weniger ist mehr“, sagt Steinkühler.
Unterschiedliche Bibeln im Haus
„Für mich gelten dieselben Kriterien für den Text wie für das Bild: Es darf bitte vieles angedeutet, aber nichts zu Ende erzählt werden, um Dialoge und Diskurse möglich zu machen und dem Kind schon früh zu zeigen, es gibt nicht das eine richtige Bild.“ Deswegen ist der Pädagogin auch ein Jesus lieb, der nicht zu detailliert gezeichnet ist. Steinkühler plädiert dafür, mehrere Kinderbibeln zu Hause zu haben, in denen zum Beispiel die Figuren, ihre Frisuren, ihre Kleider unterschiedlich gezeigt werden. Bei kleinen Kindern passiere der Zugang über die Bilder, das ist das Hauptmedium, später werde es immer mehr der Text.
Steinkühler empfiehlt, Bibelgeschichten sowohl zu erzählen als auch vorzulesen. „Beim Vorlesen muss ich nicht nachdenken. Das Erzählen eröffnet mir aber ganz andere Möglichkeiten. Wenn ich selbst erzähle, leihe ich mir die Bibelgeschichten aus und nehme sie für den Augenblick mit dem Kind selber in die Hand, dann können die Kinder die Geschichte neu erleben.“ Die Erzählung habe nicht den Stellenwert eines geschriebenen Textes, denn sie ist „immer nur für den Augenblick, sie kann auch morgen wieder anders sein. Deswegen brauche ich beides, ich brauche einen festen Text, um dem Kind zu sagen: Das ist eine lange Tradition von Erzählungen, die hat eine feste Form gefunden, die bleibt immer“. Diese Form dürfen Eltern und Begleiter erzählen, wie sie sie heute verstehen. „Das gibt einem eine große Freiheit.“
„Es passiert etwas zwischen dem, der liest, und dem, der hört.“
Mehr als 90 Prozent der Kinder in Deutschland finden es gut, wenn ihnen vorgelesen wird. Das belegt die neue Vorlesestudie der Stiftung Lesen. Es fördert im Idealfall Sprachkompetenz – mit der Bibel wie auch mit jedem anderen Buch. Die Kinder eignen sich neue Wörter und Sprachmöglichkeiten an. Das Vorlesen diene auch der Beziehungsebene: „Es passiert etwas zwischen dem, der liest, und dem, der hört“, sagt Steinkühler.
Die Bibel selber entdecken
Auf der religiösen Ebene, bei Bibeltexten, sei das besonders: „Bibelgeschichten sind so ziemlich das einzige, wo wir in eine Welt eintauchen, die durch und durch mit Gott rechnet. Das kennen wir in unserem Alltag gar nicht mehr, dass Gott immer dabei ist. Das bringen die Bibelgeschichten.“ Damit macht der Vorleser eine Ebene auf, „die vermutlich sonst im Alltag nicht zum Tragen kommt: Ich eröffne die Möglichkeit, Gott könnte in unserer Beziehungskiste, die wir gerade haben, auch dabei sein.“ Das funktioniere nicht so gut bei Bibeln, die das einfach dogmatisch verordneten. Hier funktionierten die Bibeln besser, in denen Gott in solchen Geschichten entdeckt werden kann.
Keine allwissende Perspektive beim Erzählen
Steinkühler, die selbst Kinderbibeln schreibt, nutzt dafür eine spezielle Methodik: Sie legt den Akteuren der Geschichten Bekenntnisse in den Mund und lässt sie aus Menschenperspektive erzählen. Beispielsweise steht Mirjam nach dem Zug durch das Schilfsmeer da, sieht auf dem Wasser noch den Helm eines Ägypters und denkt: „Wir haben es geschafft. Gott hat mich gerettet.“ Durch diese Perspektive könnten sich Kinder fragen: Hat Gott mich auch schon mal gerettet?
Die allwissende Perspektive, wie sie in der Bibel sonst oft vorkommt, beim Erzählen aufgeben zu können, darin liegt für Steinkühler eine Chance. Spätestens Jugendliche würden eine allwissende Erzählweise nicht gerne hinnehmen. Selbst entdecken lassen – das ist das, was Steinkühler möchte. (pro)
Der Text stammt aus der Printausgabe des Christlichen Medienmagazins pro. Bestellen Sie die neue Ausgabe von pro kostenlos und unverbindlich unter Telefon 06441 915 151, per E-Mail an info@kep.de oder hier.
Von: Martina Blatt