Parlamentarierer verschiedener Ländern haben sich im Bundestag getroffen, um ein internationales Netzwerk zur Förderung der Religionsfreiheit auszubauen. Bundeskanzlerin Angela Merkel betonte die Notwendigkeit der Glaubensfreiheit für ein respektvolles Miteinander der Religionen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sprach am Mittwoch auch über das Thema Vollverschleierung in Deutschland
Seit Montag tagen mehr als 100 Parlamentarier, darunter Christen, Juden, Muslime und Angehörige religiöser Minderheiten aus 60 Ländern, im Deutschen Bundestag in Berlin, um Abgeordnete zu Botschaftern des Menschenrechts auf Religionsfreiheit in ihren Heimatländern aufzubauen. Am 30. November 2014 gründete sich in Oslo das überparteiliche Netzwerk „International Panel of Parlamentarians for Freedom of Religion or Belief“(IPPFoRB).
Am Mittwoch hat Bundeskanzlerin Angel Merkel (CDU) das Netzwerk gewürdigt. Das Grundrecht auf Gewissens- und Religionsfreiheit, das in Artikel 18 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen verbrieft sei, gelte „gleichermaßen für alle, und zwar unabhängig von Religionszugehörigkeit und Weltanschauung.“ Jeder Einzelne habe das Recht, sich zu seiner Religion zu bekennen, diese auszuüben, zu wechseln oder sich keiner Religion anzuschließen.
„Bei uns in Deutschland genießt Religionsfreiheit verfassungsrechtlichen Schutz. Zusammen mit den anderen Freiheitsrechten des Grundgesetzes gehört sie zum Kernbereich dessen, was unser Land ausmacht und was uns lieb und teuer ist“, sagte die Kanzlerin. Das freiheitliche Miteinander beruhe auf dem Respekt vor der menschlichen Würde. „Deutschland ist in den vergangenen Jahrzehnten ethnisch, kulturell und weltanschaulich vielfältiger geworden“, sagte Merkel und warf ein stärkeres Licht auf das Thema Religionsfreiheit. Das Thema habe auch an Bedeutung gewonnen durch die vielen Flüchtlinge, die auf der Suche nach Sicherheit und Schutz nach Deutschland gekommen seien – und die an Deutschland besonders Toleranz und Religionsfreiheit schätzten.
Muslimischen Antisemitismus ernstnehmen
Merkel betonte in ihrer Rede die Notwendigkeit, die „umfassende Bedeutung dieser Werte zu vermitteln“, denn viele Flüchtlinge stammten aus Ländern, in denen die Religionsfreiheit eingeschränkt sei. Merkel wies auf den latenten Antisemitismus in vielen Herkunftsländern der Flüchtlinge und die damit verbundene Sorge jüdischer Gemeinden in Deutschland hin. „Das müssen wir gemeinsam sehr ernstnehmen“, erklärte sie.
Zur Religionsfreiheit gehöre es, seinen Glauben öffentlich bekunden zu dürfen und das eigene Verhalten an religiösen Lehren und Traditionen auszurichten. Dies gelte auch in Bezug auf Bekleidungsvorschriften. Das zeige sich beispielsweise in der Diskussion über ein generelles Verbot der Verschleierung aus religiösen Gründen. „Freiheitsrechte schützen auch die Freiheit, anders zu sein, als es sich die Mehrheit wünscht oder vorstellt. Ebenso wie die Meinungsfreiheit gilt die Religionsfreiheit auch dann, wenn es unterschiedliche Auffassungen zu religiös motivierten Verhaltensweisen gibt“, sagte Merkel, die eine Vollverschleierung für ein großes Hindernis bei der Integration hält. „Daraus mache ich keinen Hehl. Denn wenn das Gesicht im Verborgenen bleibt, sind die Möglichkeiten des Kennenlernens und des Einschätzens der Persönlichkeit stark eingeschränkt.“ In der Frage des Vollverschleierungsverbots will die Regierung präzise Handlungsvorgaben für die Bereiche machen, in denen nach den Worten der Kanzlerin „eine Vollverschleierung nicht geboten ist – beispielsweise im öffentlichen Dienst oder vor Gericht“.
Merkel betonte die Notwendigkeit und Bedeutung religiöser Bildung für ein respektvolles Miteinander der Religionen. Sie sprach sich für die Schaffung theologischer Fakultäten, Institute und Zentren an den Hochschulen aus. „Pfarrer, Rabbiner, Imame oder Religionslehrer sind Multiplikatoren. Ihre Ausbildung entscheidet wesentlich über die Qualität ihrer religiösen Bildungsarbeit.“ Merkel befürworte den bekenntnisorientierten schulischen Religionsunterricht. Das Wissen über Glaubensinhalte helfe, „mündige Entscheidungen für das eigene Leben zu treffen“ und sich selbstbewusst mit anderen Religionen auseinanderzusetzen. „Menschen unterschiedlicher Religion und Weltanschauung leben Tür an Tür. Dass sie einander offen begegnen, miteinander auskommen und gemeinsam Verantwortung in ihrem Lebensumfeld übernehmen, ist die Basis für unser friedliches Miteinander insgesamt“, erklärte Merkel. Gelebte Vielfalt sei die logische Konsequenz von Freiheit, die Folge des guten Rechts, nach den Regeln einer Religion zu leben oder nicht, sich von einer Religionsgemeinschaft loszusagen oder von der einen zur anderen zu wechseln.
Erbe des Christentums im Nahen Osten bedroht
„Um Religionsfreiheit ist es auf der Welt heute immer noch teils sehr schlecht bestellt. In vielen Staaten sind Übergriffe auf religiöse Minderheiten, Diskriminierung und Verfolgung an der Tagesordnung“, sagte Merkel. Die Kanzlerin beobachte „eine Art Selbstzensur religiöser Minderheiten, um im betreffenden Land nicht aufzufallen und nicht permanent im Konflikt zu leben, was mir immer besonders wehtut.“ Merkel konstatierte, dass die Gewalt fundamentalistischer Terrororganisationen, besonders der Terrormiliz Islamischer Staat, das Erbe des Christentums im Nahen Osten bedrohe. Gläubige aus Syrien und dem Irak hätten aus Angst um ihr Leben ihre Heimat verlassen.
Im Juni hatte die Bundesregierung den ersten Bericht zur weltweiten Lage der Religions- und Weltanschauungsfreiheit vorgelegt und darin exemplarisch beschrieben, wie staatliche und nichtstaatliche Akteure das grundlegende Menschenrecht auf freie Religionsausübung in verschiedenen Ländern missachten. „Allzu oft zeigt sich ein fließender Übergang von verschiedensten Formen der Diskriminierung hin zu Gefahren für Leib und Leben“, sagte Merkel.
Merkel appellierte daran, Religionsgemeinschaften noch stärker in die Entwicklungszusammenarbeit einzubeziehen. Eine enge Kooperation könne es jedoch nur mit Partnern geben, die Religionsfreiheit eindeutig respektierten und beispielsweise auch Menschen anderer Religionen Nothilfe zukommen ließen. „Noch besser ist es natürlich, wenn sie sich darüber hinaus als Mitstreiter im Einsatz für mehr Religionsfreiheit erweisen.“
Kauder: Keine getrennte Unterbringung christlicher Flüchtlinge
Auf einer Pressekonferenz im Rahmen der Konferenz sprach sich der Vorsitzende der Unionsfraktion, Volker Kauder (CDU), gegen die getrennte Unterbringung von Flüchtlingen nach Religionen in deutschen Flüchtlingsheimen aus. „Denn dann, wenn sie getrennt werden, findet ja gerade die Religionsfreiheit nicht statt“, erklärte Kauder. Er sieht das Problem religiös motivierter Übergriffe in den Flüchtlingsunterkünften auch in den derzeitigen Strukturen. Nach Kauders Auffassung dürfe das Sicherheitspersonal nicht ausschließlich aus Männern bestehen und müsse verschiedenen Religionen angehören. Dass derzeit das Sicherheitspersonal fast ausschließlich aus Männern besteht, nannte Kauder einen „nicht akzeptablen Zustand“, zumal in den Heimen auch Familien und Frauen untergebracht seien. Medienberichten zufolge waren in deutschen Flüchtlingsunterkünften wiederholt Christen durch Muslime diskriminiert worden. Kauder appellierte an die Parlamentskollegen aller Fraktionen, namentlich nannte er den Grünen-Abgeordneten Volker Beck als Streiter gegen Diskrimierung und für Religionsfreiheit, dem Netzwerk zur Stärkung der Religionsfreiheit beizutreten.
„Es ist darauf aufmerksam zu machen, dass noch mehr für die Religionsfreiheit weltweit getan werden muss“, sagte Kauder. Es gelte, sich überall dort einzumischen, wo die Religionsfreiheit beeinträchtigt sei. Außerdem forderte er, in den einzelnen Ländern das Problem von innen heraus zu berarbeiten und für Lösungen zu sorgen. Das Interesse an dem Netzwerk sei unter Parlamentariern verschiedener Religionen gewachsen. Die Parlamentarier verschiedener Parteien und Weltanschaungen teilten nach Aussage Kauders die gemeinsame Maxime: „Lasst uns mit unseren Religionen friedlich nebeneinander leben.“
Allianz: Mehrheit der Verfolgten sind Christen
Auf Anfrage von pro erklärte der designierte Beauftragte der Deutschen Evangelischen Allianz am Sitz der Bundesregierung und des Bundestages, Uwe Heimowski: „Religionsfreiheit ist ein elementares Menschenrecht. Religion prägt die Identität und das Gewissen eines Menschen, sie ist damit die Grundlage für andere Rechte wie Meinungs- oder Versammlungsfreiheit.“ Die Deutsche Evangelische Allianz (DEA) setze sich seit ihrer Gründung für Religionsfreiheit ein. „Wir sind überzeugt: Wenn Gott einem Menschen die Freiheit lässt, zu glauben oder nicht zu glauben, dann dürfen Menschen diese Freiheit nicht beschneiden“, erklärte Heimowski. Leider erlebe man seit einigen Jahren in zunehmendem Maße, dass weltweit restriktive Mehrheitsreligionen Minderheiten bei der Religionsausübung behinderten, in manchen Staaten auch ganz verböten, ihre Religion auszuleben. „Menschen, die ihren Glauben wechseln, müssen mit Benachteiligungen, Verfolgungen, mitunter bis hin zu harten Konsequenzen bis zur Todesstrafe rechnen. Die große Mehrheit der Verfolgten sind Christen“, erklärte Heimowski.
Auch in Deutschland gebe es vermehrt Angriffe auf die Religionsfreiheit. „Die internationale Parlamentarierkonferenz, die auf Initiative der CDU/CSU-Fraktion und Volker Kauders 2015 in New York begonnen wurde, begrüßen wir als einen notwendigen und wichtigen Schritt, um die Bedeutung der Religionsfreiheit als Menschenrecht zu unterstreichen. Die DEA erwartet, dass das Menschenrecht auf Religionsfreiheit innenpolitisch konsequent durchgesetzt und in der wertegeleiteten Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland regelmäßig auf höchster diplomatischer Ebene angesprochen wird.“
„Ohne Religionsfreiheit keine Demokratie“
Der Vorsitzende der Theologischen Kommission der Weltweiten Evangelischen Allianz, Thomas Schirrmacher, wünschte sich von der Konferenz, „dass Religionsfreiheit ein ganz normales Thema wird“ und mit anderen Menschenrechten auf eine Stufe gestellt wird. „So oft, wie davon die Rede ist, dass man Menschen nicht foltern soll, so oft muss davon die Rede sein, dass man Menschen nicht diskriminieren soll, weil sie etwas anderes glauben – oder gar nichts glauben.“ Neben der Rechtsstaatlichkeit sei auch die Freiheit der Religions- und Weltanschauungsausübung konstitutiv für die Demokratie. „Eine funktionierende Demokratie, in der die Menschen nach ihrer Religion diskriminiert werden, ist ein Widerspruch in sich“, sagte Schirrmacher.
„Ich kann die Kirchen verstehen, wenn sie sagen: Wir wollen nicht einseitig nur für Christen sprechen“, sagte Schirrmacher, und weiter: „Es würde den Kirchen aus meiner Sicht gut anstehen, wenn sie sich viel aktiver auch gegen die Diskriminierung und Verfolgung von Christen einsetzen und sich nicht von der Politik vor sich her schieben lassen.“
CDU-Abgeordneter: Merkel-Rede „starkes Zeichen“
Heribert Hirte, der Vorsitzende des Stephanus-Kreises der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, der sich für Religionsfreiheit einsetzt, erklärte gegenüber pro: „Das Thema ist in aller Munde – auch in Deutschland. Es vor allem auch in aller Munde, dass es nicht eine Auseinandersetzung zwischen dem sogenannten christlichen Abendland und nur muslimischen Flüchtlingen ist. Es ist deutlich: Es sind vielfältige Diskriminierungs-, Bedrängungs- und Unterdrückungssituationen in der ganzen Welt.“
Deutschland müsse versuchen, in allen Fällen gleichermaßen für Religionsfreiheit einzutreten, weil „die gegenseitige Toleranz der Punkt ist, der uns weltweit zum Frieden bringen kann. Daran arbeiten wir.“ Hirte hält das Recht auf freie Religionsausübung für eines der sensibelsten Grund- und Menschenrechte, deshalb lohne es sich, dafür zu kämpfen. Hirte wertete die Rede von Kanzlerin Merkel als starkes Zeichen, sich national aber auch international für dieses Thema zu engagieren. Er bemängelte, dass auf Ebene der EU zu wenige Mittel für das Thema zur Verfügung gestellt würden. Der Christdemokrat hält es für wichtig, alle Weltreligionen in die Diskussion einzubeziehen.
Frank Heinrich (CDU), Mitglied im Menschenrechtsausschuss des Deutschen Bundestages, wünscht eine breite Beteiligung der Parlamentarier an dem Netzwerk. „Am Schluss können wir nicht über Grenzabbau zwischen den Religionen und Ländern reden, wenn wir es nicht auch parteilich schaffen und jeder versucht, sein eigenes Pferd zu dem Thema zu satteln. Volker Beck und Volker Kauder haben beispielsweise gemeinsam in Auftrag gegeben, ein Papier über die weltweite Situation der Religionsfreiheit zu erstellen.“ (pro)
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