Die Evangelische Kirche in Deutschland habe die Hilfe für Flüchtlinge „hochmoralisch aufgeladen”. Das äußerte der Wiener Theologieprofessor Ulrich Körtner in einem Streitgespräch mit Heinrich Bedford-Strohm, dem Ratsvorsitzenden der EKD. In dem Gespräch, das das evangelische Monatsmagazin chrismon mit den beiden Theologen führte, differenzierte Körtner gegenüber dem Bischof zwischen der konkreten Hilfe der Menschen und den Verlautbarungen der Kirchen. Die Kirchen kritisierte der Wiener Theologe wegen ihres Unverständnisses gegenüber Menschen, welche die damalige Willkommenskultur kritisch betrachteten. Auch die Berichterstattung in deutschen Medien habe ihn irritiert, als im Jahr 2015 viele Flüchtlinge nach Deutschland kamen.
Das größte Problem hat der 59-jährige Professor für Systematische Theologie an der Universität Wien mit dem in seinen Augen fehlenden Weitblick der EKD. Da sei kein Verständnis vorhanden gewesen, dass die europäischen Außengrenzen geschützt und die Kontrolle zurückgewonnen werden müsste.
„Zu stark auf politische Position fokussiert“
Für Körtner, der auch als Bundespfarrer in der Johanniter-Unfall-Hilfe tätig ist, prägte die EKD den Begriff der Willkommenskultur maßgeblich mit, weil sie eng mit der Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zusammengearbeitet habe. Die Kirche habe sich „viel zu stark” auf die politische Position fokussiert, wie Europa mit der Flüchtlingsfrage umzugehen habe. Körtner wirft Bedford-Strohm vor, dass der EKD-Ratsvorsitzende selbst ein Kritiker der „Politik wirksamer Grenzen“ gewesen sei.
Bedford-Strohm hingegen wies auf die humanitäre Ausnahmesituation im Winter 2015 in Europa hin. Die EKD habe aber nie gefordert, dass diese Menschen nicht registriert werden müssten. Auch habe es von Kirchenseite nie eine Forderung gegeben, alle Grenzen abzuschaffen. Ganze Länder einzuzäunen, hält der Ratsvorsitzende weiterhin für die falsche Problemlösung. Er wisse sehr wohl, dass die Bergpredigt in ihrem Grundsatz der christlichen Nächstenliebe nicht direkt auf die Politik zu übertragen sei.
Der Wiener Theologe sieht in der Position Bedford-Strohms eine Vermischung von rechtlichen und moralischen Maßstäben, die er als moralisierend empfindet. Einseitig werde da das politische Problem auf die Ebene der individuellen Gesinnung verlagert, wobei das Gemeinwohl zu kurz komme. Bedford-Strohm konterte, dass er sich eine Politik ohne moralische Maßstäbe für Deutschland nicht vorstellen könne.
Einig waren sich die beiden Diskutanten nur bei der Frage nach der Notwendigkeit von Flüchtlingskontingenten, wobei Bedford-Strohm die geringe Bereitschaft in Europa beklagt, Kriegsflüchtlinge überhaupt aufzunehmen. (pro)
Von: mm