„Trinkt die Käßmann jetzt wieder?“

Die Kommentarspalten bei Facebook und Co. sind gefüllt mit Beleidungen, Vorurteilen und Hass gegen Flüchtlinge, Muslime oder einfach Menschen, die eine andere Meinung haben. Das Erstaunliche: Christen sind nicht selten vorne mit dabei. Warum?
Von PRO
Auf Facebook kann jeder durch sogenannte Emoticons oder Kommentare seine Gefühle äußern. Dabei kommen häufig auch Hass, Wut und Unmut zum Ausdruck – auch auf der Facebook-Seite des Christlichen Medienmagazins pro.

Einen Schwulen als Bibel-Werbebotschafter benutzen, ist eine ganz tolle Idee. Vor allem ist auch so bibelkonform“; „Bedford-Strohm: Verliebt in sich selbst. Im Rausch seiner Gefühle. Von Gott entfernt – ein gefallener Engel. Eindrückliches Zeichen“; „Nein, ich folge dem König aller Könige, dem Herrn Jesus Christus und nicht dem Satan“; „… diesen Islam brauchen wir in Europa nicht“. Solche Kommentare erreichen uns beinahe täglich auf der Facebook-Seite des Christlichen Medienmagazins pro.

Zum Beispiel zur Meldung, dass Designer Harald Glööckler für die neue Lutherbibel wirbt. Oder dazu, dass der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm und die Lutherbotschafterin Margot Käßmann sich für Ökumene aussprechen. Oder ganz allgemein zum Thema Islam und Flüchtlinge. Dass Glööckler sich dafür stark macht, dass junge Leute mehr in der Bibel lesen, interessiert nicht. Auch nicht, dass Bedford-Strohm und Käßmann sich für mehr Miteinander der Kirchen einsetzen. Und noch weniger, dass Flüchtlinge Hilfe benötigen, unabhängig von ihrer Religion. Oft werden Verfehlungen einer Person immer wieder vorgehalten. Zu Margot Käßmann ist in abgewandelter Form regelmäßig zu lesen: „Trinkt die Käßmann jetzt wieder, oder nimmt sie Drogen?“, in Anspielung auf ihre Alkoholfahrt vor vielen Jahren, aus der sie ihre Konsequenzen gezogen hat.

Was viele dieser Kommentatoren eint: Sie sind Christen oder bezeichnen sich als solche. Oft wird sogar mit der Bibel argumentiert, Verse werden wahllos aus dem Zusammenhang gerissen, um die eigene Meinung als die einzig richtige darzustellen, zum Beispiel beim Thema Homosexualität. Klare Handlungsempfehlungen, was der widersprechende Kommentator, der sich als homosexuell beschreibt, tun sollte, folgen auf dem Fuß. Sollten sich gerade Christen nicht anders verhalten und dem oft harschen Umgangston im Netz etwas entgegensetzen? Warum stimmen sie so oft ein in Hass und Vorurteile gegen Andersdenkende, wie wir es bei pro empfinden?

Christsein nicht „exklusiv“ verstehen

Auch bei evangelisch.de gebe es Kommentare, die „nur schwer mit Nächstenliebe vereinbar“ seien, sagt Hanno Terbuyken, Portalleiter dieses Angebots der evangelischen Kirchen. Dieses Problem betreffe nicht nur christliche Online-Auftritte. Terbuyken beobachtet, dass abwertende Kommentare auch von Menschen geäußert würden, die sich „sehr stark als Christen verstehen“. Er erklärt sich das Verhalten mit negativen Erfahrungen, die Menschen zum Beispiel mit dem Thema Islam oder Flüchtlinge gemacht haben. Aber auch Ängste könnten ein Grund sein: „Ich sehe, dass viele Kommentatoren Angst haben, dass sich das, was sie als ‚Wir‘ begreifen, verändert. Und dieses neue ‚Wir‘ ist ihnen suspekt. Vielleicht, weil sie es nicht kennen oder es nicht wollen“, sagt er im Gespräch mit pro. Häufig könne man über die Gründe für solche Äußerungen nur spekulieren, weil „jeder seine eigenen Erfahrungen, Ideen und Interpretationen von Christlichkeit“ mitbringe.

Er glaubt: Christen wollten in den sozialen Netzwerken ihren Glauben weitertragen und wünschten sich, dass es Christen gut gehe. Die Diskussion um Terrorismus und Sicherheitspolitik verstärke die Meinung, Christen seien besonderes gefährdet. Aus diesem Gefühl heraus entstehe dann ein „Exklusivitätsanspruch ‚Christen zuerst‘“, der sich so nicht in der Bibel finde. Jesus habe gelehrt, dass alle Menschen gleich viel wert seien. Deshalb sei ein Vergleich oder eine Abstufung zwischen verschiedenen Gruppen nicht zulässig. Kommentatoren, die so etwas forderten, müsse klar kommuniziert werden: „Wenn ihr euch Christen nennt, aber gleichzeitig sagt, ihr wollt keine Fremden im Land, verhaltet ihr euch unchristlich.“

Angst vor „Islamisierung“

Einen Zusammenhang zwischen Religion und Vorurteilen stellt auch Andreas Zick fest, Professor für Sozialpsychologie und Konfliktforschung an der Uni Bielefeld. Seine Studien zeigten zwar einerseits, dass sich 80 Prozent der Deutschen als „weltoffen und tolerant“ beschreiben und dass Religion mit mehr Toleranz einhergehen kann. Andererseits könne Religion auch ein Auslöser für vorurteilbehaftetes Denken sein. „Wir fanden heraus, dass nicht Religiösität per se das Vorurteil erzeugt, sondern die Überzeugung, dass die eigene Religion die einzig wahre sei“, sagt Zick. Wer seine christliche Religion zum Maßstab mache und eine „leicht oder hart fundamentalis­tische Überzeugung vertritt“, sei anfälliger dafür, Gruppen abzuwerten, die mit diesen Vorstellungen nicht übereinstimmen – zum Beispiel andere Religionen oder Lebensüberzeugungen.

Er stellte fest, dass einige Themen besonders häufig hass­erfüllte Kommentare und Vorurteile hervorrufen – nicht nur unter Christen. Ein bedeutsames Thema sei derzeit die Angst vor „Islamisierung“. Dabei gruppierten sich die Äußerungen vor allem um die Themen „Rolle der Frau“ und Terror. Unangebrachte Kommentare gebe es immer dann, „wenn man die eigene Identität maximal von etwas absetzen kann“. Im Bereich Rechtspopulismus spiele auch eine Propaganda gegen einen vermeintlichen „Genderwahn“ eine Rolle. Diese sei eng verbunden mit einer „Elitenschelte“ gegen die „Gutmenschen“ und „politisch Korrekten“. Zu Beginn der Flüchtlingskrise sei die „Willkommenskultur“ Grund für hasserfüllte Postings gewesen.

„Hass-Postings“ seien immer ein Instrument der Abgrenzung: „Wir gegen die anderen“, erklärt Zick. Der Schreiber versuche damit, einem „sozialen Protest“ Ausdruck zu verleihen. Es gebe auch Hass-Kommentare, die dehumanisieren. Beim Thema Flüchtlinge werde da zum Beispiel die Menschenwürde in Frage gestellt. Flüchtlinge würden als „Welle“, „Fluten“ oder „Horden“ beschrieben. „Das sind die bösesten Postings.“

Ungebremster Hass im Netz

Zick erklärt, wie Vorurteile – unabhängig von Religion – entstehen: „Sie entwickeln sich, wenn sich in der Gesellschaft eine bestimmte soziale Kategorie bildet, wie zum Beispiel Muslime, und dieser Kategorie generell negative Merkmale zugeschrieben werden. Das schafft eine Gruppe.“ Ein Vorurteil sei deshalb „eine motivierte Abwertung einer Gruppe oder einer Person, nur weil diese der Gruppe angehört“. Es sei ein „Instrument der Diskriminierung“. Für denjenigen, der Vorurteile äußere, schaffe dies ein Gefühl der Zugehörigkeit. Denn wer ein Hass-Posting verbreite, erhalte Zustimmung von Gleichgesinnten. Es steigere auch den eigenen Selbstwert.

Im Netz wüssten viele nicht, was die soziale Norm sei. Der Hass werde nicht gebremst. Hass-Postings fügten sich zudem in eine Gemeinschaft ein. „Wer ein Hass-Posting macht, bekommt im Netz sofort eine soziale Verstärkung. Er wird gelobt. Man wird Mitglied in einer ‚Hate-Community‘.“ Dazu komme, dass technische Algorithmen ähnliche Inhalte miteinander vernetzten, sodass ein Hass-Posting meist in ein größeres Netzwerk von Hass eingebettet sei.

In sozialen Medien wie Facebook haben viele Nutzer kein Gefühl für Anstand Foto: Christopher, flickr | CC BY-SA 2.0 Generic
In sozialen Medien wie Facebook haben viele Nutzer kein Gefühl für Anstand

Das Problem von Vorurteilen, Hass und Feindseligkeit im Netz sei größer geworden, seit es in Deutschland eine Welle des Rechtspopulismus gebe, vor allem durch die Entstehung von Bewegungen wie Pegida oder Parteien wie der „Alternative für Deutschland“ (AfD). Bei Pegida seien Hass-Postings „Teil ihrer Identität“. Aber auch Terrorgruppen machten sich so etwas zu Nutze, um Feindbilder organisiert und „kampagnenmäßig“ zu verbreiten.

„Glaubensthemen sind eine sehr persönliche Angelegenheit“

Dass Christen, die ihren Glauben als „stark abgrenzend“ verstehen, häufiger zu ausfälligen Kommentaren neigen, beobachtet auch Felix Neumann, Social-Media-Redakteur bei katholisch.de. Von diesen Christen gebe es oft „Polemiken gegen Zuwanderer, den Islam und eine klare Freund-Feind- Unterscheidung“. Neumann stellte aber auch schon „kirchliche Lagerkämpfe“ unter den Christen selbst fest. „Ich habe den Eindruck, dass das auf Verständnislosigkeit und mangelndem Kontakt beruht.“ Eine Diskussionskultur, die fremde Glaubensäußerungen toleriert, scheine kaum zu existieren.

Gesina Schneider, Social-Media-Leiterin für die Angebote in den sozialen Netzwerken von ERF Medien, wundert es nicht, dass auch im christlichen Umfeld unsachlich kommentiert wird: „Die relative Anonymität des Internets gilt auch für Christen, und Glaubensthemen sind eine sehr persönliche Angelegenheit – entsprechend sind die Reaktionen.“

Eine Umfrage unter den Nutzern der Facebook-Seite von pro zeigt, dass viele die Diskussionskultur im Netz, auch unter Christen, negativ wahrnehmen. Die Gesprächskultur auf christlichen Seiten sei zwar besser als zum Beispiel auf Facebook-Seiten öffentlich-rechtlicher Sender. Die Befragten nahmen aber auch schon „Lagerkämpfe“ unter Christen wahr, zum Beispiel „Hetze gegen charismatisch geprägte Gemeinden“. Allgemein sei die Gesprächskultur im Netz häufig von Beleidigungen und einem „niedrigen sprachlichen Niveau“ bestimmt, ist der Eindruck der Nutzer. „Schockierend“ sei es, wenn auf christlichen Seiten „aufs Übelste“ gegen Andersdenkene geschrieben werde. Facebook mache es leicht, Verachtung zu äußern, und auf christlichen Seiten rechtfertigten Kommentatoren das dann sogar biblisch, äußert ein Nutzer. Es müsse mehr dazu aufgefordert werden, positiv zu argumentieren, um dem entgegenzuwirken.

„Christliches Handeln einfordern“

Jeder einzelne Nutzer solle „Zivilcourage“ üben, wenn er abwertende Postings wahrnimmt, sagt Sozialpsychologe Zick. „Wenn auf der Straße Menschen anderen Glaubens angegangen werden, würden wir als Christen auch sagen, dass wir verpflichtet sind, einzugreifen.“ Das sollte im Netz stärker gefördert werden. Eine weite Möglichkeit sei, mit dem Verfasser von Hass-Kommentaren zu diskutieren. Dafür müsse man aber kompetent und sich sicher sein können, dass ein eigenes soziales Netzwerk unterstützend im Hintergrund stehe. Bei Seiten mit offener Kommentarfunktion brauche es eine professionelle Moderation.

Klar ist, dass gerade Christen sich positiv von der stänkernden Masse im Netz hervorheben sollten. Terbuyken sagt dazu: „Man darf den Menschen ihr Christsein nicht absprechen. Aber aus dem Christsein ein christliches Handeln fordern, das darf man.“ (pro)

Der Text ist der Ausgabe 1/2017 des Christlichen Medienmagazins pro entnommen. Bestellen Sie pro kostenlos und unverbindlich unter Telefon 06441 915 151 oder per E-Mail an info@kep.de.

Von: sz

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