Der ehemaligen Vizepräsidentin im Deutschen Bundestag und Grünen-Politikerin Antje Vollmer und dem Jesuitenpater und Autor Klaus Mertes gehen die Reformschritte zur Einheit der beiden Volkskirchen nicht schnell genug. Beide bemängeln, dass Katholiken und Protestanten immer noch über das Abendmahl streiten. Anlass für den Briefwechsel der Autoren ist deren Mitgliedschaft im „Kuratorium 20. Juli 1944“, das jedes Jahr mit einem ökumenischen Gottesdienst im Hinrichtungsschuppen von Berlin-Plötzensee an die Ermordeten des NS-Regimes erinnert.
„Nach den ökumenischen Erfahrungen der Hingerichteten und der Überlebenden wollte man nicht einfach auseinandergehen, aber auch nicht auf die Feier des Abendmahles verzichten, zumal die Ermordeten es vor ihrer Hinrichtung in den Gefängnissen gemeinsam gefeiert oder doch danach verlangt hatten“, schreiben die Autoren im Vorwort. Die Sehnsucht nach Ökumene sei die Sehnsucht nach dem möglichen Friedenszustand der Welt.
Lammert: Islam auf dem Weg zur Demokratie Zeit einräumen
Am Montag haben die Autoren ihr Buch mit dem Titel „Ökumene und Terrorismus – Streitschrift für die Einheit der Christen“, das beim Herder-Verlag erschienen ist, in Berlin vorgestellt. Zum Buchtitel sagte Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) bei der Vorstellung: „Dass diese beiden auf den ersten Blick eigentlich schwer in einen Zusammenhang zu bringenden Sachverhalte, übrigens nicht nur aktuell, sondern beinahe prinzipiell, etwas miteinander zu tun haben, wird spätestens dann deutlich, wenn sie statt Ökumene Religion denken. Und statt Terrorismus Gewalt.“ Die Religionsgeschichte der Menschheit sei immer auch eine Gewaltgeschichte der Menschheit gewesen, erklärte Lammert. Das liege darin begründet, dass Religionen mit Wahrheit handelten. „Wahrheiten sind nicht kompromissfähig und Eo ipso (Anmerkung: „Aus sich heraus“) Absolutheitsansprüche“, sagte Lammert. Deswegen sei der Weg aller Religionen zur Demokratie extrem kompliziert und „vermint“. Lammert appellierte daran, auch dem Islam die Zeit einzuräumen, die das Christentum zur Anerkennung der Demokratie benötigt habe. Eine unaufgebbare Mindestvoraussetzung für eine funktionierende Demokratie liege in der sauberen Trennung von Politik und Religion.
„Zwischen Spiritualität und Fanatismus läuft gelegentlich eine außerordentlich dünne Grenze“, sagte Lammert. „Dass wir ausgerechnet im 21. Jahrhundert diese Art des Missverstehens von Religion und Glaubensüberzeugungen in neuen, brutalen Ausdrucksformen erleben, beschreibt hinreichend, dass wir hier nicht über ein theoretisches, sondern über ein praktisches Problem reden.“
Gespaltene Kirche ist unglaubwürdig
Mertes erklärte, dass Christen gemeinsam gegen Gewalt und für Frieden aufstehen müssten. „Wir halten nur untereinander den Frieden nicht. Wir sollen nicht glauben, dass wir Frieden untereinander hätten, solange wir nicht gemeinsam Abendmahl feiern“, sagte Mertes. Damit würden alle Wortmeldungen der Kirchen, die sich gegen Gewalt und Terror richteten, unglaubwürdig. „Wie kann man glaubwürdig sein, wenn man nach 500 Jahren solche Differenzen untereinander nicht überwunden hat?“, fragte Vollmer. „Die Etablierung der Trennung lässt sich organisationssoziologisch erklären, nicht aber theologisch“, sagte Lammert.
Geistlich verordnetes Fallbeil
Lammert erinnerte an das historische Datum der Buchvorstellung. „Heute auf den Tag genau vor 83 Jahren, am 21. September 1933 haben evangelische Pfarrer den Pfarrernotbund gegründet. (…) Ein paar Tage später sind ihm weitere Pfarrer, darunter Martin Niemöller und Dietrich Bonhoeffer, beigetreten.“ Lammert bezeichnete es als „absurd“, in dem Kontext des ökumenischen Gottesdienstes im Hinrichtungsschuppen von Plötzensee nach der richtigen Gestaltung des Abendmahls zu fragen. Vollmer beschreibt in dem Buch, wie sie die sauber konfessionell getrennten stattfindenden Abendmahlsliturgien während des Gottesdienstes unter dem Galgen empfunden hat. Sie schreibt: „Selbst hier, am Ort des Henkers, der keinerlei Unterschied machte, selbst hier gibt es keinerlei Möglichkeit, das Trennende zwischen den Konfessionen zu überwinden. Selbst hier fällt das geistlich verordnete Fallbeil, das das richtige vom falschen Abendmahl trennt.“
Lammert konstatierte, dass mit der 500-Jahrfeier der Reformation auch die ebenso lange Spaltung der Kirche gefeiert würde und verwies an die Initiative „Ökumene jetzt“, in der Menschen aus Politik, Sport, Kultur, Wissenschaft und Wirtschaft dazu aufgerufen hätten, „dieses eindrucksvoll traurige Jubiläum zum Anlass einer Überwindung des Zustandes zu nehmen“. Der Politiker prognostizierte eindrucksvolle Gottesdienste und Kongresse zum Reformationsjubiläum, jedoch auch, dass „am Ende des Jahres alles genau so sein wird wie vorher auch“.
Man müsse sich die Frage stellen, ob mit dem Status quo der Kirchtrennung nicht ein längst „überfälliger Anachronismus“ in Zeiten der Globalisierung fortgeschrieben würde. Die allermeisten hätten sich nach Lammerts Empfinden mit diesem „skandalösen Zustand längst in jeder Beziehung häuslich eingerichtet“. „Ich persönlich werde immer besonders nervös, wenn dann versöhnte Verschiedenheit als intellektuell und gesellschaftspolitisch grandiose Zielsetzung ausgegeben wird“, sagte Lammert. „Wenn wir versöhnte Verschiedenheit als Ziel der ökumenischen Bemühungen im Jubiläumsjahr der Reformation ausgeben, dann ist das für mich eine verdeckte Kapitulationserklärung. Eine Verwechslung von Ziel und Weg“, erklärte der Unionspolitiker.
Im Blick auf die Ökumene sei die katholische Kirche beim zweiten Vatikanischen Konzil weiter gewesen „bei der Benennung dieses Skandals“ als heute. Lammert zitierte einen Satz von Joseph Ratzinger, der auch Eingang in das Buch von Vollmer und Mertes gefunden hat: „Und so ist die Kirche für viele heute zum Haupthindernis des Glaubens geworden.“ (pro)
Klaus Mertes / Antje Vollmer: „Ökumene in Zeiten des Terrors – Streitschrift für die Einheit der Christen“, Herder, 176 Seiten, 19,99 Euro, ISBN 978-3-451-37569-9